Nach dem Missbrauch-Skandal massive Kritik an der Leitung der Berliner-Charité
24.11.2012
Nach dem Missbrauch-Skandal an der Berliner Charité haben Politiker unterschiedlicher Parteien massive Kritik an dem Informationsmanagement des Klinikums geäußert und die Strukturen der Personalführung in Frage gestellt. Zwar hatte die Charité am Freitag angekündigt, die „zügige und transparente Aufklärung der ungelösten Vorgänge mit Nachdruck zu unterstützen und dabei eng mit den ermittelnden Behörden zu kooperieren“, doch damit sind die Versäumnisse der Vergangenheit nach Ansicht der Kritiker nicht zu entschuldigen.
Nachdem eine 16-jährige Patientin gegen einen Pfleger der Berliner Charité den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs erhoben hatte, wurde der Beschuldigte suspendiert und die Staatsanwaltshaft leitete entsprechende Ermittlungen ein. Am Mittwoch letzter Woche soll der Pfleger sich auf der Rettungsstelle der Charité am Standort Campus Virchow an dem Mädchen vergangen haben. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass dies offenbar nicht der einzige Übergriff des Pflegers war. Der Beschuldigte hatte anscheinend bereits mehrfach die Situation hilfsbedürftiger Patientinnen ausgenutzt und sich sexuell an ihnen vergangen. Gegenüber dem Radiosender „radioBERLIN 88,8“ äußerte die Berliner Patientenbeauftragte Karin Stötzner massive Kritik an der Klinikleitung beziehungsweise deren Personalführung. Hier war von mangelnder Führungskompetenz die Rede, wobei laut Aussage der Patientenbeauftragten besonders erschreckenden sei, „dass es offensichtlich ein Wissen darüber gab, dass dieser Pfleger in dieser Hinsicht schon auffällig geworden ist.“
Vertuschung von Missbrauch an der Berliner Charité?
Dass ein Pfleger eine minderjährige Patientin auf der Rettungsstelle missbraucht, ist an sich schon ein unfassbarer Skandal. Dass offenbar bereits vor dem aktuellen Fall vergleichbare Schandtaten von dem selben Pfleger ausgeführt wurden und dieser sowohl bei der Klinik als auch bei den Behörden wegen seiner Vergehen aktenkundig gewesen sein soll, gibt dem aktuellen Geschehen eine besondere Brisanz. Sämtliche Parteien des Berliner Senats zeigten sich schockiert und forderten eine umfassende Aufklärung. Der CDU-Generalsekretär Kai Wegner warf dem Klinikum vor, jahrelang Missbrauchsfälle vertuscht zu haben. Statt Anzeige zu erstatten, wurde lediglich die hauseigene Rechtsabteilung eingeschaltet, so der Vorwurf des Politikers. Dies sei ein falsches Signal gewesen. Die Klinikleitung sei dazu aufgefordert „alle Missbrauchsfälle und eventuell auch andere Straftaten unverzüglich“ anzuzeigen.
Umfassende Aufklärung des Missbrauch-Skandals gefordert
Die Berliner Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres (SPD) forderte von der Klinikleitung der Charité bis Montag einen schriftlichen Bericht, der die genauen Abläufe in dem aktuellen Missbrauch-Skandal offenlegt. Die Grünen äußerten zudem deutliche Kritik an dem Krisenmanagement der Charité und stellten die Strukturen in Frage, mit denen Europas größte Universitätsklinik geleitet wird. Die Klinikleitung zeigte sich unterdes um Schadensbegrenzung bemüht und gab in einer Pressemitteilung am Freitag bekannt, dass „ein externes Experten-Gremium berufen worden (ist), um die Ursachen zu erforschen, die in der Vergangenheit zu den bisher ungeklärten Fällen von Missbrauch an der Charité geführt haben.“ Am kommenden Montag finde ein erstes Treffen des Experten-Gremiums statt, dem neben der früheren Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) auch Julia von Weiler (Kinderschutzverein „Innocence in Danger“), Udo Nagel (Ex-Innensenator von Hamburg), Sylvester von Bismarck (Kinderchirurg), Günther Brenzel (Pflegeexperte) und Sigrid Richter-Unger (Leiterin der Beratungsstelle „Kind im Zentrum“)angehören. Das Gremium soll auch interne Strukturen und Prozesse überprüfen.
Verbesserte Beratung, Prävention und Kommunikation
Darüber hinaus bietet die Charité den Betroffenen, besorgten Eltern, Patienten und Mitarbeitern täglich zwischen 8 und 20 Uhr eine Telefon-Hotline an. Unter der Telefonnummer 030 450 550 500 stehen psychologische Fachkräfte zur Verfügung. Die Hotline werde gut angenommen und bis Donnerstagabend gingen dort zehn Anrufe ein, von denen ein Hinweis näherer Nachforschungen bedarf, berichtet das Klinikum.. Auch nehme das Bürgertelefon der Berliner Polizei unter der Nummer 030 4664 4664 sachdienliche Hinweise zu den aktuellen Vorwürfen des Missbrauchs an der Berliner Charité entgegen. Im Sinne der Prävention werde außerdem fortan die Initiative „Kind im Zentrum“ eine beratende Funktion für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Frauen-, Kinder- und Jugendmedizin an der Berliner Charité übernehmen, so die aktuelle Mitteilung. Die Initiative biete Gespräche und Schulungen an und unterstütze die Erarbeitung eines Präventionskonzeptes sowie die Schaffung von entsprechenden Strukturen, um zu einer offeneren Kommunikationskultur beizutragen. Allerdings musste auch die Klinikleitung erneut Defizite in der Kommunikation einräumen. So wussten Vorstandschef Karl Max Einhäupl und der Ärztliche Direktor Ulrich Frei offenbar bereits zwei Tage nach dem aktuellen Vorfall Bescheid, obwohl sie zunächst behauptet hatten, erst diese Woche Dienstag darüber informiert worden zu sein. (fp)
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