Mobile Arbeitswelt: Macht Pendeln krank?
Vor allem jetzt in der kalten Jahreszeit, wenn die Tage immer kürzer werden, machen sich viele Pendler schon vor Sonnenaufgang auf den Weg zur Arbeit und kommen erst nach Sonnenuntergang wieder nach Hause. Angenehm ist das wahrlich nicht; doch ist Berufspendeln auch wirklich schlecht für die Gesundheit?
Fast jeder zweite Beschäftigte pendelt
Wie aus dem Report „Mobilität in der Arbeitswelt“ der Techniker Krankenkasse (TK) hervorgeht, sind fast die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland (45 Prozent) Berufspendler, das heißt, ihr Arbeitsplatz liegt in einem anderen Kreis als ihr Zuhause. Pendeln stellt nicht nur eine Belastung für die Umwelt dar, sondern führt laut verschiedenen Untersuchungen auch zu einem erhöhten Gesundheitsrisiko für die Beschäftigten. Doch anhand der Krankschreibungen ist dies offenbar nicht zu erkennen.
Seltener und weniger krankgeschrieben
Laut dem aktuellen TK-Report „Mobilität in der Arbeitswelt“ sind Pendler insgesamt zwar weniger krankgeschrieben als Beschäftigte mit kurzem Arbeitsweg, sie sind aber mehr von psychischen Erkrankungen betroffen.
Wie die Krankenkasse in einer Mitteilung schreibt, zeigte sich in der Auswertung, dass Berufspendler statistisch gesehen mit 13,7 Fehltagen in 2017 insgesamt einen halben Tag weniger krankgeschrieben waren als Berufstätige mit kurzem Arbeitsweg (14,2).
Von den Beschäftigten, die wohnortnah arbeiten, waren demnach 52,3 Prozent mindestens einmal krankgeschrieben, bei den Pendlern fiel mit 49,4 Prozent nur knapp die Hälfte im vergangenen Jahr zumindest ein Mal aus.
Albrecht Wehner, bei der TK verantwortlich für die Gesundheitsberichte, erklärte: „Wir gehen hier von dem sogenannten Healthy-Worker-Effekt aus, das bedeutet, dass weitere Arbeitswege eher von Menschen mit guter Gesundheit in Kauf genommen werden.“
Lange Arbeitswege gehen auf die Nerven
Allerdings sind Pendler, vor allem Pendlerinnen, mehr von psychisch bedingten Krankschreibungen betroffen.
„Weil die Berufe, die überdurchschnittlich mit Pendeln verbunden sind, sonst eher durch geringere psychische Belastungen gekennzeichnet sind, gehen wir davon aus, dass die höheren psychisch bedingten Fehlzeiten durch das Pendeln selbst entstehen“, so der TK-Experte.
Der TK-Studie zufolge entfielen 2017 auf 100 Pendler 242 Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen etc.
Bei den Beschäftigten mit kurzer Anreise waren es nur 219 Tage. Die psychisch bedingten Fehltage liegen damit bei Pendlern fast elf Prozent höher als bei den Beschäftigten mit Nah-Berufsverkehr. Bei den Frauen liegt die Differenz sogar bei rund 15 Prozent.
Bereits in der Vorläuferstudie der TK 2012 hatte sich gezeigt, dass es häufiger zu psychischen Krankheiten bei Berufspendlern kommt.
Straßenverkehr nervt
Schon die Stress-Studie der TK im Jahr 2016 hatte gezeigt, dass der Straßenverkehr eine der Hauptstressursachen von Erwerbstätigen ist.
Ein Drittel – Männer gleichermaßen wie Frauen – gibt an, sich durch den Straßenverkehr gestresst zu fühlen.
„Damit hat der Straßenverkehr als Stressfaktor denselben Stellenwert wie die ständige Erreichbarkeit durch Smartphone, Facebook und Co“, sagte Wehner.
Mehrfachbelastung für Frauen
Den Angaben zufolge liegt der Anteil der Beschäftigten, deren Arbeitsort in einem anderen Kreis als ihr Zuhause liegt, bei Männern höher als bei Frauen.
„Das hängt vermutlich auch damit zusammen, dass Frauen immer noch mehr Aufgaben Zuhause übernehmen und die Mehrfachbelastung mit Haushalt und Kinderbetreuung weites Pendeln nicht zulässt“ erklärte Wehner.
„Zudem arbeiten Frauen häufiger Teilzeit, so dass lange Wegzeiten bei kürzerer Arbeitszeit nicht lohnen“, so der Experte.
Der Anteil der Pendler variiert deutlich zwischen den einzelnen Berufsfeldern. Den höchsten Anteil verzeichnen erwartungsgemäß Beschäftigte im Luftverkehr wie Piloten und Servicefachkräfte sowie Vertriebsmitarbeiter.
Manche pendeln 200 Kilometer und mehr pro Strecke
Auch in vielen IT-Berufen nehmen die Angestellten weite Wege auf sich. Die wenigsten Pendler gibt es in Agrar- und Ernährungsberufen sowie bei Angestellten in privaten Haushalten wie Hauswirtschaftern und Reinigungskräften.
„Viele soziale und Dienstleistungsberufe gibt es fast in jedem Ort. Deshalb gibt es hier weniger Pendler. Je spezialisierter der Beruf, desto weniger Einsatzorte gibt es und umso längere Strecken müssen die Beschäftigten oft zurücklegen. Zudem rechnet sich der zeitliche Aufwand des Pendelns auch nur, wenn es sich finanziell lohnt“, erläuterte Wehner.
Dies zeigt sich auch darin, dass der Pendleranteil umso größer ist, je höher der Ausbildungsabschluss der Beschäftigten.
Beschäftigte ohne oder in Ausbildung arbeiten seltener außerhalb ihres Wohnkreises (38 Prozent Pendler), besonders weite Strecken pendeln Beschäftigte mit Promotion und anderen Hochschulabschlüssen.
Von ihnen pendelt fast jeder Zweite. 7,5 Prozent der Männer und 5,4 Prozent der Frauen legen dabei 200 km und mehr je Strecke zurück.
Psychische Belastung beim Pendeln mit öffentlichen Verkehrsmitteln geringer
Der zweite Teil des Reports bietet einen Literaturreview des Forschungsstands zum Pendeln und zur mobilen Telearbeit. Dafür hat das Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) im Auftrag der TK 79 Studien ausgewertet.
Die Metastudie zeigt, dass die Zahl der Berufspendler kontinuierlich steigt, ebenso wie die Pendelstrecken und damit auch die Pendelzeiten. Die Studien zeigen auch, dass die psychische Belastung beim Autofahren größer ist als beim Pendeln mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Zudem nehmen Belastungen und Fehltage mit steigender Entfernung und Fahrzeit zu. „Die Gesamtbetrachtung zeigt auch negative Einflüsse des Pendelns auf die physische und soziale Gesundheit auf, vor allem bei Frauen“, so Wehner.
Magen- und Verdauungsprobleme können demnach zunehmen und Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Beschwerden wie der Körperfettanteil und der BMI (Body-Mass-Index) steigen.
Auch der Schlaf sowie soziale Beziehungen und Partnerschaften leiden.
Mit gesunder Ernährung und ausgleichender Bewegung gegensteuern
Deshalb sei es wichtig, mit der Studie auch für ein modernes Betriebliches Gesundheitsmanagement zu werben.
„Vielen Unternehmen ist oft nicht klar, dass sie mit intelligenten Schichtplänen, guter Arbeitsorganisation und Digitalisierung großen Einfluss darauf haben, wie sehr Pendeln belastet“, sagte Wehner.
„Ebenso wichtig ist aber, dass wir das Thema über das Gesundheitswesen hinaus angehen. Auch die Verkehrspolitik hat großen Einfluss darauf, wie sehr das Pendeln für die Beschäftigten zur Belastung wird“, so der TK-Experte.
Und last but not least seien auch die Pendler selbst gefordert. Einige Studien zeigen, dass Pendler mehr Fastfood essen, häufiger zu übermäßigem Medienkonsum neigen und insbesondere bei Männern ein erhöhter Alkoholmissbrauch erkennbar ist.
„Die Beschäftigten haben mit ihrem Verhalten auch Einfluss darauf, wie belastend das Pendeln für sie wird und wie sie gegensteuern können – zum Beispiel mit einer gesunden Ernährung, ausgleichender Bewegung oder mit Fahrgemeinschaften“, erklärte Gesundheitsexperte Wehner. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.