Bundesverfassungsgericht spricht Häftling Prozesskostenhilfe zu
Karlsruhe (jur). Haben Gefangene in einer Gemeinschaftszelle nur vier Quadratmeter Platz, muss ihnen für eine Haftungs- und Entschädigungsklage Prozesskostenhilfe gewährt werden. Denn bislang ist ungeklärt, ob dies als menschenwürdig anzusehen ist, stellte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Freitag, 1. Juli 2016, veröffentlichten Beschluss fest (Az.: 1 BvR 3359/14). Die hier offene und schwierige Frage, unter welchen Voraussetzungen eine menschenunwürdige Unterbringung vorliegt, könne nicht bereits mit dem Prozesskostenhilfeantrag, sondern nur im Hauptverfahren entschieden werden.
Damit bekam ein Häftling recht, der in einer bayerischen Justizvollzugsanstalt inhaftiert war. Der Mann musste sich 188 Tage eine 16 Quadratmeter große Zelle mit drei weiteren Gefangenen teilen. Zur Gesamtfläche der Zelle zählte neben der Möblierung auch eine vom übrigen Haftraum baulich abgetrennte Toilette mit.
Vier Quadratmeter Platz pro Gefangenen seien menschenunwürdig, so der Häftling. Die Haftbedingungen führten zu einem Verlust jeglicher Privatsphäre und unzumutbaren Belastungen der Gefangenen, die aus dem erzwungenen engen körperlichen Kontakt rührten.
Den Freistaat Bayern wollte der Mann auf Amtshaftung verklagen, um so eine Entschädigung erhalten zu können.
Das Landgericht Augsburg und das Oberlandesgericht (OLG) München verweigerten jedoch die für das Verfahren beantragte Prozesskostenhilfe. Nach der „gebotenen Gesamtschau der Umstände des Einzelfalls“ liege keine Verletzung der Menschenwürde vor. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe vier Quadratmeter Platz pro Person in einer Zelle als noch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention für vereinbar angesehen. Eine darüber hinausgehende Mindestgrenze hätten deutsche Gerichte bislang nicht eindeutig vorgegeben, so das OLG.
Es könne daher keine Rede davon sein, dass von vornherein nur vier Quadratmeter Platz eine entschädigungspflichtige Verletzung der Menschenwürde begründe. Die Prozesskostenhilfe sei daher wegen mangelnder Erfolgsaussicht abzulehnen.
Mit seinem Beschluss vom 20. Mai 2016 hob das Bundesverfassungsgericht die Ablehnung der Prozesskostenhilfe auf. Formal muss nun das Landgericht Augsburg neu entscheiden.
Zwar dürfe die Gewährung der Hilfe davon abhängig gemacht werden, ob eine Klage hinreichend Aussicht auf Erfolg hat. Doch dürften ungeklärte Rechtsfragen nicht in das „nur summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe“ verlagert werden. Diese müssten vielmehr im Hauptsacheverfahren geklärt werden, so dass Prozesskostenhilfe in solch einem Fall nicht verweigert werden darf.
Ob eine menschenunwürdige Unterbringung besteht, hänge immer von den Gesamtumständen ab. Wie genau dies geprüft wird, sei aber nach der Rechtsprechung nicht geklärt, so die Karlsruher Richter.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erlaube eine Grundfläche von vier Quadratmetern Platz pro Gefangenen. Erst wenn ein Häftling weniger als drei Quadratmeter Platz habe, sei von erniedrigenden Haftbedingungen auszugehen.
Der Bundesgerichtshof habe jedoch bereits betont, dass die Anforderungen des Grundgesetzes an eine menschenwürdige Unterbringung höher sein können. Teilweise würden hier Regelwerte von sechs oder sieben Quadratmeter Bodenfläche pro Gefangenen genannt. Ein verfassungsmäßiges fixes Raummindestsoll könne es aber nicht geben. Denn es komme beispielsweise auch auf die Zahl der Gefangenen in einer Zelle, die Gesamtbodenfläche oder auch auf die Einschlusszeiten an.
Oh hier menschenunwürdige Haftbedingungen vorlagen, könne daher könne nur im Hauptsache- und nicht bereits im vorgelagerten Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden. Mit der Ablehnung auf Prozesskostenhilfe sei der Anspruch des Beschwerdeführers auf Rechtsschutzgleichheit verletzt worden, entschied die 3. Kammer des Ersten Senats. fle/mwo
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