Babys verdummen durch Babysprache: Ohne „Dutzi Dutzi“ werden Babys schlauer
15.02.2014
Reden Eltern mit ihrem Baby nur Babysprache, schaden sie damit der kindlichen Sprachentwicklung. „Dutzi Dutzi“ oder „Bubu machen“ reichen bei weitem nicht aus, denn schon vor der Einschulung sind diejenigen Kinder, mit denen vernünftig geredet wurde, anderen Gleichaltrigen weit voraus.
Lange und komplexe Sätze verwenden
Eltern tun ihrem Nachwuchs nichts Gutes, wenn sie nur in Babysprache mit ihnen reden. „Dutzi Dutzi“ oder „Bubu machen“ schaden der kindlichen Sprachentwicklung. Wissenschaftler raten dazu, auch im Gespräch mit Kindern im Baby- und Krabbelalter, lange und komplexe Sätze zu verwenden. Laut Anne Fernald, Psychologieprofessorin an der Stanford University, bauen die Kleinen über Sprache Intelligenz auf. Neue Studien würden nahe legen, dass es eine entscheidende Rolle für die künftige Entwicklung spielt, wie viel und wie gewählt Eltern mit ihren Kleinkindern reden. Bei einer Tagung der American Association for the Advancement of Science Mitte Februar seien entsprechende Ergebnisse vorgelegt worden. Diese würden auch die Frage aufwerfen, ob sich eine noch frühere Sprachförderung für benachteiligte Kinder lohnen könnte.
Je früher desto besser
Wie die Wissenschaftler herausfanden, sei es umso besser, je früher Eltern damit beginnen, ihrem Nachwuchs die Welt zu erklären. Dies solle aber nicht bedeuten, dass Mütter und Väter nun mit Karteikarten und einem gezielten Lernprogramm auf die Krabbelkinder losgehen müssten, frei nach dem Motto: „Hier ist eine Orange. Und das ist eine Schüssel.“ Vielmehr gehe es darum, Worte und ihre Bedeutung in einen Zusammenhang zu stellen, damit die Kinder im Gehirn entsprechende Verbindungen speichern könnten. Beispielsweise so: „Komm, wir tun die Orange in die Schüssel mit der Banane und dem Apfel und den Trauben.“
Millionen Wörter mehr gehört als Gleichaltrige
Auch wenn die Ergebnisse naheliegend klingen, würden sie doch im Alltag keineswegs immer umgesetzt, wie die Forscher belegten. So hätten etwa Kinder aus Familien mit mittlerem oder höherem Einkommen bis zum Vorschulalter insgesamt oft mehrere Millionen Wörter mehr gehört als ihre Altersgenossen aus ärmeren Familien. Um zu dokumentieren, was sie tagsüber alles hörten, stattete Psychologin Fernald Kleinkinder mit Aufnahmegeräten aus. Die Wissenschaftlerin registrierte bei einem der Kinder mehr als 12.0000 Wörter der direkten Ansprache – im Unterschied zu allgemeinem Hintergrundrauschen wie Fernsehen oder Erwachsenengesprächen. Nur ganze 670 Wörter direkter Ansprache seien es hingegen bei einem anderen Kind gewesen.
Große Unterschiede auch in der Lerngeschwindigkeit
Wie Fernald berichtete, gingen damit nicht nur große Unterschiede in der Sprachentwicklung, sondern auch in der Lerngeschwindigkeit einher. Bereits bis zu zwei Jahre könnten Fünfjährige aus armen Familien ihren bessergestellten Altersgenossen in der Entwicklung hinterherhinken. Wie Kimberly Noble von der Columbia University sagte, lasse sich dies auch durch Hirnuntersuchungen bestätigen. Die Sprachzentren im Gehirn seien bei Kindern aus wohlhabenderen Familien ausgeprägter. Fernald ergänzte dazu, dass sich dabei die Kluft schon ab dem Alter von 18 Monaten öffne. Ihrer Studie zufolge erreichten Kinder aus ärmeren Verhältnissen erst mit zwei Jahren ein Sprachverständnis, dass der Nachwuchs aus bessergestellten Verhältnissen schon sechs Monate früher hatte.
Umfang des Wortschatzes entscheidend
Der Umfang des Wortschatzes kann für das Hinzulernen ganz entscheidend sein. Bei einem Satz wie „Das Kätzchen liegt auf einer Bank“ könnten sich Kinder, die das Wort Kätzchen schon kennen, auch das bislang unbekannte Wort Bank aus dem Zusammenhang erschließen. Wenn allerdings der zentrale Begriff fehlt, dann rauscht auch der Rest des Satzes an den Kleinen vorbei, ohne dass sie etwas dazu lernen könnten. Deshalb würden Experten darüber diskutieren, ob eine professionelle Frühförderung schon mit drei statt mit vier Jahren beginnen solle. Debattiert werde auch darüber, wie man die Qualität von Kitas verbessert und ob Erziehungsprogramme für die Eltern nach dem Motto „Redet mehr“ sinnvoll sein könnten. Der letztgenannte Punkt dürfte jedoch schwierig umzusetzen sein, wenn die Eltern selbst nicht gut lesen können oder den Sinn der Programme nicht erkennen. Viele der Mütter und Väter hätten auch schlicht zu wenig Zeit, vor allem, wenn sie mehrere niedrig bezahlte Jobs nebeneinander machen müssten.
Mütter lernen sich gewählter auszudrücken
Wie Wissenschaftler nach ersten vorläufigen Forschungsergebnissen meinen, könnten sich solche Erziehungsmaßnahmen dennoch lohnen. So beobachtet Fernald etwa ein Programm namens „Habla Conmigo“ für spanischsprachige Mütter mit geringen Einkommen im kalifornischen San Jose und hat dabei mit 32 Familien gesprochen. Sie habe herausgefunden, dass die Kinder nicht viel von dem mitnahmen, was ihre Eltern oder andere Bezugspersonen untereinander gesprochen hatten. Erst wenn sie direkt angesprochen wurden, stellte sich echtes Lernen ein. Die Mütter besuchten im Rahmen des Programms einen achtwöchigen Kurs, in dem sie lernen sollten, mehr mit ihren Kindern im Krabbelalter zu reden sowie sich gewählter auszudrücken. Wie Fernald berichtete, hätten die Kinder der Kursteilnehmerinnen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe im Alter von zwei Jahren einen größeren Wortschatz gehabt und schneller gelernt.
Viele Kinder benötigen Sprachtherapie
Allgemein macht die Sprachentwicklung ab dem dritten Lebensjahr enorme Fortschritte. Bis zum zweiten Geburtstag spricht ein Kind im Durchschnitt 100 Wörter. Zwei Jahre später ist der Wortschatz schon auf 2.000 Wörter angestiegen. Zum vierten Geburtstag bilden einige Kinder bereits mehrkettige Haupt- und Nebensätze. Die Übrigen ziehen in der Regel während der ersten beiden Schuljahre nach. Generell brauchen Jungen beim Erlernen mehr Unterstützung als Mädchen. Das wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hatte im Rahmen des Heilmittelberichts 2013 festgestellt, dass jeder vierte sechsjährige Junge eine Sprachtherapie benötigt. Bei den Mädchen liegt der Anteil bei nur 17 Prozent. (ad)
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