Wenn Drogen Stimmen im Kopf auslösen: Berliner Klinik bietet bundesweit einmaliges Therapiekonzept für junge Menschen mit Psychosen an
02.10.2014
Drogen können der Gesundheit massiv schaden – das weiß jeder. Was vor allem junge Menschen aber häufig vergessen: Ecstasy und Partydrogen können noch Jahre nach dem Konsum Psychosen auslösen. Nicht selten machen sich die psychischen Probleme durch „Stimmen im Kopf“ bemerkbar, die die Betroffen zu tiefst verängstigen und in die Verzweiflung treiben. Nicht selten mündet das in Selbstmord, weil es keinen Ausweg zu geben scheint.
Die Stimmen kommen von einem Moment auf den anderen und lassen sich nicht kontrollieren. Diese Erfahrung musste auch die heute 30-jährige Anna machen, die im Gespräch mit der Nachrichtenagentur „dpa“ von ihrem Leidensweg erzählt. Eines sei aber bereits vorweggenommen: Für Anna scheint es ein Happy End zu geben. Sie hat einen Therapieplatz in einer bundesweit einmaligen Einrichtung in Berlin, dem FRITZ, gefunden und macht große Fortschritte.
Sie beschimpfen, beleidigen und kommentieren alles, manchmal beruhigen sie auch, bevor sie wieder Gemeinheiten loslassen – Stimmen im Kopf. Von einer Sekunde zur anderen sind sie da und bleiben. „Von rechts der Teufel, von links der Engel“, so schildert Anna den Ausbruch ihrer Psychose im Jahr 2010. „Dann kam der Verfolgungswahn hinzu. Ich bekam unglaubliche Angst, auf der Straße, im Dunkeln.“ Nach drei Jahren war die junge Frau psychisch am Ende, sie dachte an Selbstmord. Ein Anruf beim Krisennotdienst brachte sie ins FRITZ, eine Berliner Klinik mit einem bundesweit einmaligen Therapiekonzept für junge Erwachsene. In der Einrichtung sind viele Patienten wie Anna, bei denen harte Drogenjahre in der Jugend Psychosen im Erwachsenenalter auslösten.
„Mit zwölf hab ich angefangen, Drogen zu nehmen: Partydrogen, Ecstasy, Amphetamine. Gekifft hab’ ich auch “, berichtet die junge Frau „Alles aus Neugier.“ An die Drogen sei sie leicht herangekommen. „Ich sah älter aus und bin problemlos in Clubs reingekommen.“ Annas Vergangenheit – jahrelanges Partyleben nach einem Hauptschulabschluss und dem Auszug aus einer kaputten Familie bis sie schließlich nach Berlin kam – hat deutliche Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen.
Stimmen im Kopf treiben junge Menschen nicht selten in den Selbstmord
„Ich hab in der Gastronomie gearbeitet – da wird eben getrunken und was eingenommen. Geld gibt es bar auf die Hand. Arbeit und Party sind gar nicht richtig zu trennen“, berichtet die junge Frau weiter. Dann – ganz plötzlich – kamen die Probleme. Anna hatte gerade den zweiten Versuch gestartet, eine Lehre als Tierarzthelferin zu machen. „Die Probleme kamen total plötzlich. Ich wusste zwar, dass man durch Drogen Stimmen hören kann. Trotzdem konnte ich es erst gar nicht glauben“, berichtet sie. Die damals 26-Jährige bekommt Angst, will aber niemandem von den Stimmen, die sie hört, erzählen, sie schämt sich. Den einzigen Ausweg den sie sieht, um die Stimmen in ihrem Kopf endlich zum Schweigen ist bringen, ist der Tod. Anna plant sich umzubringen, sollte sie die Lehre nicht schaffen. Sie unternimmt einen Therapieversuch in einer Klinik, bricht diesen aber ab. „Ich nahm zwar Drogen, aber hatte Riesenangst vor Medikamenten“, erklärt die junge Frau.
Therapie von Psychosen ist meist langwierig
Doch dann kommt sie im November 2013 erstmals ins FRITZ im Vivantes-Klinikum am Urban. Sie erfährt, dass sie an einer sogenannten schizoaffektiven Störung leidet. Überzeugt ist die junge Frau zunächst dennoch nicht von der Klinik. „Am ersten Tag bin ich gleich wieder abgehauen. Aber am nächsten Tag zurückgekehrt.“ Mittlerweile fühlt sie sich wohl im FRITZ. Die Ärzte und Therapeuten begegnen ihr auf Augenhöhe, stellen sich auf sie ein ohne zu bevormunden. Sie wird stationär aufgenommen und erhält Medikamente. Bereits nach zehn Tagen ist der Verfolgungswahn weg. Aber die Stimmen hört sie weiterhin. Nach der stationären Phase der Therapie folgt eine langwierige ambulante Versorgung in der angegliederten Tagesklinik, die aber immer wieder von erneuten stationären Aufenthalten in der Einrichtung durchbrochen wird. Wann und ob Anna vollständig genesen sein wird, kann wohl niemand mit Gewissheit sagen. Aber sie macht große Fortschritte in Richtung eines selbstbestimmten Lebens. So kann sie inzwischen über die Stimmen und ihre Krankheit sprechen. „Meine Therapeutin ist eine ganz, ganz große Hilfe für mich“, betont die junge Frau.
Frühzeitige Behandlung von Psychose erhöht Therapieerfolg
Im FRITZ haben die meisten Patienten eine Drogenvergangenheit. „Fast alle unserer Patienten haben Cannabis-Erfahrungen gemacht“, berichtet Priv. Doz. Andreas Bechdolf, Leiter des FRITZ, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur. Trotzdem stellen die Ärzte und Therapeuten nicht in erster Linie Verbote auf, vielmehr möchten sie erreichen, dass die jungen Erwachsenen mit ihnen kooperieren, um nicht nach kurzer Zeit frustriert die Therapie abzubrechen. Die Nachfrage nach Therapieplätzen im FRITZ ist groß. Es gibt bereits mittlerweile eine Warteliste. Seit vergangenem Oktober wurde etwa 160 junge Menschen in der Einrichtung behandelt.
„Je früher wir eingreifen können, desto besser lässt sich eine beginnende Psychose therapieren“, erläutert Bechdolf. So kann die Anzahl neuer Krankheitsepisoden verringert und ein schnellerer Symptomrückgang erreicht werden. Vor allem erhöht eine frühzeitige Therapie die Chancen, wieder in Schule und Arbeitsleben fußzufassen. Länder wie Großbritannien und Australien seien Deutschland beim Thema Frühintervention um einiges voraus, berichtet Bechdolf. Im FRITZ gehe es deshalb auch um Aufklärung. (ag)
Bild: Uta Herbert / pixelio.de
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