Experten fordern größere Akzeptanz der Betroffenen
Stottern ist kein seltenes Phänomen, stattdessen sind nach Angaben der Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe e.V. mehr als 800.000 Menschen in Deutschland betroffen. Trotz der Häufigkeit haben viele Stotterer im Alltag mit Vorurteilen zu kämpfen oder werden sogar ausgegrenzt, daher setzen sich Experten wie Anja Hüsing verstärkt für eine höhere Akzeptanz ein. Im Gespräch mit dem „General-Anzeiger“ berichtet die staatlich geprüfte Logopädin aus ihrer Praxiserfahrung.
Stärkung des Kindes ist zentrales Thema in der Therapie
Mehr als ein Prozent der deutschen Bevölkerung stottert. Die Unterbrechung des Redeflusses durch auffällige Blockaden, Wiederholungen oder Dehnungen steht dabei in keinerlei Zusammenhang mit der Intelligenz. Dennoch würden sich Vorurteile wie “Stotterer denken langsamer” oder “Stotterer sind weniger intelligent” hartnäckig halten, erklärt Anja Hüsing. Betroffene Kinder würden oft „geärgert, ausgelacht oder gemobbt“, daher sei in der Therapie die Stärkung des Kindes sehr wichtig, so die Expertin, die in einer Alfterer Praxis unter anderem stotternde Kinder und Jugendliche betreut. Neben dem sei es auch wichtig, dass Eltern, Verwandte, Freunde und Lehrer mit einbezogen werden, um für eine entsprechende Information des Umfelds zu sorgen.
Sprachstörung hat nichts mit Intelligenz zu tun
Doch wie entsteht Stottern eigentlich? Die genauen Ursachen sind laut der Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe e.V. bislang nicht ausreichend erforscht. Vermutet wird jedoch, dass die meisten Betroffenen eine Veranlagung zum Stottern haben, zu der dann im Verlauf der Sprachentwicklung auslösende und aufrechterhaltende Faktoren hinzukommen, so die Information des Vereins weiter. Ein auslösender Faktor könne z.B. ein allein stehendes Ereignis wie die Geburt eines Geschwisterkindes, die Trennung der Eltern oder ein Trauma sein, ergänzt Anja Hüsing. Als „aufrechterhaltende Faktoren“ würden der Expertin zufolge z.B. die Reaktion des Umfeldes oder der eigene Umgang mit dem Stottern zählen.
Betroffene aussprechen lassen und nicht unterbrechen
Im Umgang mit Betroffenen sollte laut der Logopädin darauf geachtet werden, die Person aussprechen zu lassen und nicht zu unterbrechen. „Man sollte aktiv zuhören, den Blickkontakt halten, auf den Inhalt des Gesagten achten und darauf antworten. Der Leidensdruck des Betroffenen sollte ernst genommen werden“, erklärt Hüsing. Wer das Sprechen „übernimmt“, indem er bei Schwierigkeiten Sätze vervollständigt, tut einem Stotterer hingegen keinen Gefallen. Denn dies bedeute für ihn keinerlei Erleichterung – und werde oft sogar als Bevormundung empfunden.
In der Therapie würden zwei unterschiedliche Ansätze angewandt, die entweder auf die Stärkung des Selbstbewusstseins und der Schulung der Selbstwahrnehmung oder auf das Erlernen einer speziellen Sprech-Technik abzielen. Auch wenn es nach Hüsing kein absolutes Heilungsversprechen geben könne, sei gesichert „dass es möglich ist, den Umgang mit dem eigenen Stottern zu verbessern.“
Vorübergehende Redeunflüssigkeiten im Kleinkindalter sind normal
Um betroffene Kinder bestmöglich zu unterstützen, sei es wichtig, dass „man möglichst viele Menschen mit ins Boot holt und aufklärt“, erläutert die 33-jährige Expertin weiter. Zudem sollte Offenheit im Umgang mit dem Thema herrschen, indem z.B. in der Schule über Merkmale und Eigenschaften der Kinder gesprochen wird. „Dabei erkennen die Mitschüler, dass das Stottern nur ein Merkmal von vielen ist, die die Persönlichkeit eines Menschen ausmachen“, sagt Hüsing. Ob das eigene Kind betroffen ist, könnten Eltern anhand von anhaltenden Redeunflüssigkeiten und verstärkter Anstrengung beim Sprechen erkennen. Treten die Störungen im Redefluss hingegen im Alter von drei oder vier Jahren nur zeitweise auf, sei dies „durchaus normal“.
„Wenn ein Kind ganze Wörter locker wiederholt, kann es sich um ein sogenanntes “Entwicklungsstottern” handeln. Wiederholungen einzelner Laute, Dehnungen oder Blockaden weisen dagegen auf “echtes Stottern” hin“, klärt die Expertin auf. Würden die Auffälligkeiten nach spätestens sechs Monaten nicht wieder verschwinden, verschreibe der Kinderarzt eine Sprachtherapie. (nr)
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Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.