Bundesverfassungsgericht verweist auf Selbstbestimmung der Häftlinge
Karlsruhe (jur). Strafgefangene können Einsicht in ihre komplette Krankenakte verlangen. Dies verlangt die Würde und Selbstbestimmung der Häftlinge, wie das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Freitag, 27. Januar 2017, veröffentlichten Beschluss entschied (Az.: 2 BvR 1541/15). Ausnahmen sind danach nur im Einzelfall aus gewichtigen Gründen zulässig.
Damit gab das Bundesverfassungsgericht einem Insassen der Justizvollzugsanstalt Straubing recht. In einem vorausgehenden Verfahren ging es um eine Untersuchung seiner Blutprobe auf HIV im Jahr 2007. Davon hatte er nichts gewusst, geschweige denn seine Zustimmung gegeben. Als er dies 2013 erfuhr, wurde der Aids-Test erst auf Intervention des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 20. Mai 2014, Az.: 2 BvR 2512/13) für rechtswidrig erklärt.
Der Häftling wollte nun wissen, was mit anderen Untersuchungen und Blutproben geschehen ist. Er beantragte daher eine umfassende Einsicht in seine Krankenakte.
Die Gefängnisleitung lehnte dies ab. Er könne lediglich eine „Aktenauskunft“ erhalten. Dafür müsse er allerdings angeben, bezüglich welcher Blutproben er eine Auskunft wünsche. Das Argument des Häftlings, ohne einen Überblick aus der Akte sei es ihm nicht möglich, konkrete Untersuchungen zu benennen, ließ die Anstaltsleitung nicht gelten. Auch das Landgericht Regenburg und das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg wiesen den Strafgefangenen ab.
Vor dem Bundesverfassungsgericht hatte der Häftling nun erneut Erfolg. Er sei „in seinem Grundrecht auf – auch informationelle – Selbstbestimmung und personale Würde“ verletzt.
Die Krankenakte umfasse besonders sensible private Daten, betonten die Karlsruher Richter zur Begründung. Das Bundesverfassungsgericht habe daher bereits 1998 entschieden, dass Ärzte und Krankenhäuser ihren Patienten Einsicht in die Krankenakte geben müssen; das Selbstbestimmungsrecht des Patienten müsse danach nur zurücktreten, wenn ihm entsprechend wichtige Belange entgegenstehen (Beschluss vom 16. September 1998, Az.: 1 BvR 1130/98).
Für Strafgefangene gelte dies in noch verschärftem Ausmaß. Denn sie könnten ihren Arzt nicht frei wählen oder bei fehlendem Vertrauen wechseln. Der Strafvollzug sei von einem „besonders hohen Machtgefälle“ geprägt, die Grundrechte der Gefangenen seien daher besonders gefährdet. Ohne Einsicht in die Krankenakte könnten sich die Häftlinge nicht
vergewissern, ob die Aktenführung den grundrechtlichen Anforderungen entspricht.
Entsprechend hatte das Bundesverfassungsgericht auch schon zum Maßregelvollzug für Straftäter in psychiatrischer Behandlung entschieden, dass hier „ein besonders starkes verfassungsrechtlich geschütztes Interesse“ an einer Akteneinsicht besteht (Beschluss vom 9. Januar 2006, Az.: 2 BvR 443/02).
Nach dem neuen, jetzt schriftlich veröffentlichten Beschluss vom 20. Dezember 2016 haben Strafgefangene auch im Gefängnis grundsätzlich Anspruch auf Einsicht in ihre Krankenakte. Ausnahmen seien nur zulässig, wenn „wenn einer Akteneinsicht entsprechend gewichtige Belange entgegenstehen“, etwa öffentliche Sicherheitsinteressen. In solchen Fällen müssten die Behörden dann aber prüfen, ob es ausreicht, Teile der Akte zu schwärzen oder auszusortieren.
Nach diesen Maßgaben soll im konkreten Fall nun das Landgericht Regensburg neu über die Freigabe der Krankenakte entscheiden. mwo
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