Langzeitstress: Meditation verringert Cortisol-Konzentration
Meditation (vom lateinischen Wort für „nachsinnen, nachdenken“) umfasst unterschiedliche Methoden, die häufig sehr alt und religiös begründet sind. Mittlerweile ist durch zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegt, dass sich Meditieren positiv auf die Gesundheit auswirken kann. So zeigt eine neue Studie nun, dass Meditationstraining Langzeitstress verringert.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig sowie der Forschungsgruppe Soziale Neurowissenschaften der Max Planck Gesellschaft in Berlin haben herausgefunden, dass mentales Training, das Fähigkeiten wie Achtsamkeit, Dankbarkeit oder Mitgefühl fördert, die Konzentration des Stresshormons Cortisol im Haar verringert. Die Cortisolmenge im Haar gibt Auskunft darüber, wie stark ein Mensch durch anhaltenden Stress belastet ist.
Alltagsstress auf Dauer reduzieren
Wie es in einer Mitteilung des Instituts heißt, leiden laut einer Studie der Techniker Krankenkasse (TK) 23 Prozent der Menschen in Deutschland häufig unter Stress.
Dieser Zustand belastet nicht nur das Wohlbefinden der Betroffenen, sondern er hängt auch mit einer Reihe von physiologischen Erkrankungen zusammen, darunter Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie psychologische Störungen wie Depression, einer der weltweit führenden Ursachen von Krankheitslast.
Daher wird nach wirksamen Methoden gesucht, die den Alltagsstress auf Dauer reduzieren. Als vielversprechende Option gelten dabei Achtsamkeitstrainings, in denen die Teilnehmenden durch verschiedene Meditations- und Verhaltensübungen ihre kognitiven und sozialen Fähigkeiten schulen, darunter Aufmerksamkeit, Dankbarkeit und Mitgefühl.
Verschiedene Studien haben bereits gezeigt, dass auch gesunde Menschen sich schon nach einem typischen achtwöchigen Trainingsprogramm weniger gestresst fühlen. Bislang war aber unklar, wie viel die Trainings tatsächlich dazu beitragen, die stetige Belastung durch alltäglichen Stress zu verringern.
Das Problem vieler bisheriger Untersuchungen zu chronischem Stress: Die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer sollten meist im Anschluss an das Training ihr Stresslevel selbst bewerten. Diese Selbstauskunft mithilfe von Fragebögen könnte aber die Effekte verzerrt haben und Ergebnisse positiver erscheinen lassen als sie es tatsächlich waren.
Verzerrte Aussagen
Der Grund für eine derartige Verzerrung: Die Probandinnen und Probanden wussten, sie trainierten ihre Achtsamkeit, und eine Reduktion der Stressspiegel war ein gewünschter Effekt dieses Trainings. Allein dieses Bewusstsein hat einen Einfluss auf die anschließend gegebenen Auskünfte.
„Wird man nach einem als stressreduzierend deklarierten Training gefragt, ob man gestresst ist, kann bereits die Auseinandersetzung mit dieser Frage die Aussagen verzerren“, erläutert Lara Puhlmann, Doktorandin am MPI CBS und Erstautorin der zugrundeliegenden Publikation, die vor kurzem in dem Fachmagazin „Psychosomatic Medicine“ erschienen ist.
Hier spielten Faktoren wie soziale Erwünschtheit und Placebo-Effekte eine Rolle. Anders als zum Beispiel bei pharmakologischen Studien, in denen die Studienteilnehmenden nicht wissen, ob sie tatsächlich den Wirkstoff erhalten haben oder nicht, sind sogenannte geblindete Untersuchungen bei mentalen Trainings nicht möglich.
„Die TeilnehmerInnen wissen, dass sie das ‚Gegenmittel‘ zu sich nehmen“, so Puhlmann. „In der Achtsamkeitsforschung nutzen wir daher zunehmend objektivere, also physiologische Methoden, um die stressreduzierende Wirkung präziser messen zu können.“
Konzentration von Cortisol im Haar
Als geeignete Messgröße für die Belastung durch anhaltenden Stress gilt laut den Fachleuten die Konzentration von Cortisol im Haar. Cortisol ist ein Hormon, das ausgeschüttet wird, wenn man sich beispielsweise mit einer überwältigenden Herausforderung konfrontiert sieht. In der jeweiligen Situation hilft das Stresshormon, den Körper in Alarmbereitschaft zu versetzen und Energie zu mobilisieren, um die Herausforderung zu bewältigen.
Je länger der Stress anhält, umso länger zirkuliert auch eine erhöhte Konzentration von Cortisol im Körper – und desto mehr sammelt sich davon im Haar an, das im Schnitt einen Zentimeter im Monat wächst. Um das Stresslevel der Teilnehmenden während des neunmonatigen Trainings zu messen, analysierten die Forschenden in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Clemens Kirschbaum der Universität Dresden also die Cortisol-Menge alle drei Monate jeweils in deren ersten drei Haar-Zentimetern, beginnend an der Kopfhaut.
Das mentale Trainingsprogramm bestand aus drei dreimonatigen Einheiten, die jeweils mithilfe westlicher und fernöstlicher mentaler Übungen einen bestimmten Fähigkeitsbereich schulen sollten. Der Fokus lag dabei entweder auf den Faktoren Aufmerksamkeit und Achtsamkeit, auf sozio-affektiven Fähigkeiten wie Mitgefühl und Dankbarkeit, oder auf sogenannten sozio-kognitiven Fertigkeiten, insbesondere der Fähigkeit zur Perspektivübernahme gegenüber eigenen und fremden Gedanken.
Drei Gruppen von jeweils rund 80 Probandinnen und Probanden absolvierten die Trainingsmodule in unterschiedlicher Reihenfolge. Trainiert wurde für bis zu neun Monate, 30 Minuten pro Tag, sechs Tage die Woche.
Und tatsächlich wurde festgestellt, dass die Cortisol-Menge in den Haaren der Teilnehmenden nach sechs Monaten Training deutlich gesunken war, im Schnitt um 25 Prozent. Den Angaben zufolge waren in den ersten drei Monaten zunächst leichte Effekte zu sehen, die sich in den darauffolgenden drei Monaten verstärkten. Im letzten Drittel blieb die Konzentration dann auf eher niedrigem Niveau.
Die Forscherinnen und Forscher gehen daher davon aus, dass erst ein ausreichend langes Training zu den gewünschten Stress-reduzierenden Wirkungen führt. Der Effekt schien dabei nicht von den Inhalten des Trainings abzuhängen. Es sind also möglicherweise mehrere der untersuchten mentalen Ansätze ähnlich effektiv, um den Umgang mit chronischem Alltagsstress zu verbessern.
Auswirkungen von chronischem Stress entgegenwirken
In einer früheren Studie hatten die Forschenden die Auswirkungen des Trainings auf den Umgang mit akuten Stresssituationen untersucht. Darin wurden die Teilnehmenden in ein stressiges Bewerbungsgespräch versetzt und sollten schwierige Mathe-Aufgaben unter Beobachtung lösen.
Hier zeigte sich: Diejenigen, die ein sozio-kognitives oder -affektives Training absolviert haben, stoßen bis zu 51 Prozent weniger Cortisol unter Stress aus als die untrainierten. In dem Fall wurde nicht die Cortisol-Menge im Haar, sondern akute Cortisol-Schübe im Speichel gemessen.
Insgesamt schließen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass das Training sowohl den Umgang mit akuten besonders stressigen sozialen Situationen, als auch mit chronischem Alltagsstress verbessern kann.
„Wir gehen davon aus, dass für diese verschiedenen Formen von Stress unterschiedliche Trainingsaspekte besonders hilfreich sind“, sagt Veronika Engert, Leiterin der Forschungsgruppe „Sozialer Stress und Familiengesundheit“ am MPI CBS.
„Weltweit gibt es viele Erkrankungen, darunter Depressionen, die direkt oder indirekt mit Langzeitstress zusammenhängen“, so Puhlmann. „Wir müssen daran arbeiten, den Auswirkungen von chronischem Stress schon präventiv entgegenzuwirken. Unsere Studie belegt dabei anhand physiologischer Messwerte, dass Meditations-basierte Trainingsinterventionen auch bei gesunden Personen die allgemeine Stressbelastung mildern können.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften: Haaranalysen zeigen: Meditationstraining verringert Langzeitstress, (Abruf: 09.10.2021), Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften
- : Lara M C Puhlmann, Pascal Vrtička, Roman Linz, Tobias Stalder, Clemens Kirschbaum, Veronika Engert, Tania Singer: Contemplative Mental Training Reduces Hair Glucocorticoid Levels in a Randomized Clinical Trial; in: Psychosomatic Medicine, (veröffentlicht: 01.10.2021), Psychosomatic Medicine
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.