Lange Wochenarbeitszeiten bedingen ein erhöhtes Schlaganfall-Risiko
Überstunden auf der Arbeit sind für viele Deutsche durchaus normal und über eine 35 Stunden Arbeitswoche wagen Berufstätige heute kaum noch zu sprechen. Die meisten Vollzeitbeschäftigten haben einen Arbeitsvertrag mit mehr als 40 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit und Selbstständige kommen hier leicht auf 50 Stunden oder mehr. Für die Gesundheit sind diese Arbeitszeiten laut einer aktuellen Studie äußerst nachteilig. So steigt das Schlaganfall-Risiko bereits ab 41 Arbeitsstunden pro Woche und auch die Wahrscheinlichkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird signifikant erhöht. Workaholics setzen sich hier einer nicht zu unterschätzenden Gesundheitsgefahr aus.
Das internationale Forscherteam um Mika Kivimäki, Professor für Epidemiologie am University College London, hat in der aktuellen Untersuchung die Daten aus 25 früheren Studien aus Europa, den USA und Australien ausgewertet. Die Wissenschaftler überprüften, welche Zusammenhänge zwischen der Arbeitszeit und dem Auftreten koronarer Herzkrankheiten (KHK) sowie dem Risiko eines Schlaganfalls bestehen. Dabei wurde deutlich, dass insbesondere bei den Schlaganfällen ein drastischer Anstieg im Zusammenhang mit steigenden wöchentlichen Arbeitszeiten eintritt. Auch bei den koronaren Herzkrankheiten erhöhte sich bei hohen Wochenarbeitszeiten das Risiko, allerdings deutlich weniger dramatisch. Ihre Ergebnisse haben die Forscher in dem Fachmagazin „The Lancet“ veröffentlicht.
Daten von über eine Millionen Patienten berücksichtigt
Insgesamt berücksichtigten die Forscher für die Meta-Analyse der koronaren Herzkrankheit die Daten von 603.838 Menschen, die zu Beginn der Studie nicht an einer KHK erkrankt waren. Die Meta-Analyse des Schlaganfall-Risikos beruhte auf den Daten von 528.908 Männern und Frauen, die bis dato keinen Schlaganfall erlitten hatten. In dem durchschnittlichen Beobachtungszeitraum von sieben bis acht Jahren erlitten insgesamt 4.768 Probanden eine koronare Herzkrankheit und 1.722 einen Schlaganfall. Die Wissenschaftler überprüften weiter, inwiefern hier ein Zusammenhang zwischen den Erkrankungen und den wöchentliche Arbeitszeiten besteht. Bereits ab 41 Stunden Wochenarbeitszeit war demnach gegenüber der Vergleichsgruppe (35 bis 40 Stunden Arbeitszeit) ein um zehn Prozent erhöhtes Schlaganfall-Risiko festzustellen.
Schlaganfall-Risiko um bis zu 33 Prozent erhöht
Das Schlaganfall-Risiko ist bei 41 bis 48 Stunden Wochenarbeitszeit um zehn Prozent erhöht, bei 49 bis 54 Stunden pro Woche um 27 Prozent und bei mehr als 55 Arbeitsstunden pro Woche um ganze 33 Prozent, berichten Kivimäki und Kollegen. Die extrem langen Arbeitszeiten (über 55 Stunden pro Woche) seien zudem mit einem um 13 Prozent erhöhten Risiko der Koronaren Herzkrankheit einhergegangen. Auch unter Berücksichtigung anderer Risikofaktoren, wie beispielsweise dem Alkohol- und Tabakkonsum oder Übergewicht, habe sich der Zusammenhang bestätigt. Die Forscher vermuten, dass der Stress der langen Arbeitszeiten zu biologischen Veränderungen im Körper führt, die im Laufe der Zeit tödliche Krankheiten auslösen können. Aber auch der Bewegungsmangel während der Arbeitszeit spiele hier möglicherweise eine Rolle. Beschäftigte im Gesundheitswesen sollten sich der Tatsache bewusst sein, dass lange Arbeitszeiten mit einem signifikant erhöhten Risiko für Schlaganfälle und vielleicht auch koronare Herzkrankheiten in Verbindung zu bringen sind, betont Mika Kivimäki.
Arbeitszeiten international sehr unterschiedlich
Die aktuelle Studie von Kivimäki und Kollegen liefert die bislang „stärksten Hinweis auf einen kausalen Zusammenhang zwischen langen Arbeitszeiten und einem Aspekt der Herzkreislauferkrankungen, nämlich den Schlaganfällen“, erläutert die schwedischen Wissenschaftlerin Urban Janlert von der Umeå University in einem Kommentar des Fachmagazins „The Lancet“. Allerdings würden die Autoren weniger überzeugende Verbindungen zwischen langen Arbeitszeiten und koronaren Herzkrankheiten darlegen. Insgesamt seien die Arbeitsbedingungen jedoch wichtige Determinanten der Gesundheit, welche mitunter allerdings nur schwer geändert werden können (zum Beispiel Tiefbauarbeiten, Klimabedingungen oder toxische Expositionen). Die Länge eines Arbeitstages sei jedoch eine menschliche Entscheidung und wenn lange Arbeitszeiten eine Gefahr für die Gesundheit darstellen, sollte es möglich sein, sie zu verkürzen, betont Urban Janlert. Besonders lange Arbeitszeiten habe im internationalen Vergleichen die Türkei, wo 43 Prozent der Berufstätigen mehr als 50 Stunden pro Woche arbeiten, während die in den Niederlanden weniger als ein Prozent der Berufstätigen auf entsprechende Arbeitszeiten kommen, so Janlert weiter. Insgesamt würden in den OECD-Staaten durchschnittlich 12 Prozent der erwerbstätigen Männer und fünf Prozent der erwerbstätigen Frauen mehr als 50 Stunden pro Woche arbeiten.
Verkürzung der Arbeitszeiten angebracht?
Professor Martin Grond vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Neurologie erklärte gegenüber dem Nachrichtensender „n-tv“, dass die aktuellen Studienergebnisse hochinteressant seien und der Zusammenhang zwischen den langen Wochenarbeitszeiten und dem deutlich erhöhten Risiko für einen Schlaganfall auch für Neurologen eine Überraschung darstelle. Bisher hätten Workaholics eher als Risikopatienten für einen Herzinfarkt gegolten. In weiteren Studien sei nun zu klären, auf welche Weise der Zusammenhang zwischen den Arbeitszeiten und den Schlaganfällen entstehe. Beispielsweise könnten Stress, Schlafmangel oder Bluthochdruck eine Rolle spielen. Zudem sollten die aktuellen Ergebnisse laut Aussage des Experten Vielarbeiter motivieren, „zusätzliche Risikofaktoren zu meiden und ganz besonders auf eine gesunde Lebensweise und einen adäquaten Ausgleich zu achten.“ Eine angemessene Work-Life-Balance ist angesichts des deutlichen Zusammenhangs zwischen den Arbeitszeiten und dem Schlaganfall-Risiko dringend angebracht. Hier scheint die aktuelle Studie eine gute Basis für die Neueröffnung der Diskussion über die 35 Stunden Woche, denn die heute in Deutschland üblichen Wochenarbeitszeiten stellen offensichtlich ein Gesundheitsrisiko dar. (fp)
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