Großstädte machen Menschen krank
30.08.2013
Für viele Menschen wirkt sich das Leben in der Großstadt negativ auf die Psyche aus, darin sind sich die Mediziner einig. Doch welche Faktoren für die gesundheitliche Veränderung verantwortlich sind, lässt sich nicht genau bestimmen. Sicherlich tragen der Lärm und das Zusammenleben auf engen Raum mit dazu bei. Städte kommen nicht zur „Ruhe“. Es ist immer was los. Gerade für junge Menschen, ein Grund in die Großstadt zu ziehen. Es lässt sich sogar am Gehirn des Menschen erkennen, ob er in der Großstadt oder auf dem Land groß geworden ist.
Für Mazda Adli Leiter des Forschungsbereiches Affektive Störungen an der Berliner Charité und Chefarzt der Fliedner-Klinik bedeutet die Dauerstimulation vor allem Stress für den Menschen. Der Mediziner geht seit Jahren der Frage nach, in wie weit Großstädte sich auf die psychische Gesundheit auswirkt. "Vermutlich ist es die Mischung aus sozialer Dichte und sozialer Isolierung, die den Stadtstress ausmacht", sagt er.
In etwa die Hälfte der Menschheit lebt derzeit schon in Städten. Tendenz steigend
Diverse Studien kamen zu dem Ergebnis, dass Stadtmenschen ein doppelt so hohes Erkrankungsrisiko für Schizophrenie haben. Für Depressionen liegt es beim 1,4-fachen im Vergleich zu Landbewohnern (Os, Nature 2010). "Es gibt sogar ein Dosis-Wirkungsverhältnis: Je größer die Stadt, desto höher das Schizophrenie-Risiko. Damit ist dieser Faktor vergleichbar hoch wie Cannabis-Konsum, der ja ein bekannter Risikofaktor für Schizophrenie ist", sagt Adli. Suchterkrankungen hingegen kommen in Stadt und Land gleich häufig vor.
Großstädte verändernden die Menschen
"Es gibt zwei Thesen. Die eine lautet: Die Stadt verändert den Menschen. Die andere: Labile Menschen ziehen eher in die Stadt. Eine Reihe von Untersuchungen zeigt jedoch, dass eher ersteres gilt", sagt Adli. "Städte verändern die stressabhängige Emotionsverarbeitung."
Eine Studie aus Mannheim (Lederbogen, Nature 2011) ergibt, dass das Gehirn von Großstädtern bei negativem Stress anders und deutlich empfindlicher reagiert als das von Kleinstädtern. Der Unterschied wird erst recht bei Landbewohnern deutlich. Das zeigte sich beim Lösen dem Lösen schwieriger Matheaufgaben plus kritischem Feedback –
"Je länger ein Mensch in der Stadt verbracht hat, vielleicht sogar bereits als Kind, desto geringer ist die Fähigkeit zur Emotionskontrolle. Und diese Vulnerabilität bleibt bestehen – selbst wenn man als Erwachsener aufs Land zieht." Stadtleben macht jedoch nicht zwangsläufig krank. Natürlich spielen genetische Faktoren und Umwelteinflüssen auch eine Rolle.
Für Adli ist, Stress dann gesundheitsrelevant, wenn der Einzelne sich nicht nur räumlich eingeengt fühlt. Dies gepaart mit dem Gefühl, sein Umfeld nicht kontrollieren zu können, wirkt sich negativ aus. "Das ist die toxische Mischung." Vermutlich deshalb würden beispielsweise Migranten, die in einem sozial schwächeren Viertel zusammen lebten, seltener psychisch krank als solche, die allein in einer besser gestellten Umgebung wohnten.
Mehr Zusammenarbeit von Stadtplanern und Psychiatern
Prof. Andreas Heinz, Direktor der Charité-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, sieht in der aktiven sozialen Ausgrenzung von Einwanderern ein dringliches Problem. In London sei die Zahl der psychischen Erkrankungen bei Migranten aus der Karibik acht Mal so hoch wie bei Einheimischen. "Wenn zu viele gewachsene, soziale Strukturen weggespart werden, reißt das Auffangnetz irgendwann." Mit der Gentrifizierung von Straßen und ganzen Stadtvierteln würden nicht nur alteingesessene Bewohner verdrängt, sondern auch deren Anlaufstellen wegfallen. Dies heißt im Gegenzug, dass Jugendzentren, Beratungsstellen und Begegnungsmöglichkeiten offen gehalten werden müssen.
Veränderungen in der Stadtplanung kann dem entgegenwirken. Beispielsweise können Breitere Bürgersteige, Platz für eine Bank vorm Haus bieten. Mehr Grünflächen könnten als Treffpunkte genutzt werden, an denen sozialer Austausch entsteht und das miteinander gefördert wird. Dies kann sozialer Isolation entgegenwirken
"Jeder Plausch mit den Nachbarn tut gut", sagt Adli, und Heinz betont: "Ein Park, in dem gegrillt wird, bringt mehr als eine perfekte Grünanlage, in der ‘Rasen betreten verboten’ ist." Stadtplaner und Architekten sollten stärker mit Psychiatern zusammenarbeiten, so die Ansicht der Forscher. Prof. Florian Holsboer, Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie (München) rät: "Jeder muss sich seines individuellen Gesundheitsrisikos bewusst sein und entscheiden, ob er die Chance, die ihm das Großstadtleben eröffnet, nutzen will." (fr)
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