WHO veröffentlicht ersten "Welt-Suizid-Report"
05.09.2014
Nimmt sich ein Mensch das Leben, reagieren die Medien normalerweise sehr zurückhaltend. Nicht ohne Grund, denn wie langjährige Dokumentationen belegen, regen detaillierte Medienberichte über Selbsttötungen zur Nachahmung an. Dementsprechend bittet auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO), mit den Daten des ersten "Welt-Suizid-Reports" verantwortungsbewusst umzugehen. Demnach nehmen sich jedes Jahr mehr als 800.000 Menschen weltweit das Leben, hinzu kommen mehrere Millionen Suizidversuche.
Detaillierte Medienberichte bergen das Risiko für „Werther-Effekt“
Im Falle eines Suizids erfährt der Leser oder Hörer nur selten nähere Details. Mit gutem Grund, denn wie verschiedene Studien gezeigt haben, steigt nach einer ausführlichen Berichterstattung jedes Mal auch die Zahl der Suizide. Dabei betrifft der so genannte „Werther-Effekt“ offenbar nicht nur Menschen, die sich im Laufe des Jahres sowieso das Leben genommen hätten. Stattdessen handele es sich aus Expertensicht auch um zusätzliche Selbstmorde. Dementsprechend reagieren die Medien normalerweise sehr bedacht und folgen der Richtlinie des Deutsche Pressrats zum Schutz der Persönlichkeit (Ziffer 8), in der es heißt: „Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer Begleitumstände.“
Mehr als 800.000 Menschen nehmen sich jährlich weltweit das Leben
Aus diesem Grund appelliert auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) anlässlich der Veröffentlichung des ersten "Welt-Suizid-Reports" an einen verantwortungsvollen Umgang mit den sensiblen Daten. Denn Suizid ist nach wie vor ein sehr ernstzunehmendes Thema, welches weit mehr Menschen betrifft, als häufig angenommen. Wie die WHO berichtet, nehmen sich jedes Jahr mehr als 800.000 Menschen weltweit das Leben, hinzu kommen mehrere Millionen Suizidversuche. Damit bilde der Suizid der Organisation nach in der Altersgruppe der 15 – bis 29-Jährigen die zweithäufigste Todesursache. Dementsprechend müsse das Thema „Selbsttötung“ laut der WHO-Generaldirektorin Margaret Chan endlich stärker in den Fokus gerückt werden: „Dieser Bericht ist ein Aufruf zum Handeln, um ein großes Problem der öffentlichen Gesundheit anzugehen, welches viel zu lange tabuisiert worden ist.“ Für die Staaten bedeute dies konkrete Aktionen, denn „jeder Suizid ist eine Tragödie, die Familien, Gemeinden und ganze Länder betrifft", so Margaret Chan weiter. In der Folge hätten Hinterbliebene oft noch Jahre später mit Traumata und psychischen Problemen zu kämpfen.
Drei von vier Selbsttötungen werden in ärmeren Staaten verübt
Beim Suizid handele es sich laut Margaret Chan zwar um ein globales Phänomen, dennoch würden sich im internationalen Vergleich starke Unterschiede bei der Suizidrate zeigen. Demnach würden drei von vier registrierten Selbsttötungen in Staaten mit niedrigem oder mittleren Einkommen verübt. In einigen Länder sei dabei im Jahr 2012 die Rate mit mehr als 20 Fällen pro 100.000 Einwohnern extrem hoch gewesen, berichtet die Organisation. Hierzu gehören unter anderem Burundi, Guyana, Kasachstan, Litauen und Nepal, ebenso wie Korea (Nord- und Süd-), Sri Lanka und Tansania. Eine erschreckend hohe Zahl, denn hierzulande würden „nur“ gut neun von 100.000 Menschen jährlich einen Suizid verüben, davon etwa dreimal so viele Männer wie Frauen – ein Phänomen, dass auch "in anderen einkommensstarken Ländern auftritt". In ärmeren Ländern hingegen sei die Kluft zwischen den Geschlechtern laut der WHO nicht so groß, hier seien "Männer nur geringfügig häufiger betroffen als Frauen". Keine Unterschiede gäbe es hingegen "in Hinblick auf die Altersstruktur, denn auffällig sei, dass weltweit die meisten Selbsttötungen von Menschen über 70 Jahren verübt würden".
Ursachen häufig psychische Störungen und Alkoholmissbrauch
Auslöser für den Wunsch zu sterben, seien dabei oft schwere psychische Probleme wie beispielsweise Depressionen, in vielen Fällen ausgelöst oder begleitet durch einen übermäßigen Alkoholkonsum oder Drogenmissbrauch. Hinzu kämen Ursachen wie berufliche und/oder finanzielle Probleme, schwere Krankheiten oder unerträgliche, chronische Schmerzen, möglich sei aber auch, dass „ein allgemeine Gefühl der Hoffnungslosigkeit“ einen Menschen dazu bringt, sich das Leben zu nehmen. Zudem seien auch genetische und biologische Faktoren und bereits verübte Fälle im familiären Umfeld relevant, ebenso wie äußere Einflüsse in Form von Kriegen und Konflikten und körperlichem oder sexuellem Missbrauch. Auch die hohe Rate der Selbstmordversuche sei dem Bericht nach unbedingt ernst zu nehmen, denn ein gescheiterter Versuch führe häufig dazu, dass Betroffene es erneut versuchen würden – auch weil ein „Misslingen“ oft eine gesellschaftliche Stigmatisierung zur Folge hätte.
Ziel: Bis 2020 Verringerung der Suizidraten um zehn Prozent
Laut dem Bericht sei es das Ziel der WHO-Mitgliedsländer, bis zum Jahr 2020 eine Verringerung der Suizidraten um zehn Prozent zu erreichen. Zu diesem Zweck veröffentlichte die WHO parallel zu ihrem Welt-Suizid-Report auch verschiedene Präventionsmaßnahmen. Diese sehen unter anderem einen eingeschränkten Zugang zu Waffen, Giften und gefährlichen Medikamenten vor, zudem sei es der WHO nach wichtig, weiterhin gegen Alkoholmissbrauch zu kämpfen. Ebenso müssten Menschen mit psychischen bzw. mentalen Problemen oder chronischen Schmerzen mehr Unterstützung und Betretung erhalten. Dementsprechend appellierte Margaret Chan an die Staaten, mehr Geld in die Prävention zu investieren – denn bislang gäbe es lediglich in 28 Ländern entsprechende Programme. „Dieser Bericht, die erste WHO-Publikation dieser Art, präsentiert einen umfassenden Überblick über Suizid, Suizidversuche und erfolgreiche Suizidpräventionsbemühungen weltweit. Wir wissen, was funktioniert. Jetzt ist es Zeit, zu handeln“, so die Direktorin der WHO-Abteilung „Mental Health and Substance Abuse“, Dr Shekhar Saxena. (nr)
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