Geheimnis des Winterschlafes: Blut von Bären schützt vor Muskelabbau
Bären können fünf bis sieben Monate Winterschlaf ohne essen und trinken halten. Beim Menschen reichen bereits drei Wochen Inaktivität aus, damit die Muskeln beginnen abzubauen. Ein japanisches Forschungsteam entdeckte nun, warum die Bären diese außergewöhnliche Fähigkeit besitzen. Das Geheimnis steckt im Blut der Tiere und soll nun für den Menschen nutzbar gemacht werden.
Forschende der Hiroshima University in Japan fanden heraus, warum Bären lange Phasen von Inaktivität überstehen können und dabei nur einen begrenzten Muskelverlust und minimale Stoffwechselstörungen erleiden. Die Erkenntnisse, die kürzlich in dem renommierten Fachjournal „PLOS ONE“ vorgestellt wurden, könnten zu neuen Therapien gegen Muskelschwund und Stoffwechselstörungen führen.
Beim Menschen bauen sich Muskeln schnell ab
Der Mensch ist nicht auf längere Phasen der Inaktivität ausgelegt. Bereits nach wenigen Wochen ohne körperliche Anstrengung beginnt der Körper mit dem Abbau von Muskelmasse und dem Aufbau von Fettgewebe
Langfristig entsteht durch Bewegungsmangel ein erhöhtes Risiken für Übergewicht, Diabetes und Herzkrankheiten.
Bären überstehen Monate der Inaktivität unbeschadet
Bären überstehen im Winterschlaf eine lange Periode der Inaktivität, ohne einen nennenswerten Verlust körperlicher Fähigkeiten. Wie es Bären gelingt, diese Phase unbeschadet zu überstehen, wurde nun von der japanischen Arbeitsgruppe der Hiroshima University untersucht.
Use it or lose it
„Das Phänomen ‘use it or lose it’ (nutze es oder verliere es) ist ein anerkanntes physiologisches Prinzip für die Skelettmuskulatur, die je nach funktioneller Beanspruchung sehr plastisch ist“, erläutert Studienerstautor Professor Mitsunori Miyazaki.
„Bei vielen Tierarten, einschließlich des Menschen, führt Nichtgebrauch typischerweise zu Skelettmuskelschwund und Stoffwechselstörungen“, betont Miyazaki.
Winterschlaf-Tiere scheinen besondere Resistenzen zu besitzen
„Im Gegensatz dazu sind Tiere, die Winterschlaf halten, wahrscheinlich besser mit dem Phänomen ‘no use, but no lose’ (nichts tun und trotzdem nichts verlieren) zu beschreiben“, verdeutlicht der Wissenschaftler. Diese Tierarten scheinen eine potenzielle Resistenz gegen Muskelschwund bei langen Phasen der Passivität zu besitzen.
Blut von Schwarzbären analysiert
Um dieses Geheimnis zu lüften, analysierte das Team das Blut von überwinternden japanischen Schwarzbären und entdeckte dabei einen entscheidenden Unterschied zum Blut von Säugetieren, die keinen Winterschlaf halten.
Muskelmasse durch ein dynamisches Gleichgewicht bestimmt
Wie die Forschenden erklären, wird die Muskelmasse im Allgemeinen durch das dynamische Gleichgewicht zwischen der Synthese und dem Abbau von Proteinen bestimmt. In dem Blut von Bären im Winterschlaf war dieses Gleichgewicht jedoch gestört.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler führten dies auf eine unterdrückte Expression eines bestimmten Proteins namens MuRF1 (Muscle RING-finger protein-1) zurück, dass normalerweise dafür sorgt, dass ungenutzte Muskeln abgebaut werden.
Zudem konnte das Team feststellen, dass die Werte des Wachstumsfaktor-Hormons IGF-1 (insulinähnlicher Wachstumsfaktor-1) im Serum der überwinternden Bären deutlich erhöht war. Dies scheint mit der Hemmung von MuRF1 in Verbindung zu stehen.
Blutserum von Bären wirkte auf menschliche Zellen
In einem weiteren Versuch machte die Arbeitsgruppe eine erstaunliche Entdeckung. Sie mischten das Blutserum der überwinternden Schwarzbären unter menschliche Skelettmuskelzellen. Die kultivierten menschlichen Muskelzellen zeigten nach einer 24-stündigen Behandlung ein signifikantes Proteinwachstum.
Wurde das Blutserum von Bären aus der aktiven Sommerzeit verwendet, wurde dieser Proteinzuwachs hingegen nicht beobachtet. Das Team bestätigt somit erstmals, dass die einzigartigen Faktoren, die im Blut der Bären vorhanden sind, nur während des Winterschlafs aktiviert werden und trotz monatelanger Inaktivität Muskelschwund verhindern.
Fähigkeit lässt sich auf menschliche Zellen übertragen
„Wir haben angedeutet, dass irgendein Faktor, der im Serum überwinternder Bären vorhanden ist, den Proteinstoffwechsel in kultivierten menschlichen Skelettmuskelzellen regulieren und zur Erhaltung der Muskelmasse beitragen kann“, resümiert Miyazaki.
Zugrundeliegender Mechanismus noch nicht ausreichend verstanden
Den genauen Mechanismus, der diesem Prozess zugrunde liegt, konnten die Forschenden bislang jedoch noch nicht entschlüsseln. Die Klärung dieses unerforschten Mechanismus könnte zu neuen Therapien gegen Muskelabbau führen und Rehabilitationsmethoden revolutionieren, hoffen die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Hiroshima University: Bears got hibernation power in their blood but identity of ‘superhero’ components still a mystery (veröffentlicht: 15.07.2022), hiroshima-u.ac.jp
- Mitsunori Miyazaki, Michito Shimozuru, Toshio Tsubota, et al.: Supplementing cultured human myotubes with hibernating bear serum results in increased protein content by modulating Akt/FOXO3a signaling; in: PLOS ONE (2022), journals.plos.org
Wichtiger Hinweis:
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