Syphilis nimmt wieder zu. Die „Lustseuche“, die christliche Sittenwächter als Strafe Gottes für ein ausschweifendes Sexualleben sahen, gehörte im 19. Jahrhundert zu den großen Schrecken – vergleichbar der Tuberkulose oder Cholera.
Franzosenkrankheit?
Die Seuche bekam den Namen Franzosenkrankheit, weil bei der Belagerung von Neapel Ende des 16. Jahrhunderts hunderte französische Soldaten an der Seuche starben.
Ein sündiger Hirte
1530 schrieb ein italienischer Arzt ein Gedicht über den lüsternen Hirten Syphilus, der als Strafe für seine sexuellen Obsessionen mit Krankheit gestraft wurde.
Könige und Schriftsteller
Iwan der Schreckliche litt ebenso daran wie Katharina die Große, der Ritter Ulrich von Hutten wie Ludwig XIV, der Sonnenkönig. Die Syphilis traf Maler wie Edouard Manet, Schriftsteller wie Guy de Maupassant und E.T. A. Hoffmann, Politiker wie Gabriel de Piqueti Mirabeau und Armand Jean du Plessis Richelieu.
Beethoven und Nietzsche
Ludwig von Beethoven (1770-1827) verlor durch die Krankheit sein Gehör und verbrachte die letzten 20 Lebensjahre in Taubheit.
Friedrich Nietzsche starb am 25.8.1900 geistig umnachtet in Weimar. Nietzsches erster Pathobiograf Moebius hielt die psychischen Störungen des Philosophen für eine typische Folge der Syphilis. Ob Nietzsche an Syphilis litt, ist bis heute umstritten.
Syphilis oder Tripper?
Syphilis wurde indessen über Jahrhunderte nicht von Tripper unterschieden und beides als Lues bezeichnet, und Nietzsche hatte Freunden von einer Tripper-Infektionen während seiner Studienzeit erzählt.
Da die Nervenstörungen erst in einem späten Stadium der Syphilis auftreten, wäre es durchaus möglich, dass er sich Jahrzehnte vorher infizierte. Diskutiert werden aber auch eine Krebserkrankung und Überlastung des zentralen Nervensystems des Denkers.
Gauguin und Van Gogh
Die Maler Vincent van Gogh und Paul Gauguin (gest. 1890 und 1903) zogen sich beide die Seuche zu, ebenso Heinrich Heine und Goethe.
Oscar Wilde und Charles Baudelaire
Die Lebemänner Oscar Wilde und Charles Baudelaire erkrankten beide an der Geschlechtskrankheit, und ihre konservativen Feinde machten das „unmoralische“ Leben der beiden Bonvivants verantwortlich.
Hitler und Mussolini
Die prominentesten Erkrankten an der Syphilis waren Adolf Hilter und Benito Mussolini. Auch der Diktator von Uganda, der am Victoriasee Hitler mit einem Denkmal huldigen wollte, infizierte sich.
Eine mysteriöse Erblindung Hitlers in Pasewalk war laut dem Augenarzt Dr. Neubauer das Sekundärstadium der Syphilis, genauer gesagt die Iridocyclitis syphilitica. Hitler brauchte aufgrund dieser Sehschwäche eine Schreibmaschine mit besonders großen Buchstaben.
Aus dem Bewusstsein verschwunden
Heute ist die Syphilis aus dem Alltagsbewusstsein verschwunden – nicht aber aus den Krankenhäusern. Im Unterschied zu AIDS kennen zwar viele Menschen die „Franzosenkrankheit“, aber eher als historisches Phänomen wie die Pest.
Tausende von Infizierten
Das ist jedoch ein Trugschluss: 2015 infizierten sich laut Robert-Koch-Institut 6834 Menschen in Deutschland mit der Krankheit – und Syphilis kann noch heute das Leben gefährden. Im Frühstadium lässt sie sich jedoch sehr effektiv bekämpfen.
Ein Bakterium
1905 entdeckten der Berliner Arzt Erich Hoffmann und der Zoologe Fritz Schaudinn den Erreger: Treponema pallidum, ein Bakterium, löst die Erkrankung aus. Es gelangt in der Regel durch Oral- oder Vaginalverkehr in den Organismus und dringt durch kleine Verletzungen ein.
Laut Norbert Bockmeyer vom Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin in Bochum können sich Menschen, die ungeschützten Verkehr mit Infizierten haben, zu 60% anstecken.
Das Geschwür
Die ersten Symptome treten erst mehrere Wochen nach der Infektion auf.
Zuerst bildet sich ein Geschwür, in der Regel dort, wo das Bakterium eindrang, also an den Genitalien oder am Mund. Dieses Geschwür heilt zwar ab, doch das bedeutet keine Entwarnung.
Hautausschlag
Die Erreger verteilen sich jetzt nämlich im gesamten Körper. Damit beginnt Stadium 2. Die Betroffenen leiden unter Hautausschlag und Fieber. Auch diese Symptome vergehen von selbst.
„Gehirnerweichung“
Das dritte Stadium tritt oft erst Jahre nach der Infektion ein. Die Erkrankten leiden bisweilen unter Psychosen und Demenz. Die Bakterien führen nämlich oft dazu, dass sich Gewebe im Gehirn und Rückenmark abbaut. Im 19. Jahrhundert war diese Neurosyphilis als „syphilitischer Schwachsinn“ bekannt.
Penizillin hilft
1928 entdeckte Alexander Fleming das Penizilin, und damit wurde Syphilis heilbar. Im ersten Stadium reicht meist eine Penizillin-Spritze um die Krankheit einzudämmen und das Bakterium abzutöten.
Syphillis-Prävention gleich AIDS-Vorsorge
Um sich überhaupt nicht erst zu infizieren, gelten die gleichen Regeln wie beim Safer Sex, um Aids zu verhindern. Benutzen Sie also beim Geschlechtsverkehr Kondome. Diese bieten keinen 100%igen Schutz, aber die Gefahr, sich anzustecken, sinkt rapide.
Eine Männerkrankheit
Betroffen sind insbesondere homosexuelle Männer, die Geschlechtsverkehr mit anderen Männern haben. Derzeit sind das circa 85 % der Infizierten.
Eine Krankheit von Homosexuellen ist Syphillis aber nicht, wohl aber eine Erkrankung von Männern. Nur 6,2 % der Infizierten sind Frauen.
Neue Sorglosigkeit
Brockmeyer sieht eine „neue Sorglosigkeit“ als entscheidenden Faktor für die Wiederkehr der Syphilis. Sexualpartner würden vor dem ersten erotischen Treffen chatten und sich durch dieses virtuelle Kennenlernen in falscher Sicherheit wiegen.
Bessere AIDS-Medikamente
Eine weitere Ursache für die Verbreitung der Geschlechtskrankheit könnte in der fortgeschrittenen Behandlung von HIV-Patienten liegen. Heutige Medikamente dämmen die Anzahl der Viren so wiet ein, dass auch HIV-Positive ungeschützten Sexualverkehr haben können, ohne ihre Partner anzustecken.
Die Ende der 1980er weit verbreiteten Praktiken, Safer Sex zu praktizieren, erscheinen so bei AIDS nicht mehr zwingend notwendig, und durch diesen fehlenden Schutz kann der Syphilis-Erreger besser eindringen.
Kaum jemand denkt an Syphilis
Syphillis verschwand so weit aus der Wahrnehmung, dass Infizierte in den beiden Frühstadien oft nicht an die Krankheit denken – und das betrifft vermutlich auch viele Ärzte.
Ein kleines Geschwür, das von selbst vergeht, kann nämlich viele Ursachen haben, und Beschwerden, die verschwinden, stufen wir gewöhnlich nicht als ernst ein.
Das ist es auch nicht: Mögliche Taubheit, Blindheit oder zerstörte Hirnfunktionen wie Nervenschäden folgen aber womöglich. Syphilis führt heute zwar meist nicht mehr zum Tod, kann aber schlimme Spätfolgen haben. (Dr. Utz Anhalt)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.