Der US-Amerikanische Tabakproduzent Philip Morris soll Studien manipuliert haben
21.12.2011
Seit Jahren werfen Kritiker der Tabaklobby vor, Studien zu manipulieren, um die Gesundheitsgefahren von Tabak herunterzuspielen. Während die Gefahren des Nervengifts Nikotin, Teer, Arsen, Blei, Cadmium und Formaldehyd eindeutig belegt sind, behaupten immer wieder Hersteller, bei Zusatzstoffen wie z.B. Menthol, Feuchtigkeitsmitteln oder Konservierungsstoffen bestehe eine relative Ungefährlichkeit und verweisen auf selbst initiierte Studien. Doch Wissenschaftler werfen unter anderem dem Konzern „Philip Morris“ vor, negative Studiendaten positiv umzudeuten, um Gefahren für Konsumenten herunterzuspielen.
Tragen Zusatzstoffe zur Giftigkeit bei?
In einer Zigarette sind weit mehr Stoffe als Nikotin oder Teer enthalten. Je nach Fabrikat und Sorte werden zusätzliche Stoffe beigemischt, um zum Beispiel den Geschmack zu verändern oder das Produkt haltbarer zu machen. Eben bei diesen Zusatzstoffen ist eine scharfe Diskussion zwischen Lobbyisten und Gegnern entstanden. In der Debatte werfen nunmehr die Tabakgegner dem Tabakkonzern vor, gezielt negative Studienergebnisse in der Öffentlichkeit herunter zuspielen.
Welche gesundheitlichen Gefahren gehen von Zusatzstoffen wie Menthol oder Feuchtigkeitsmitteln in Tabakwaren aus? Die Lobby der Hersteller behauptet, die Gefahren wären zu vernachlässigen oder gar nicht vorhanden. Die Stoffe würden nicht wesentlich zur Giftigkeit der Zigarette beitragen, so das Hauptargument der Industrie. Doch ein wissenschaftliches Forscherteam aus mehreren Ländern sagt das Gegenteil: In Wahrheit tragen die Stoffe im hohen Maße an der Toxizität der Inhaltsstoffe bei. Demgegenüber sagt die Tabaklobby, die Behauptungen seien sachlich falsch und verweist auf einige Studienarbeiten auf diesem Gebiet. Die Antwort der Wissenschaftler im Fachblatt "PLoS Medicine": Der Konzern Philip Morris habe Daten gezielt manipuliert und die Gesundheitsgefahren heruntergespielt.
Zusätzliche Gefahr für die Gesundheit
Wissenschaftliche Autoren haben in dem Fachmagazin "PLoS Medicine" die Studiendaten ehemals geheimer Daten der Tabakindustrie ausgewertet. Weil mehrere Menschen, die an Lungenkrankheiten leiden, Haftungsklagen gegen den Hersteller in den USA starteten, musste der Konzern die Dokumente offenlegen. Die Forscher analysierten die Studienarbeiten und die Ergebnisse von Philip Morris bei der es um die Auswertung von genau 333 Zusatzstoffen ging. Die Testungen zeigten, dass die Stoffe selbst zahlreiche „negativ biologische Konsequenzen“ produzieren, wie die Autoren der neuen Datenauswertung schreiben. Die beigemengten Stoffe erhöhen somit den Anteil der Krebsstoffe von 15 Chemikalien wie Arsen, Cadmium, Blei und Formaldehyd um mindestens ein Fünftel, wie Stanton Glantz der University of California in San Francisco schreibt. Damit sei widerlegt, dass das Resümee der Tabaklobby falsch sei, die Stoffe würden nicht wesentlich zur Toxizität des Rauches beitragen.
Gehalt von chemischen Stoffen wird erhöht
Die Auswertungen der Forscher haben ergeben, dass die beigefügten Zusatzstoffe überaus toxisch wirken und die Gesundheit des Konsumenten zusätzlich gefährden. So wird der Gehalt der chemischen Stoffe wie Cadmium, Blei, Formaldehyd und Blei je nach zugefügter Menge und Substanz vielfach um ein Fünftel erhöht. Bei einigen Stoffen war die Erhöhung des Gehalts sogar noch höher.
Wurden wissenschaftliche Standards missachtet?
Die weiteren Vorwürfe bedeuten im wahrsten Sinne des Wortes „harter Tobak“: Die konzernintern betitelte Studie mit der Bezeichnung „Projekt MIX“ im Auftrag des Unternehmens habe vielfach wissenschaftliche Standards umgegangen, wie der Arzt und Forscher Thomas Kyriss schreibt. Kyriss gehört ebenfalls zu den Studienautoren und wirkte mit an der Auswertung. Als Beispiel nannte der Mediziner, dass die Anzahl der Labortiere in den Versuchsreihen als zu gering angesetzt waren. Zudem seien „nachträgliche Veränderungen an den Analyseprotokollen“ vorgenommen worden. Der Mediziner ist Facharzt für Lungenchirurgie und arbeitet an der Klinik Schillerhöhe bei Stuttgart. Kritisch zu betrachten sei darüber hinaus die anschließende statistische Aufbereitung der Studie.
„Bewusste Manipulationen und Täuschungen“
Der Mediziner wirft zudem dem Hersteller Philip Morris vor, bewusste Manipulationen und Täuschungen vorgenommen zu haben. Erstmals sei es aber nun gelungen, den Vorwurf der seit Jahren von Kritikern erhoben wird, durch die Studienauswertung im Kontext der Zusatzstoffe zu erhärten. Der Tabakkonzern habe nach Meinung des Experten die gefährlichen Wirkungsweisen der zusätzlichen beigemengten Zusatzstoffe heruntergespielt, um die öffentliche Meinung insbesondere in den USA zu beeinflussen.
Ein weiterer kritischer Umstand ist das Veröffentlichungsmedium, in dem die Ergebnisse der Studie des Unternehmens publiziert wurde. Die Forscher der aktuellen Auswertung werfen dem Fachblatt eine indirekte Nähe zur Tabakindustrie vor. Ein Herausgeber der Zeitschrift sowie 11 Mitglieder des redaktionellen Beirates hätten laut Aussagen des Forscherteams Kontakte zu den Tabakherstellern. Daher sollten nach Meinung der Kritiker unabhängige Experten, Gesundheits- sowie Regulierungsbehörden veröffentlichte Studien zu diesem Thema „nicht so ernst nehmen, was Forscher der Tabakindustrie als Forschungsergebnisse darbieten.“
Daten sind nur eingeschränkt zu betrachten
Das Forscherkonsortium verweist allerdings darauf, dass auch die aktuelle Studie nur eingeschränkt zu betrachten sei. Denn bei der aktuellen Analyse hätten nur die Daten verwandt werden können, die durch die Klagen offengelegt werden mussten. Den Experten stellen sich in diesem Zusammenhang weitere Fragen. Zum Beispiel: „Warum wurden nur diese Zusatzstoffe untersucht und andere weg gelassen?“ Und: „Warum war die Stichprobengröße nur so gering gewählt?“ Die Kritiker fordern deshalb die Food and Drug Administration (FDA) Behörde der USA auf, alle rechtlichen Varianten schnellstens einzusetzen, um weitere unter Verschluss gehaltene Dokumente von der Industrie einzufordern.
Deutsche Krebsforscher fordern Änderung der Tabakverordnung
Gesundheitsexperten zeigten sich über den Ausgang der Studie hoch erfreut. Die Daten würden dazu beitragen, die Tabakverordnung zu verändern. So betonte Dr. Martina Pötschke-Langer vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, dass die Studienauswertung nunmehr bewiesen hat, dass die Hersteller "bewusste Veränderungen bei der Datenauswertung und der Bewertung der Studienergebnisse“ vornehmen. Bereits die wissenschaftliche Logik der „Toxikologie sagt, dass die beigemengten Zusatzstoffe gesundheitsschädlich sind, wenn man sie verbrennt. Die Tabakverordnung muss deshalb grundsätzlich verändert werden." Die Debatte beflügelt seit einiger Zeit auch die Politik. Vor wenigen Wochen hatte der Gesundheitsexperte Johannes Singhammer (CSU) nach einem Treffen mit EU-Gesundheitskommissar John Dalli angekündigt, die Zusatzstoffe und deren Wirkungsweisen neu untersuchen zu lassen. Somit sollen Raucher auf die weitaus höheren Gefahren hingewiesen und zum Rauchstopp animiert werden.
Daten wurden im Internet gefunden?
Der angegriffene Tabakkonzern Philip Morris wies in einer Stellungnahme alle erhobenen Vorwürfe zurück. Die Forscher hätten nur unvollständige Daten zur Verfügung gehabt, die sie im Internet gefunden hätten. Schließlich habe die Ausgangsuntersuchung gezeigt, dass zusätzliche Stoffe in Tabak die Schadwirkungen nicht erhöhe. Die neuerliche Studie habe dieses Ergebnis nicht widerlegen können. Der Konzern behauptet zusätzlich, dass auch andere Experten „umfassender Studien“ zum selben Ergebnis gelangt sind.
Schwere Gesundheitsfolgen durch Tabakkonsum
Die häufigste Folge eines jahrelangen Zigarettenhabitus ist die Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (Raucherlunge). Laut Schätzungen der Medizinischen Hochschule in Hannover (MHH) leiden in Deutschland rund fünf Millionen Menschen an der schweren Lungenerkrankung, die sich zu Beginn mit Raucherhusten und Atembeschwerden äußert. Jeder achte Deutsche über 40 Lebensjahren leidet laut der MHH an der COPD. Im weltweiten Vergleich ist die Chronisch obstruktive Lungenerkrankung die Erkrankung mit der vierthöchsten Todesrate. Am Ende der Erkrankung steht ein qualvolles Ersticken aufgrund der mangelnden Funktionsfähigkeit der Lunge. (sb)
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