BSG: Pflegedienste müssen aber Tarif zahlen und ihre Kosten darlegen
Kassel (jur). Ambulante Pflegedienste müssen auch in der häuslichen Krankenpflege gezahlte Tariflöhne mit einkalkulieren können. Werden die Tariflöhne auch tatsächlich gezahlt, können Krankenkassen höhere Vergütungssätze nicht mit dem Argument verweigern, dass eine Tariflohnerhöhung unwirtschaftlich ist und die Beitragsstabilität gefährdet wird, urteilte am 23. Juni 2016 das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (Az.: B 3 KR 26/15 R und B 3 KR 25/15 R).
Damit Pflegeverbände eine höhere Vergütung wegen Tariflohnerhöhungen vereinbaren können, müssen sie danach zuerst aber die Betriebs- und Kostenstruktur „einer repräsentativen Anzahl von Einrichtungen“ offenlegen. Dabei müsse geprüft werden, ob eine Unterfinanzierung der Pflegedienste zu einer Gefährdung der medizinischen Versorgung führt.
Anders als in der dauerhaften ambulanten Pflege, wo die Pflegeversicherung für die Kosten aufkommt, sind in der befristeten häuslichen Krankenpflege die Krankenkassen zuständig. Krankenkassen und Pflegeverbände müssen sich nach dem Gesetz auf die Vergütungssätze für die erbrachte Pflege wie Verbandswechsel oder auch die Gabe von Insulinspritzen einigen. Können sie sich nicht einigen, muss eine Schiedsperson einen Schiedsspruch fällen und so den Streit schlichten.
Grundsätzlich müssen die Krankenkassen laut Gesetz die „Beitragsstabilität“ wahren. Die Pflegevergütung darf daher nicht zu hoch ausfallen, „es sei denn, die notwendige medizinische Versorgung ist auch nach Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven nicht zu gewährleisten“.
Nach Angaben des Deutschen Evangelischen Verbandes für Altenarbeit und Pflege (DEVAP) und dem Verband katholischer Altenhilfe in Deutschland (VKAD) ist die häusliche Krankenpflege jedoch seit Jahren unterfinanziert. Trotz Tariferhöhungen für das Pflegepersonal sei die Vergütung für die häusliche Krankenpflege nicht ausreichend angepasst worden. Die Krankenkassen rechtfertigen dies mit dem Verweis auf die zu wahrende Beitragsstabilität. Die Tariflohnerhöhungen seien zudem nicht „wirtschaftlich“.
In den beiden vom BSG verhandelten Fällen waren zwei Schiedssprüche im Streit, die die Pflegevergütung in Hessen für gewerbliche ambulante Pflegedienste im Jahr 2010 sowie im Bereich der Freien Wohlfahrtspflege im Jahr 2009 festlegte. Die Vergütungssätze wurden in einem Fall von den Pflegeverbänden für zu niedrig und im anderen Fall von den Krankenkassen für zu hoch angesehen, so dass nun das BSG diese überprüfen sollte. Seitdem ruhen bis heute alle nachfolgenden Schiedssprüche.
Der 3. BSG-Senat hob beide Schiedssprüche auf und entschied, dass Krankenkassen und Pflegeverbände neu über die Vergütungssätze verhandeln und notfalls einen neuen Schiedsspruch einholen müssen. Es fehle an konkreten Nachweisen, die die Festsetzung der Vergütungssätze in den Schiedssprüchen rechtfertigen, rügte das BSG.
Allerdings gaben die Kasseler Richter den Krankenkassen und den Vertretern der Pflegedienstbranche einige rechtliche Grundlagen mit auf dem Weg.
Wollen die Anbieter ambulanter Pflegedienste wegen Tariflohnerhöhungen auch höhere Vergütungen von den Krankenkassen erhalten, müssen sie konkret nachweisen, dass die Tariflöhne auch tatsächlich den Beschäftigten zugutekommen. Ein allgemeiner Verweis auf gestiegene Tariflöhne reiche nicht aus.
„Vielmehr muss eine Betriebs- und Kostenstruktur einer repräsentativen Anzahl von Einrichtungen dargelegt und vorhanden sein, die eine solche Erhöhung rechtfertigt“, so das BSG. Hier müssten die Pflegedienstanbieter entsprechende Informationen liefern, sonst könne auch keine höhere Vergütung durch die Krankenkassen verlangt werden. Die Pflegedienste müssten letztlich nachweisen, dass sie keine Wirtschaftlichkeitsreserven haben und die medizinische Versorgung der Versicherten gefährdet ist.
Umgekehrt dürften sich die Krankenkassen nicht allein mit dem Verweis auf die Beitragsstabilität und dem Gebot der Wirtschaftlichkeit höheren Vergütungssätzen verweigern, urteilte das BSG. „Unwirtschaftlich“ seien Tariflohnerhöhungen nicht, so dass diese durchaus höhere Vergütungssätze rechtfertigen können. fle/mwo
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