Neue Sepsis-Therapie: Gesunde Immunzellen bekämpfen Blutvergiftung im „Teebeutel“
12.06.2013
Blutvergiftungen infolge einer Lungenentzündung, Operation oder eines Unfalls gehören zum Alltag auf der Intensivstation. Jährlich erkranken mehr als 200.000 Patienten in Deutschland an der Entzündungsreaktion, die für etwa 60.000 Betroffene tödlich endet. Ärzte stehen einer Blutvergiftung (Sepsis) häufig machtlos gegenüber, wenn Antibiotika nicht mehr wirken. Dann ist das Immunsystem des Patienten mehr oder weniger auf sich allein gestellt. In der Folge kann es zum Ausfall von Organen und einem Kreislaufzusammenbruch kommen. Rostocker Forschern gelang jetzt die Entwicklung eines Immun-Unterstützungssystems, das ähnlich funktioniert wie ein „Teebeutel“.
Spenderzellen wirken im „Teebeutel“ außerhalb des Körpers gegen Blutvergiftung
Jährlich sterben rund 60.000 Patienten auf der Intensivstation an einer Blutvergiftung. Mehr als 200.000 Menschen erkranken an einer Sepsis. „Bei den meist älteren Patienten ist Sepsis die Folge einer Lungenentzündung, einer Operation oder auch eines Unfall", erklärte Professor Steffen Mitzner, Nierenspezialist an der Universität Rostock, gegenüber der Nachrichtenagentur „dpa“. Die Blutvergiftung kann im weiteren Verlauf zum Organversagen führen. Ist der Körper des Patienten zu sehr durch die Entzündungsreaktion geschwächt, bricht das Immunsystem vollständig zusammen. „Die Immunzellen sind erschöpft. Dann wird gestorben, wir Ärzte sind hilflos.“ Durch die Behandlung von Blutvergiftungen entstehen jährlich Kosten in Milliardenhöhe.
Mitzner entwickelte zusammen mit anderen Forschern ein sogenanntes Immun-Unterstützungssystem außerhalb des Körpers (EISS), das in ähnlicher Weise funktioniert wie die Blutreinigung (Dialyse). Der Arzt bezeichnet den Protyp als „Teebeutel“ am Patientenbett. Dabei bezieht er sich darauf, dass das mit Gift- und Abfallstoffen belastete Blutplasma des Patienten in dem Gerät wie in einem Teebeutel entlang einer Membran mit gesunden Immunzellen eines Spenders in Kontakt gebracht wird. Die gesunden Immunzellen, dessen Spender die gleiche Blutgruppe wie der Patient haben muss, seien „heiß und wollen sich in den Kampf stürzen", erläutert der Nierenspezialist. Dabei besteht der entscheidende Vorteil von EISS darin, dass die Spenderzellen niemals in den Körper es Patienten gelangen, so dass heftige Abwehrreaktion vermieden werden.
Im „Teebeutel“ bekämpfen die neuen Immunzellen in jeweils mehrstündigen Umläufen die Entzündungsreaktion im Blut des Patienten. Zudem geben sie immunaktivierende Substanzen ab, die den Heilungsprozess unterstützen. Bei den Betroffenen habe man einen deutlichen Anstieg entsprechender Marker nachweisen können, berichtete Mitzner. „Das Immunsystem der Patienten kann für Stunden oder wenige Tage auf Kur gehen und sich in dieser Zeit regenerieren."
Sterblichkeit bei Blutvergiftung durch Behandlung mit „Teebeutel“ deutlich verringert
Im Rahmen von Tierversuchen und einer ersten klinischen Studie mit 20 Patienten seien ermutigende Ergebnisse erzielt worden. Die Sterberate lag dank des neuen Verfahrens bei weniger als 35 Prozent, während diese normalerweise abhängig von der Ursprungserkrankung bei etwa 60 Prozent liegt. Bereits nach dem ersten Umlauf werde der Kreislauf der Patienten stabiler und somit eine wichtige Grundlage für die Genesung geschaffen.
Mitzner räumt jedoch ein, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis EISS im Klinikalltag eingesetzt werden kann, da die Forschung noch am Anfang steht. „Wir richten nicht mehr Schaden an, als wir Gutes tun." Dennoch müsse zunächst verstanden werden, „was die Zellen da machen und wie wir sie besser unterstützen können", erläutert der Arzt. Das sei jedoch für das Team der Universität Rostock und die vier Wissenschaftler der Firma Artcline nicht zu leisten. Unterstützung erhalten die Forscher deshalb vom Leipziger Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie.
Auch Michael Bauer, Sprecher des integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum Sepsis in Jena, hält die sogenannte extrakorporale Sepsistherapie für erfolgsversprechend, wobei er dabei vor allem auf die immunaktivierenden Substanzen hinweist, die von den Spenderzellen abgegeben werden. „Wir haben erkannt, dass die Sepsis auch einen komplexen Immundefekt darstellt und dass das Immunsystem stimuliert werden muss", erläutert der Sepsis-Experte gegenüber der Nachrichtenagentur. Ersten Untersuchungen zufolge sei das System plausibel.
Das sind die Symptome einer Blutvergiftung
Irrtümlicherweise glauben viele Menschen, dass eine Blutvergiftung immer durch einen roten Strich auf der Haut angezeigt wird, der mit dem Fortschreiten der Infektion allmählich Richtung Herz verläuft. Ein solcher Strich kommt jedoch eher selten vor. Die Rötung zeigt lediglich an, dass in den Lymphbahnen ein Entzündungsprozess stattfindet.
Zu den ersten Anzeichen einer Sepsis gehören meist Verwirrtheit sowie mentale Veränderungen, da das Gehirn das erste Organ ist, das betroffen ist. Zu den Symptomen einer Blutvergiftung können auch Beschwerden beim Atmen sowie erste Anzeichen von Kreislaufversagen sein. Bei vielen Betroffenen treten zudem grippeähnliche Beschwerden wie Fieber, allgemeine Schwäche und Herzrasen auf. Weiteres Kennzeichen einer Sepsis ist die rasche Verschlechterung des Allgemeinzustands, so dass sich "Patienten schnell schwer krank fühlen". Beim Verdacht auf eine Blutvergiftung ist schelle Hilfe besonders wichtig, da die Sterberate "mit jeder Stunde, in der die Entzündungsreaktion weiter fortschreitet, zwischen sieben und acht Prozent steigt".
Eine Blutvergiftung wird meist durch Keime verursacht, die durch eine offene Wunden in den Organismus gelangen und einen Entzündungsprozess anstoßen. Wird die Wunde nicht behandelt, können sich die Erreger über die Blutbahn im gesamten Körper ausbreiten und sämtliche Organe befallen. In der Folge kann es zur Verschlechterung der Sauerstoffversorgung der Organe kommen. Der Körper wird zunehmend schwächer bis einzelne Organe ausfallen. Lunge, Niere, Leber und Herz versagen dann nach und nach. Gelingt es nicht die Entzündung unter Kontrolle zu bringen, versagt im letzten Krankheitsstadium der Kreislauf des Patienten vollständig und der Betroffene stirbt.
Das Risiko an einer Blutvergiftung zu erkranken ist vor allem für Menschen mit geschwächten oder noch nicht vollausgebildetem Immunsystem erhöht. Dazu gehören Menschen ab 60 Jahren, Patienten ohne Milz und Kleinkinder. (ag)
Bild: Gerd Altmann / pixelio.de
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