Umwelttests mit Fischzellen statt mit lebenden Tieren
Für die Umweltprüfung einer einzigen Chemikalie müssen bis zu 400 Fische ihr Leben lassen. Forscher konnten nun zeigen, dass Fischzellen im Labor genauso gut Auskunft über Umweltrisiken geben können. Dadurch könnten in Zukunft mehr Tierversuche ersetzt werden.
Millionen überflüssiger Tierversuche
Einer EU-Statistik zufolge wurden im Jahr 2011 über elf Millionen Tiere in Forschung und Entwicklung eingesetzt, der Großteil davon in Tests. Laut Experten sind die meisten Tierversuche allerdings weitgehend überflüssig. Trotzdem müssen weltweit noch immer unzählige Tiere für die Erprobung von Arzneimitteln, Chemikalien oder Kosmetika sterben. Es ist daher erfreulich, dass immer wieder von wissenschaftlichen Erkenntnissen berichtet wird, die Tierversuche künftig überflüssig machen könnten. So haben etwa deutsche Experten vor wenigen Monaten bekannt gegeben, dass ein neu entwickelter künstlicher Organismus Tierversuche ersetzt. Und die nationale Nachrichtenagentur der Schweiz (SDA) berichtet nun ganz aktuell, dass Schweizer und britische Forscher zeigen konnten, dass Fischzellen im Labor genauso gut Auskunft über Umweltrisiken geben könnten wie die Prüfung mit lebenden Tieren.
Tests mit Kulturen von Zellen statt mit lebenden Fischen
Umweltbehörden verlangen vor der Zulassung neuer Chemikalien oft Tests mit Fischembryonen. Dies hatte die Forschungsanstalt Eawag (Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz) am Freitag mitgeteilt. Das Wachstum der Jungtiere reagiert nämlich sehr empfindlich auf Schadstoffe im Wasser. Den Angaben zufolge werden dadurch nicht nur sehr viele Tiere „verbraucht“, – allein 2011 waren es in der EU insgesamt rund 180.000 – sondern die Tests sind auch aufwändig, teuer und langwierig. Eawag-Forschende haben nun zusammen mit Kollegen von den Eidgenössischen Technischen Hochschulen Zürich und Lausanne sowie der Universität York (Großbritannien) die Tests anhand von Kulturen von Kiemenzellen gemacht statt mit lebenden Fischen.
„Verblüffend gute Übereinstimmung“
Dabei wurde gemessen, wie schnell sich die Zellen vervielfachten und dies mit einem Computermodell auf den ganzen Fisch hoch gerechnet. Nach lediglich fünf Tagen zeigten die je nach Chemikalienbelastung schneller oder langsamer angestiegenen Zellzahlen den Forschern zufolge eine „verblüffend gute Übereinstimmung“ zu den unabhängig durchgeführten Versuchen mit Fischen. Die Wissenschaftler veröffentlichten ihre Ergebnisse im Fachjournal „Science Advances“. Kristin Schirmer, die an der Eawag die Forschung zum Ersatz von Tierversuchen leitet, erklärte: „Es ist das erste Mal, dass wir von Zellkulturen sehr treffsicher auf Effekte an Tieren schliessen konnten, die bei diesen erst nach Wochen oder gar Monaten sichtbar werden.“
Gängiger Ansatz wird auf den Kopf gestellt
Wie die Umwelttoxikologin erläuterte, klappe das Übertragen der Resultate auf das Individuum deshalb so gut, weil größere Fische nicht aus größeren, sondern lediglich aus mehr Zellen bestehen, und weil sie die Konzentration der Chemikalie in den Zellen berechnet hätten. Mit dem Modell wird vorausgesagt, was passiert, wenn der Fisch die getestete Chemikalie im Wasser antrifft. Roman Ashauer von der Universität York fügte hinzu, dass es somit den gängigen Ansatz „erst testen, dann interpretieren“ auf den Kopf stelle. Die Forscher hingegen würden zunächst ein mathematisches Modell für eine bestimmte Fragestellung erstellen und dann die experimentellen Daten aus den Zellversuchen einfügen.
Einhundert Millionste Chemikalie registriert
Schirmer zufolge würden sich damit auch andere Tests und Vorhersagemodelle verbessern lassen. Allerdings müssen dafür die Eigenschaften der Substanzen gut bekannt sein. Zudem ist noch nicht bekannt, ob alle Zellen genau wie Kiemenzellen reagieren. Von den Autoren wurde die Hoffnung geäußert, dass andere Forscher ihren Ansatz künftig weiter testen. Wie die Forscher schreiben, wurde beim „Chemical Abstracts Service“ soeben die weltweit 100 Millionste Chemikalie registriert. Jeden Tag kommen demnach rund 15.000 neue Substanzen dazu. Verbindliche Regulierungen existieren für die wenigsten davon. Und für noch weniger wurden Sicherheits- und Umwelttests durchgeführt. Nur rund zehn neue Substanzen, die in großen Mengen produziert werden, durchlaufen jährlich ein seriöses Testverfahren. Eigentlich müssten aber 300 mal mehr Stoffe getestet werden, um allein die Chemikalien-Zulassungsrichtlinie REACH der EU zu erfüllen. Ziel davon sei, eine Balance zwischen dem Nutzen für Mensch und Wirtschaft und dem Risiko für die Ökosysteme zu finden. (ad)
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