Moderne Antibabypille häufig mit höherem Gesundheitsrisiko verbunden
Die Antibabypillen haben seit ihrer Erfindung vor mehr als 50 Jahren eine enorme Erfolgsgeschichte erlebt. Heute ist sie eines der beliebtesten Verhütungsmittel, dass nebenbei auch gegen Probleme mit unreiner Haut und fettigen Haaren helfen soll. Allerdings birgt die Einnahme der Pille auch gesundheitliche Risiken, die mitunter deutlich unterschätzt werden. „Wie jedes Arzneimittel hat auch die Antibabypille unerwünschte Nebenwirkungen“, wobei ein „erhöhtes Risiko für Thrombosen und Embolien – auch bei jungen Menschen“, zu den gefährlichsten gehören, berichtet die Techniker Krankenkasse (TK). Dieses Risiko habe sich auch bei Pillen der neuen Generation nicht reduziert, sondern liege mitunter sogar höher als bei älteren Präparaten.
Thrombosen und Lungenembolien bilden die schwerwiegendsten möglichen Komplikationen bei der Pilleneinnahme. Einer Studie der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA zufolge fällt das Risiko „bei einigen neuen Pillen der dritten und vierten Generation eineinhalb bis zweimal so groß wie bei den älteren Pillen“ aus, berichtet die TK. Antibabypillen seien kein Lifestyle-Produkt, so die Warnung der Krankenkasse. Für die weit verbreitet Einnahme machen die Experten auch das geschickte Marketing der Pharmaindustrie verantwortlich. Die steigenden Verordnungen von modernen Antibabypillen bei jungen Frauen werden von den Autoren des TK-„Pillenreports“ äußerst kritisch bewertet.
Moderne Präparate häufig mit wesentlich größerem Risiko
Gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität Bremen hat die Techniker Krankenkasse in dem aktuellen Report die neuen und modernen Pillen der 3. und 4. Generation auf ihren medizinischen Fortschritt hin überprüft. Nutzen und Risiken wurden eingehend untersucht. Dabei habe sich gezeigt, dass „Präparate der sogenannten 3. und 4. Generation häufig ein wesentlich größeres Risiko für die Bildung von Thrombosen (Blutgerinnseln) als die Pillen der 2. Generation“ haben, so die Mitteilung der TK. Dennoch würden die moderneren Pillen allgemein als vermeintlich besser angesehen und wesentlich häufiger verschrieben.
Antibabypillen sind keine Lifestyle-Produkt
Dem Vorstandsvorsitzenden der TK, Dr. Jens Baas, zufolge, sind „alle derzeit verfügbaren Antibabypillen zuverlässige Verhütungsmittel, aber die verschiedenen Präparate haben unterschiedliche Risiken und Nebenwirkungen.“ In diesem Zusammenhang sei es bedenklich, dass die Informationshoheit eindeutig bei der pharmazeutischen Industrie liege. Die TK engagiere sich daher dafür, „dass sich junge Frauen besser über Risiken und Nebenwirkungen informieren. Denn: Es handelt sich um ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel und nicht um ein Lifestyle-Produkt.“ Oft werde die Entscheidung für eine Pille im Teenageralter getroffen und die meisten Anwenderinnen bleiben dann über viele Jahre beim gleichen Präparat, so die Mitteilung der TK. Da die Pille bis zur Vollendung des 20. Lebensjahrs auch zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnungsfähig sei, umwerbe die Pharmaindustrie gezielt junge Frauen.
Vermehrte Lungenembolien und Venenthrombosen
Zwar spreche „vor allem bei jungen Frauen, die nicht rauchen und kein Übergewicht haben, auf den ersten Blick nichts gegen die neuen Präparate“, erläutert Professor Gerd Glaeske von der Universität Bremen. Doch neu sei nicht immer gleich besser. „Im Gegenteil: Die Pillen der früheren Generationen schützen genauso gut vor einer ungewollten Schwangerschaft und haben ein geringeres Thromboserisiko.“, so Glaeske. Den Angaben der TK zufolge erkranken statistisch betrachtet bei der Einnahme einiger dieser Pillen der neuen Generation neun bis zwölf von 10.000 Frauen pro Jahr an Embolien, während bei den Pillen der zweiten Generation lediglich fünf bis sieben Fälle auftreten.
Dies bedeute, dass bei sechs bis sieben Millionen Frauen, die in Deutschland mit der Pille verhüten, statistisch gesehen jedes Jahr mehrere Tausend Frauen aufgrund der Einnahme gefährliche Thrombosen und Embolien entwickeln. Bei Frauen, die nicht die Pille nehmen, seien nur zwei von 10.000 betroffen. Warnzeichen für eine Venenthrombose seien Schwellungen des Beins, Schmerzen im Bein beziehungsweise der Wade, eine bläuliche Verfärbung und eine erhöhte Wärme des Beins. Bei einer Lungenembolie seien plötzliche unerklärliche Kurzatmigkeit oder schnelles Atmen, stechende Brustschmerzen und plötzlich auftretender Husten mögliche Warnsignale.
Gezieltes Marketing der Pharmaindustrie
Nach Einschätzung der Techniker Krankenkasse ist das Pharmamarketing für die modernen Pillen im Internet verantwortungslos. Zwar sei die Online-Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel eigentlich durch das Heilmittelwerbegesetz (HWG) verboten, aber „über Internetportale wie zum Beispiel www.pille.de (MSD) oder www.schoen-sicher.de (Dr. Kade Pharma) kann ganz allgemein über Verhütung und die Pille informiert werden.“ Hier sei zu hinterfragen, „ob nicht zwischen Beauty- und Lifestyletipps in Wahrheit ein ungefilterter Informationsfluss der Marketing- und Werbebotschaften der Pharmaindustrie an die Teenager stattfindet“, betont Professor Glaeske. Zudem seien die pharmazeutischen Unternehmen auch auf Facebook-Seiten wie zum Beispiel LiebeSLeben (Jenapharm) und auf YouTube aktiv. Hier stehe meist die vermeintlich positive Nebenwirkung auf Haut oder Haare im Vordergrund, auch wenn nebenbei auf das Thromboserisiko hingewiesen werde. Dass ein Pharmaunternehmen die Inhalte verantwortet, sei häufig nur schwer zu erkennen.
Warnungen bleiben oft ungehört
„Die Hersteller von Pillen haben offensichtlich herausgefunden, wie man gerade für die Zielgruppe der jungen Frauen neue Medien nutzt, um diese spezifisch und mit ihrer Sprache zu erreichen“, betont Prof. Petra Thürmann, Direktorin des Philipp-Klee-Instituts für klinische Pharmakologie, in der Pressemitteilung der TK. Die Warnhinweise von Behörden sowie die Stimmen kritischer Ärzte und Wissenschaftler würden hingegen im Raum verhallen. Es sei zu beobachten, dass die Pille „gezielt weiterentwickelt wird, um bestimmten Schönheitsidealen näherzukommen und zu einem Lifestylepräparat wird.“Dies habe mit dem ursprünglichen Beitrag zur sexuellen Befreiung der Frauen, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit nichts mehr zu tun. Hier seien verantwortungsbewusste Ärztinnen und Ärzte und deren Fachgesellschaften gefordert, in ihren Leitlinien kritisch Stellung zu beziehen.
„Wenn sich Frauen für die Pille entscheiden, sollten sie gemeinsam mit den Ärzten hinter die Marketingbotschaften der Pharmaindustrie schauen“, betont der TK-Vorstandsvorsitzende Baas. Auf Basis einer ausführlichen Information könne anschließend die Pille ausgewählt werden, die am besten geeignet ist. (fp)
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