Tierischer Sekundenkleber entschlüsselt
Wissenschaftler der Universität Kassel haben die Wirkungsweise eines recyclebaren, tierischen Sekundenklebers entschlüsselt. Das Sekret des sogenannten Stummelfüßers könnte Vorlage für die Entwicklung neuartiger Biomaterialen für die Medizin und nachhaltige Industrie sein.
In einer Studie, die jetzt im renommierten Fachmagazin Nature Communications erschienen ist, beschreibt ein internationales Forscherteam um Prof. Dr. Georg Mayer, Leiter des Fachgebiets Zoologie, und dessen Mitarbeiter Alexander Bär die Funktionsweise und den Aufbau eines Drüsensekrets einer australischen Stummelfüßer-Art. Die über 300 Millionen Jahre alten Stummelfüßer (Onychophoren) fangen ihre Beute mithilfe eines schnell und äußerst zäh klebenden Schleims, den die Tiere aus paarigen, spezialisierten Düsen am Kopf schießen.
Nach den Untersuchungen besteht der Schleim der Stummelfüßer-Art Euperipatoides rowelli aus winzigen, einheitlich großen, kugelartigen Fett-Eiweiß-Strukturen. Beim Berühren des Schleims verformen sich diese Nano-Kügelchen durch Scherkräfte und versteifen sich zu Mikrofasern aus einem zugfesten Eiweiß-Kern und einer klebrigen Oberfläche. Im Ergebnis haftet das Sekret stark und in Sekundenschnelle auf nahezu allen Oberflächen. Wird der Bio-Kleber jedoch längere Zeit Wasser ausgesetzt, lösen sich die Polymere wieder auf. Da sich die ursprünglichen Nano-Kügelchen zurückbilden, könnte das Sekret wiederverwendet werden.
„Zu unserer Überraschung haben wir also eine Art wiederverwendbaren tierischen Kleber vorgefunden“, resümiert Mayer. „Unsere Studie gibt wichtige Hinweise, wie recyclebare Polymere auf eine bisher unbekannte Art und Weise in der Natur gebildet werden. Wenn wir noch besser verstehen, wie diese physikochemischen Prozesse ablaufen, eröffnet das interessante Perspektiven, insbesondere im Bereich der operativen Medizin, aber auch etwa für nachhaltige industrielle Polymerherstellung.“ Nächstes Ziel der Forscher ist es nun, den Bio-Sekundenkleber synthetisch nachzubauen.
Bei ihren Experimenten ist zunächst der Schleim der Onychophoren gesammelt worden. Dieser wurde im Anschluss auf seine Struktur und Zusammensetzung während der Mikrofaserbildung untersucht. Zusätzlich zu ihren Experimenten nutzten die Forscher auch Hochgeschwindigkeitsaufnahmen.
An der Studie, die hauptsächlich durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert wurde, waren auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam sowie der McGill University in Montreal/Kanada beteiligt.
Die Onychophoren, übersetzt Krallenträger, sind wirbellose Tiere und ähneln wurmförmigen Raupen mit kurzen Beinen und paarigen Antennen. Aus zwei Öffnungen auf den sogenannten Schleimpapillen neben dem Mund stoßen die teilweise bis zu 22 cm großen Tiere ein stark klebendes Wehrsekret aus, das zur Verteidigung und zum Beutefang dient. Sie leben hauptsächlich auf der Südhalbkugel und um den Äquator. Bekannt und registriert sind bislang etwa 200 Arten, vermutlich gibt es jedoch mehrere tausend. Die Stummelfüßer leben vor allem in Totholz oder in der Spreuschicht des Waldbodens. (sb,pm)
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