Forschungsverbund sucht nach Alternativen zu Tierversuchen
08.01.2015
Tierversuche bilden bis heute eine der Schattenseiten moderner medizinischer Forschung. Millionenfach wird Tieren weltweit zu Versuchszwecken schweres Leid zugefügt. Der Forschungsverbund „BB3R“, in dem sich unter anderem die Frei Universität (FU) Berlin, die Technische Universität (TU) Berlin, die Charité Universitätsmedizin, die Universität Potsdam und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zusammengeschlossen haben, sucht daher nach Alternativen zu den Tierversuchen und hat bereits erste Ergebnisse präsentiert.
So könnten Beispielweise in Zukunft künstlich gewonnene, menschliche Hautzellen, wie sie derzeit in dem Forschungsverbund erprobt werden, für die Hautkrebsforschung eingesetzt werden und damit Tierversuche an Nacktmäusen, wie sie bisher üblich waren, vollständig ersetzen, berichtet die FU Berlin. Auch die Wirkung von Kosmetika und Chemikalien könnte künftige ohne Tierversuche anhand der künstlichen Hautzellen erprobt werden, erläutert die Pharmakologin Monika Schäfer-Korting, Vizepräsidentin der Freien Universität Berlin (FU).
Reduzierung der Tierversuche
Die Kritik an Tierversuchen beruft sich nicht nur auf ethisch-moralische Bedenken, sondern äußert zudem erhebliche Zweifel an der Aussagekraft der Tierversuche. Denn trotz vieler Übereinstimmungen bestehen deutliche Unterschiede zwischen dem Organismus des Menschen und dem der verwendeten Tiere. Die Ergebnisse sind somit keinesfalls immer übertragbar. Dennoch lassen allein in Deutschland jährlich Millionen Wirbeltiere zu Versuchszwecken ihr Leben. Der Forschungsverbund „BBR3“ hat sich daher zum Ziel gesetzt, Alternativmethoden zu den Tierversuchen zu entwickeln. „Dabei steht BBfür die Region Berlin-Brandenburg, das Kürzel 3Rfür die Reduzierung (reduction), die Verbesserung (refinement) und den Ersatz (replacement) von Tierversuchen“, berichtet die FU Berlin.
Verbot von Tierversuchen in der Kosmetikindustrie
Gefördert wird das BBR3-Forschungsprojekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Monika Schäfer-Korting erklärte hierzu gegenüber „Focus Online“, dass mit politischem Druck und vor allem mit der Bereitstellung von Fördergeldern für die Forschung durchaus ein Verzicht auf viele Tierversuche möglich sei. Als Beispiel für den politischen Druck nennt die Expertin das Verbot von Tierversuchen für die Kosmetikindustrie, welches seit dem Jahr 2013 in allen EU-Ländern gilt. Hier seien mittlerweile Alternativmethoden verfügbar, die Tierversuche erübrigen. In anderen Bereichen ist die Pharmaindustrie jedoch noch lange nicht soweit, dass hier ein Verzicht auf Tierversuche ernsthaft in Erwägung gezogen wird.
Pharmaforschung setzt weiterhin auf Tierversuche
Trotz der bekannten Schwächen der Tierversuche und der ethisch-moralischen Bedenken sei in der Pharmaforschung in den vergangenen Jahren eher ein Zuwachs der Tierversuche zu verzeichnen gewesen, da es eine großen Verlockung darstelle, mit dem neuen Wissen aus der Bioinformatik bei Mäusen einzelne Gene auszuschalten oder ihnen menschliche Gene einzupflanzen, berichtet Monika Schäfer-Korting in dem Beitrag von „Focus Online“. Das einzig Positive sei hier, „dass für solche Versuche inzwischen weniger Tiere benötigt werden als am Anfang.“ Dennoch wurden in Deutschland im Jahr 2013 knapp drei Millionen Wirbeltiere für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke eingesetzt, wobei knapp 90 Prozent von ihnen Nagetiere (insbesondere Mäuse und Ratten) waren, berichtet „Focus Online“ unter Berufung auf die Zahlen des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Berlin habe dabei mit rund 422.000 Versuchstieren bundesweit einen Spitzenplatz belegt, nicht zuletzt weil in der Hauptstadt besonders viel Grundlagenforschung betrieben werde.
Miniaturmodelle des menschlichen Organismus
Um auch die systemische Wirkung neuer Arzneimittel ohne Tierversuche zu testen, werden an der Technischen Universität Berlin derzeit miniaturisierte Versionen der Organe auf einem Chip nachgebaut und miteinander durch eine Art Kreislauf verbunden. Durch diese sogenannten Multi-Organ-Chip (MOC) Technologie sei „es möglich Aspekte der menschlichen Physiologie durch die in vivo-ähnliche Interaktion miniaturisierter Multi-Organ Modelle in einem in vitro Modell zu analysieren“, berichtet Professor Dr. Roland Lauster vom Institut für Biotechnologie an der TU Berlin. Die Entwicklung eines vollständigen Modell des menschlichen Organismus, dass sämtliche Prozesse im Körper widerspiegelt und Tests ohne lebende Tiere oder Menschen erlaubt, wäre tatsächlich ein bahnbrechender Erfolg und würde die medizinische Forschung deutlich erleichtern.
90 Prozent der Tierversuche vermeidbar
Die Pharmakologin Monika Schäfer-Korting kommt zu dem Schluss, dass Tierversuche schon heute weitgehend überflüssig seien. Auf Basis moderner Biotechnologie und Bioinformatik könne auch die Pharmaforschung in Zukunft zu 90 Prozent ohne Tierversuche auskommen, so die Medizinerin weiter. Lediglich bei hochkomplexen Reaktionen wie beispielsweise dem Test von neuen Blutdrucksenkern werde es schwierig, berichtet die Expertin gegenüber „Focus Online“. Die Entwicklung der systemischen Modelle bietet ihrer Ansicht nach allerdings auch weitere Chancen zum Beispiel für die Erforschung von Autoimmunkrankheiten und Allergien. „Im Moment geht es darum, auch Immunzellen in die Hautmodelle zu bekommen“, zitiert „Focus Online“ die Wissenschaftlerin. Beim Auslösen einer Immunreaktion können im Weiteren verschiedenen Reaktionen der Zellen analysiert werden, was für die Allergieforschung ein vielversprechender Ansatz sei. (fp)
Bild: Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de
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