Künstliche Gliedmaßen: Forscher züchten Rattenpfote
In der Transplantationsmedizin wurden in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte erzielt. Ein Bereich davon ist das sogenannte „Tissue Engineering“ (Gewebezüchtung), dass eines Tages auch dazu beitragen soll, Organe züchten zu können, die für Transplantationen in Frage kommen. Forschern in den USA ist es nun gelungen, eine künstliche Rattenpfote zu züchten.
Enorme Fortschritte in der Transplantationsmedizin
Die Transplantationsmedizin hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. So ist etwa erst vor wenigen Wochen erstmals in den USA die Transplantation einer Schädeldecke gelungen. Des Weiteren konnten auch schon über zwei Dutzend Gesichtstransplantationen und mehr als 70 Handtransplantationen durchgeführt werden. Aufsehen erregend sind zudem Meldungen, denen zufolge ein italienischer Neurochirurg den Kopf eines todkranken Patienten transplantieren will. Ein wesentliches Problem in diesem Bereich ist der Mangel an Spenderorganen. Das sogenannte „Tissue Enginereeing“ (Gewebezüchtung), die künstliche Herstellung biologischer Gewebe, soll daran etwas ändern. Mit dieser Hilfe sollen in Zukunft unter anderem auch Organe gezüchtet werden können.
Methode könnte in zehn Jahren in der Humanmedizin angewendet werden
Es ist bereits gelungen, Blutgefäße sowie Haut- und Knorpelgewebe zu züchten. Nun berichtet die Nachrichtenagentur dpa, dass Forscher in den USA eine künstliche Rattenpfote erzeugen konnten. Für Menschen mit abgetrennten Gliedmaßen habe dies Hoffnungen geweckt. „Ich hoffe, dass in vielleicht zehn Jahren Menschen einen konkreten Nutzen haben werden“, erklärte Forschungsleiter Harald Ott vom Massachusetts General Hospital (MGH) in Boston gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. In einem Nährmedium habe das Team des Österreichers die Pfote wachsen lassen, die ein funktionierendes Gefäß- und Muskelgewebe habe. „Wir haben die Pfote einer toten Ratte von allen Zellen befreit, so dass sie keinerlei Zellen mehr enthielt“, erläuterte Ott. „Dann haben wir sie mit lebenden Zellen quasi besiedelt.“ Wie es heißt, sei das Ergebnis eine im Wesentlichen funktionierende Gliedmaße gewesen. „Wir haben auch den Unterarm eines Pavians von Zellen befreit und so nachgewiesen, dass die Methode grundsätzlich auch bei Primaten angewendet werden kann.“ Der Wissenschaftler rechnet den Angaben zufolge mit einer Anwendung in der Humanmedizin in etwa zehn Jahren. „Dann wird man nicht gleich einen Unterarm wachsen lassen, aber vielleicht Muskeln.“
Muskeln der künstlichen Pfote erreichten große Kraft
Mit einem Lösungsmittel hatten die Forscher in einem tagelangen Prozess alle lebenden Zellen von der amputierten Pfote einer Ratte gelöst. Wie sie im Fachjournal „Biomaterials“ berichten seien nur die Grundstrukturen erhalten geblieben. Sie hätten dann die einzelnen Teile wieder mit lebenden Zellen eines anderen Tieres besetzt und in den folgenden Tagen seien die einzelnen Gewebe wie Muskeln und Adern wieder herangewachsen. Bei den Muskeln sei das Zellwachstum den Angaben zufolge zusätzlich durch elektrische Stimulation angeregt worden. Der Wiederbesiedlungsprozess dauerte demnach insgesamt zwei Wochen. Großer Vorteil dieses Verfahrens sei, dass die Immunreaktion nach einer Transplantation deutlich geringer ausfiele, da das transplantierte Organ ja mit den eigenen Zellen besiedelt wurde. Die Wissenschaftler erläuterten, dass Funktionstests gezeigt hätten, dass die Muskeln der künstlichen Pfote auf elektrische Anregung mit Kontraktionen reagierten. Ihre Kraft habe rund 80 Prozent der Muskeln einer neugeborenen Ratte erreicht.
Gliedmaßen beim Menschen ersetzen?
Nach der selben Methode seien bereits Nieren, Lebern, Herzen und Lungen von Tieren geschaffen worden. Allerdings seien Gliedmaßen viel komplexer. Und auch wenn bisherige Ergebnisse die Hoffnung nährten, so irgendwann auch beim Menschen Gliedmaßen ersetzen zu können, bleibe der Aufbau der Nerven eine große Herausforderung. „Die komplexe Natur unserer Gliedmaßen macht es zu einer großen Herausforderung, sie zu ersetzen“, meinte Ott. „Sie bestehen aus Muskeln, Knochen, Knorpel, Sehnen, Bändern und Nerven – alles muss aufgebaut werden und alles bedarf einer bestimmten Grundstruktur.“ Dass diese Struktur erhalten und mit neuem Gewebe versehen werden kann, habe sein Team aber nun bewiesen.
Ansatz ist nicht wirklich neu
Prof. Raymund Horch, Direktor der Plastisch- und Handchirurgischen Klinik am Universitätsklinikum Erlangen, sagte, dass der Ansatz nicht wirklich neu sei. Auch mit anderen Geweben wie Herz oder Trachea (Luftröhre) sei eine solche Dezellularisierung und Repopularisierung schon gemacht worden, habe aber bisher dennoch keinen Einzug in die klinische Anwendung gefunden. „Es ist aber ein interessanter Ansatz, weil man letztlich doch die Natur braucht, um ein optimales Stürzgerüst zu haben, welches dann durch Dezellularisieren wieder lebendig gemacht werden soll“, meinte Horch. „Das eigentliche Anliegen, nämlich einmal ganze Organe zu züchten, wird damit nicht wirklich gelöst.“ Und auch wenn bei diesem Ansatz in Zukunft einmal alles gut funktionieren sollte, werde immer noch ein Spenderorgan benötigt. „Das ist aber das Problem bei der initialen Idee des Tissue Engineering gewesen: Man wollte eben gerade den Mangel an Spenderorganen umgehen.“ (ad)
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