Tuberkulose zählt nach wie vor zu den tödlichsten Infektionskrankheiten
Vor der pandemischen Verbreitung von COVID-19 war Tuberkulose die tödlichste Infektionskrankheit unserer Zeit mit rund zehn Millionen weltweiten Erkrankungsfällen und über 1,5 Millionen Todesfällen pro Jahr. Zum Welttuberkulosetag am Mittwoch, den 24.03.2021 erinnert ein deutscher Tuberkulose-Experte daran, dass jede Minute drei Menschen an der todbringenden Infektion sterben.
Das Deutsches Zentrum für Infektionsforschung veröffentlichte ein Interview mit Professor Dr. Christoph Lange vom Forschungszentrum Borstel. Der renommierte Tuberkulose-Experte berichtet über die neusten Forschungsergebnisse und erinnert daran, dass Tuberkulose nach wie vor zu den tödlichsten Infektionskrankheiten unserer Zeit zählt.
Arme Länder am schwersten betroffen
Vor allem in ärmeren Ländern, in denen die Bevölkerung keinen guten Zugang zu Medikamenten hat, stellt Tuberkulose eine ernsthafte Gefahr dar. Unter dem Motto „Die Uhr tickt“ soll der Welttuberkulosetag verdeutlichen, dass jede Minute Menschen wegen einer behandelbaren Krankheit sterben.
Kann Tuberkulose komplett vom Globus verschwinden?
Christoph Lange glaubt, dass er eine Welt ohne Tuberkulose nicht mehr erleben wird. „Die WHO hat ja 2014 sehr ambitionierte Ziele ausgesprochen: Bis 2035 sollte eine erhebliche Reduktion der Tuberkulose-Inzidenz, also der Neuerkrankungen, erreicht sein“, so der Tuberkulose-Experte. Davon seien wir aber weit entfernt. Genau genommen gab es sogar noch nie so viele Tuberkulose-Fälle auf der Welt wie in den letzten Jahren.
Wie könnte Tuberkulose eingedämmt werden?
Lange: „Die Elimination der Tuberkulose wird nur dann möglich sein, wenn wir eine Impfung haben, die die Erkrankung verhindert und die besser ist als die bisherige sogenannte BCG-Impfung.“ Diese basiere auf einer vor 100 Jahren entwickelten Impfung für Rinder gegen Kuh-Tuberkulose und sei nicht ausreichend wirksam. In Deutschland werde die Impfung bereits seit dem Jahr 1998 nicht mehr empfohlen.
Gibt es bessere Impfstoffkandidaten?
„Es gibt derzeit über 20 Kandidaten für Impfstoffe, die in der klinischen Erprobung sind“, berichtet Lange. Am weitesten sei in Deutschland wohl der Impfstoff von Professor Stefan Kaufmann vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin, der auf der ursprünglichen BCG-Vakzine aufbaut. Da müsse man aber erst noch die Ergebnisse der klinischen Tests abwarten.
Zudem gebe es eine bedeutende Studie aus dem letzten Jahr zu einem anderen Impfstoff, der in Südafrika untersucht wurde. „Drei Jahre nach Impfung traten in der Impfpopulation nur etwa die Hälfte an Tuberkulose-Fällen auf im Vergleich zu einer Kontrollpopulation“, schildert Lange. Wenn man die Tuberkulose auf die Hälfe der Fälle reduzierten könnte, würden fünf Millionen Tuberkulose-Erkrankungen wegfallen. Laut Lange ein „substanzieller Beitrag zur Tuberkulosereduktion in der Welt“.
Wie werden Tuberkulose-Betroffene derzeit behandelt?
Ein weiteres Problem bei der Behandlung von Tuberkulose ist das vermehrte Auftreten von multiresistenten Erregern, bei denen gängige Medikamente nicht mehr wirken. „Von der WHO werden aktuell fünf Medikamente empfohlen, von denen die Patienten mindestens vier einnehmen müssen“, so Lange. Die Einnahme müsse über einen Zeitraum von bis zu 18 Monaten erfolgen, bei neueren Medikamenten könne dieser Zeitraum auf neun bis zwölf Monate verkürzt werden. Oft sei die Therapie mit Nebenwirkungen verbunden.
Erschwerend komme hinzu, dass die Medikamente in vielen Regionen der Welt nicht verfügbar sind. Sogar in Europa sei die Hälfte der Länder nicht auf eine adäquate Therapie gegen Tuberkulose mit multiresistenten Erregern vorbereitet. Dies zeigte kürzlich eine Studie, bei der Christoph Lange mitwirkte.
Müssen multiresistente Fälle wirklich 18 Monate behandelt werden?
„Die Empfehlung, die Patientinnen und Patienten mit multiresistenter Tuberkulose über 18 Monate zu behandeln, was immer noch der Standard ist, ist sehr holzschnittartig“, bemerkt Lange. Natürlich bräuchten nicht alle Betroffenen diese lange Zeit bis zur Heilung. Aber bisher wisse man immer noch nicht mit Sicherheit, wann eine Behandlung abgeschlossen ist.
Wenn man keine Bakterien im Auswurf mehr findet, dürfe die Behandlung noch nicht enden, da es bei vielen Betroffenen zu einem Rückfall kommt. Die Bakterien ziehen sich dabei an alle möglichen Orte im Körper zurück, wo sie lange überleben können. Laut dem Experten fehlt hier ein Biomarker, der auf eine abgeschlossene Heilung hindeutet.
Neuer Biomarker in Aussicht
Das Forschungsteam um Lange hat kürzlich einen Biomarker entdeckt, der sich zu dem Zwecke eignen könnte. „Im Blut befinden sich etwa 50.000 verschiedene mRNAs von Genen“, so der Tuberkulose-Fachmann. Das seien Botenstoffe, die in Proteine umgesetzt werden und individuelle Muster ergeben. „Wir haben dann geschaut, ob bestimmte Gene bei Patienten in einer bestimmten Weise hoch- oder herunterreguliert sind und so vielleicht über die Krankheit eine Aussage machen.“
Letztendlich konnte das Team 22 mRNAs bei den Teilnehmenden finden, die aussagekräftig für Tuberkulose sind. Diese Signatur aus 22 Genen erlaube wahrscheinlich, das sichere Ende der Therapie und eine Heilung zu erkennen. Wenn sich der Biomarker in weiteren Studien beweise, ist dies „tatsächlich ein Meilenstein“, betont Lange.
Für den Einsatz in ärmeren Ländern geeignet
Der Biomarker-Test soll als diagnostische Plattform in Größe einer Kaffeemaschine entwickelt werden. Die Plattform sei dann überall auf der Welt einsetzbar und soll die Behandlung von Tuberkulose im Schnitt um 130 Tage verkürzen. Dies ist Lange zufolge der Schlüssel zu einer effizienten Tuberkulosetherapie, die nicht nur wesentlich günstiger sondern auch mit weniger Qualen für die Betroffenen verbunden sei.
Sind neue Medikamente gegen Tuberkulose in Aussicht?
„Die Notwendigkeit neuer Medikamente ist groß“, betont Lange. Die meisten eingesetzten Medikamente seien veraltert. Ende 2013 gab es laut dem Experten nach langer Entwicklungspause zwei neue Tuberkulosemedikamente, doch gegen eins davon werden die Erreger bereits zunehmend resistent. Im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung werde derzeit eine neue Substanz gegen Tuberkulose namens BTZ 043 in der zweiten klinischen Phase evaluiert.
1,5 Millionen Tuberkulose-Todesfälle im Jahr 2020
„Wir haben uns ja ein bisschen daran gewöhnt, dass Tuberkulose bis 2020 die häufigste zum Tode führende Infektionskrankheit war“, unterstreicht Lange. Plötzlich sei dann COVID-19 aufgetaucht und die rund 1,5 Millionen Tuberkulose-Todesfälle im Jahr 2020 haben so gut wie keine mediale Aufmerksamkeit bekommen.
Tuberkulose entweder zu häufig oder zu selten
Die Krankheit bleibe unter anderem wegen der unterschiedlichen Verteilung oft im Hintergrund. Nach Angaben von Lange treten ein Drittel aller Tuberkulose-Fälle in Indien oder China auf. Dort sei die Krankheit „alltäglich“ und viele resistente Fälle seien nicht behandelbar. In Europa trete die Infektion dagegen so selten auf, dass sie von vielen Ärztinnen und Ärzten gar nicht bemerkt wird. Was fehlt sei ein Werkzeug zur frühen und verlässlichen Fallfindung. Lager resümiert: „Um die Mortalität der Tuberkulose weltweit zu senken, brauchen wir eine frühe Fallfindung, neue Medikamente und tatsächlich auch einen Impfstoff, der präventiv das Auftreten einer Tuberkulose verhindert.“ (vb)
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Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Deutsches Zentrum für Infektionsforschung: Die Uhr tickt! Pro Minute sterben drei Menschen an Tuberkulose (veröffentlicht: 22.03.2021), dzif.de
Wichtiger Hinweis:
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