Übergewicht: Ausgrenzung begünstigt psychische Erkrankungen
11.01.2015
Viele adipöse Menschen, die ohnehin schon an ihrem starkem Übergewicht zu leiden haben, sehen sich oft zusätzlich noch Vorurteilen und Diskriminierung ausgesetzt. Diese Stigmatisierung kann einer neuen Untersuchung zufolge zu Depressionen, Angststörungen und häufig sogar zu weiterer Gewichtszunahme führen.
Stigmatisierung kann zu weiterer Gewichtszunahme führen
Viele Menschen erleben aufgrund ihres starken Übergewichts (Adipositas) oft Vorurteile, Abwertung, soziale Ausgrenzung und Diskriminierung. Diese gesellschaftliche Stigmatisierung und die damit einhergehende psychische Belastung kann zu Depressionen, Angststörungen und oft sogar zu weiterer Gewichtszunahme führen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Untersuchung von Wissenschaftlern der Universität Leipzig. Die Forscher des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums Adipositas-Erkrankungen (IFB) in Leipzig veröffentlichten ihre Ergebnisse kürzlich im Fachjournal „Obesity“.
Herabgesetztes Selbstwertgefühl ein Risikofaktor für psychische Leiden
Das Team um Dr. Claudia Sikorski analysierte dafür 46 wissenschaftliche Studien, die den Zusammenhang zwischen der Stigmatisierung von stark übergewichtigen Menschen mit psychischen Belastungen und Störungen untersuchten. „Viele Risikofaktoren für psychische Störungen sind bei Menschen mit Adipositas stark ausgeprägt“, erklärte Studienleiterin Sikorski. Der Expertin zufolge seien diese Risikofaktoren nicht etwas Spezielles für diese Gruppe, „aber Menschen mit Adipositas scheinen, auch aufgrund von Stigmatisierung, eine erhöhte Häufigkeit dieser Faktoren aufzuweisen“. Insbesondere das in den Studien beschriebene herabgesetzte Selbstwertgefühl gilt als ein großer Risikofaktor für psychische Leiden wie Depressionen und Angststörungen.
Übergewichtige nehmen negatives Fremdbild als Selbstbild an
Dr. Sikorski entwickelte ein Modell der Prozesse, die zur größeren Anfälligkeit adipöser Patienten für psychische Erkrankungen führen. Dieses ist angelehnt an einen von der Columbia Universität entwickelten Erklärungsansatz zu den Auswirkungen von Stigmatisierung bei homosexuellen Menschen. Die Betroffenen hätten ein vermindertes Selbstwertgefühl sowie eine verminderte Fähigkeit zur Problembewältigung (Coping). Hinzu kämen weitere Risikofaktoren wie etwa die negative Selbstwahrnehmung, vermehrte Einsamkeit und der Mangel an sozialer Unterstützung. Außerdem nehmen krankhaft übergewichtige Männer und Frauen laut Sikorski das negative Fremdbild, das sich durch die Stigmatisierung zeigt, als Selbstbild an. Dies ist ein großes Problem bei der Therapie der Adipositas, da Betroffene gerade bei der Gewichtsreduktion viel Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Kräfte brauchen.
Diskriminierung auch durch den Staat
Vergangene Untersuchungen haben gezeigt, dass die Stigmatisierung und das Selbststigma zu einem ungünstigen Essverhalten und somit zur Erhaltung oder Verschlimmerung der Adipositas beitragen. Zu diesem Teufelskreis kommt zudem oft noch die Erfahrung von Benachteiligung und Diskriminierung im sozialen und Berufsleben. Das sehen auch verschiedene Organisationen ähnlich. So hatte etwa die Vereinsvorsitzende Gisela Enders von „Dicke e.V.“, in einem Interview vor Jahren gesagt, dass der Staat davon ausgehe, dass vollschlanke Menschen eine erhöhtes Erkrankungsrisiko aufweisen und daher oftmals nicht verbeamtet würden. Zudem herrschten ihrer Aussage nach Vorurteile und Benachteiligungen auch in den Jobcentern und Arbeitsagenturen. Arbeitssuchende würden sofort in die Schublade „schwer vermittelbar“ gesteckt. Enders forderte damals, das Körpergewicht in die EU-Antidiskriminierungsrichtlinien aufzunehmen.
Auf der Suche nach therapeutischen Ansätzen
Dr. Sikorski sucht nach therapeutischen Ansätzen, wie der Teufelskreis aus Stigmatisierung aufgrund von Adipositas durchbrochen werden kann. „Für eine verbesserte Adipositastherapie ist unsere Arbeit wichtig, weil wir nicht darauf vertrauen können, dass sich die gesellschaftliche Wahrnehmung von Menschen mit Adipositas in absehbarer Zeit verbessert. Deshalb sollten wir den Betroffenen Mittel und Wege zum Umgang mit Stigmatisierung aufzeigen. Dies sollte möglichst integraler Bestandteil der Adipositastherapie werden“, so die Leipziger Wissenschaftlerin. In Kooperation mit dem forsa-Meinungsforschungsinstitut befragt das Team um Dr. Sikorski rund 1.000 Erwachsene mit Adipositas zu ihren Erfahrungen mit Stigmatisierung und ihrem Umgang damit. Dies soll dabei helfen, besser zu verstehen, wie Stigmatisierung erlebt wird, wie sie ihre negative Wirkung entfaltet und wie die Betroffenen damit umgehen können. (ad)
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Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.