Corona-Ursprung: Theorie zu Laborunfall
Bereits seit Beginn der Corona-Pandemie werden Vermutungen aufgestellt, woher das neue Virus stammt. In den vergangenen Monaten wurden verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt, die nach dem Ursprung des Erregers suchten. Eindeutig geklärt ist dieser noch immer nicht. Eine kürzlich veröffentlichte „Studie“ sorgt nun jedoch für große Aufregung: Ein deutscher Universitäts-Professor meint, die Ursache der gegenwärtigen Pandemie sei auf einen Laborunfall in China zurückzuführen. Ihm wird aber unter anderem vorgeworfen, dass er sich „mit der Fachterminologie nicht auskennt“.
Ein Wissenschaftler aus Hamburg, der sich mit dem Ursprung des Coronavirus SARS-CoV-2 beschäftigte, kommt in einer kürzlich veröffentlichten Arbeit zu dem Ergebnis, dass sowohl die Zahl als auch die Qualität der Indizien für einen Laborunfall am virologischen Institut der Stadt Wuhan in China als Ursache der gegenwärtigen Pandemie sprechen. Kritikerinnen und Kritiker werfen ihm jedoch vor, das Papier sei unwissenschaftlich, unseriös und er verwende fragwürdige Quellen.
Fachleute verwarfen Theorie
Im Dezember 2019 wurden in der chinesischen Millionenstadt Wuhan die ersten Fälle einer Krankheit, die später unter dem Namen COVID-19 bekannt wurde, gemeldet.
Ein internationales Team der Weltgesundheitsorganisation (WHO), das die Stadt in den vergangenen Wochen besuchte und Untersuchungen durchführte, geht – wie zahlreiche andere Forschende weltweit – davon aus, dass das Virus von Fledermäusen über ein weiteres Tier als Zwischenwirt auf den Menschen übertragen wurde. Wann und wo das genau geschehen sein könnte, ließe sich nach ihren Angaben derzeit aber nicht klären.
Die Fachleute verwarfen auch eine Theorie, derzufolge das Virus ein Ergebnis eines Laborunfalls sei. Doch der Nanowissenschaftler Prof. Dr. Roland Wiesendanger meint, dass „sowohl die Zahl als auch die Qualität der Indizien für einen Laborunfall am virologischen Institut der Stadt Wuhan als Ursache der gegenwärtigen Pandemie sprechen“, heißt es in einer Mitteilung der Universität Hamburg.
Keine Studie mit qualitätsgesicherten Inhalten
Laut der Mitteilung basiert die „Studie“ des Wissenschaftlers, die im Zeitraum von Januar 2020 bis Dezember 2020 durchgeführt wurde, auf einem „interdisziplinären wissenschaftlichen Ansatz sowie auf einer umfangreichen Recherche unter Nutzung verschiedenster Informationsquellen“, wie wissenschaftlicher Literatur, Artikel in Print- und Online-Medien sowie persönlicher Kommunikation mit internationalen Kolleginnen und Kollegen.
„Sie liefert keine hochwissenschaftlichen Beweise, wohl aber zahlreiche und schwerwiegende Indizien“, heißt es in der Mitteilung.
Das Dekanat der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften (MIN) der Universität Hamburg schreibt jedoch in einer Stellungnahme, dass es sich bei der veröffentlichten Ausarbeitung nicht um eine wissenschaftliche Studie mit qualitätsgesicherten Inhalten und Standards handelt.
„Das Papier hat keinen Peer-Review-Prozess durchlaufen und ist daher eher als nichtwissenschaftlicher Aufsatz oder Meinungsäußerung zu bezeichnen“, so die Fachleute.
Das MIN-Dekanat und ein Großteil der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Fakultät distanzieren sich von den indizienbasierten Aussagen. Auch Prof. Dr. Juliane A. Lischka von der Universität Hamburg distanziert sich „von dem als Studie bezeichneten Meinungspapier. Die Publikation und der Post haben klare Desinformationsmerkmale. Keine Verantwortlichen haben reagiert“, schreibt die Kommunikationswissenschaftlerin auf Twitter.
Reagiert haben inzwischen allerdings zahlreiche Medien, die unter anderem hervorheben, dass sich Prof. Dr. Roland Wiesendanger als Physiker als Fachfremder mit dem Coronavirus beschäftigt.
Zoonose als Ursache
Mit den Thesen, die Herr Wiesendanger aufgestellt hat, haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Coronavirus Structural Task Force näher auseinandergesetzt:
Zu seiner Aussage, dass im Gegensatz zu früheren Coronaviren-bedingten Epidemien bislang kein Zwischenwirtstier identifiziert werden konnte, welches die Übertragung von SARS-CoV-2-Erregern von Fledermäusen auf den Menschen ermöglicht haben könnte und deshalb die Zoonose-Theorie als mögliche Erklärung für die Pandemie keine fundierte wissenschaftliche Grundlage besitze, schreiben die Fachleute:
„Dass Zwischenwirte einer Zoonose nicht unmittelbar gefunden werden, ist nicht ungewöhnlich. Der Übertragungsweg von SARS-CoV wurde erst mehr als drei Jahre nach der SARS-Pandemie aufgeklärt; für MERS, welches erstmals 2012 beschrieben wurde, dauerte es zwei Jahre und einige Informationen fehlen immer noch.“ Dazu liefern sie im Anhang auch Links zu wissenschaftlichen Untersuchungen, die ihre Aussagen belegen und die in renommierten Fachmagazinen veröffentlicht wurden.
Des Weiteren wird darauf verwiesen, dass es viele Hinweise darauf gibt, dass Zwischenwirte für SARS-CoV-2 Schlangen, Schildkröten oder Schuppentiere gewesen sein könnten und Übertragungen zwischen Menschen und verschiedenen Tieren wurden mehrfach nachgewiesen (was ja leider auch zur Tötung von vielen Nerzen geführt hat). Die Unkenntnis eines Zwischenwirtes widerlegt jedoch in keinster Weise eine Zoonose als Ursache.
Von Menschenhand gemacht?
Des Weiteren behauptet Wiesendanger: „Die SARS-CoV-2-Viren können erstaunlich gut an menschliche Zellrezeptoren ankoppeln und in menschliche Zellen eindringen. Ermöglicht wird dies durch spezielle Zellrezeptor-Bindungsdomänen verbunden mit einer speziellen (Furin-)Spaltstelle des Coronavirus-Zacken-Proteins. Beide Eigenschaften zusammen waren bislang bei Coronaviren nicht bekannt und weisen auf einen nicht-natürlichen Ursprung des SARS-CoV-2-Erregers hin.“
Die Antwort auf „insidecorona.net“: „Mit Coronavirus-Zackenprotein ist hier wohl der Stachel gemeint. Die Fähigkeit des Virus, damit an menschliche Zellen zu binden, ist kein Beweis, dass dieser künstlich hergestellt wurde. Influenza, HIV und Ebola sind auch alle sehr gut darin, an menschliche Zellen zu binden – die letzteren beiden sind erwiesenermaßen aus Tieren stammende (zoonotische) Krankheitserreger.“
Laut den Fachleuten besitzen alle diese Viren eine Furin-Spaltstelle. Furine sind Enzyme, die in allen Wirbeltieren vorkommen und es den Viren erlauben, Zellen der Tiere besser zu befallen. Es ist also nicht ungewöhnlich, wenn das neue Coronavirus durch natürliche Mutation und Selektion eine solche Stelle entwickelt hat. Sie kommt auch in vielen anderen Coronaviren natürlich vor.
Die Rezeptor-Bindungsdomänen S1 und S2 sind sehr variabel, da genau sie es erlauben, spezifisch an Wirtszellen zu binden – die neuen Mutationen haben genau hier neue Variationen. Mutationen in diesem Bereich entstehen aufgrund des Selektionsdrucks im Menschen – oder anderen Wirten – und sind auch kein Anzeichen für einen nicht-natürlichen Ursprung.
Was zusätzlich dagegen spricht, dass SARS-CoV-2 von Menschenhand gemacht wurde, ist, dass die Sequenz des Virus nicht zu den bekannten Methoden für die künstliche Herstellung von Erbgut passt und dass das Design eines Coronavirus erheblich kostspieliger wäre als viele andere Viren, weil das Genom so groß ist.
„Zu diesem Argument ist vielleicht noch anzumerken, dass Professor Wiesendanger die Studie allein verfasst hat und selbst fachfremd ist. Er hat nie zuvor zu Corona publiziert, und deswegen ist es nachvollziehbar, dass er sich sowohl mit den Details von Genetic Engineering als auch mit der Fachterminologie nicht auskennt“, schreiben die Fachleute.
Sammlung von Fledermausviren
Professor Wiesendanger zufolge wurden Fledermäuse nicht auf dem in Verdacht geratenen Markt in der Stadt Wuhan angeboten.
„Im virologischen Institut der Stadt Wuhan gibt es jedoch eine der weltweit größten Sammlungen von Fledermauserregern, welche von weit entfernten Höhlen in südchinesischen Provinzen stammen. Es ist extrem unwahrscheinlich, dass sich Fledermäuse aus dieser Entfernung von nahezu 2.000 km auf natürliche Weise auf den Weg nach Wuhan begeben haben, um dann in unmittelbarer Nähe dieses virologischen Instituts eine weltweite Pandemie auszulösen“, heißt es in seinem Papier.
Die Fachleute verweisen hier auf die von der WHO gestützte These, dass es für eine Zoonose einen Zwischenwirt geben muss und die Anwesenheit von Fledermäusen in der Nähe der ersten menschlichen Überträger nicht notwendig ist. Mehrere der möglichen Zwischenwirte wurden auf dem fraglichen Markt gehandelt und bisher gibt es keine Sicherheit, dass die Pandemie dort ihren Ausgang nahm – es wird immer noch nachgeforscht – doch die Abwesenheit von Fledermäusen spricht nicht gegen eine Zoonose.
„Die Sammlung von Fledermausviren im Center for Emerging Infectious Diseases in Wuhan gibt es aber in der Tat. Eine Forscherin an diesem Institut – Shi Zhengli – entdeckte, dass SARS aus Fledermäusen stammt und sie hat zum Beispiel 2013 eine systematische Studie an Fledermausviren aus Kotproben durchgeführt. Fledermäuse gelten schon lange als die größte Quelle unterschiedlicher Coronaviren und damit als größte Gefahr für deren Übertragung auf den Menschen“, wird auf „insidecorona.net“ erklärt.
Forschung an Biowaffen?
Weiterhin behauptet Professor Wiesendanger, dass eine Forschungsgruppe am virologischen Institut der Stadt Wuhan über viele Jahre hinweg gentechnische Manipulationen an Coronaviren vorgenommen hat, mit dem Ziel, diese für Menschen ansteckender, gefährlicher und tödlicher zu machen. Dies sei in der wissenschaftlichen Fachliteratur durch mehrere Publikationen belegt.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Coronavirus Structural Task Force erklären dazu, dass die hier genannten Publikationen sich in der Tat mit der Rekombination von Fledermaus-Coronaviren mit Stacheln, die an menschliche Zellen binden können, beschäftigen.
Diese dienen jedoch dazu, nachzuvollziehen, wie es zur SARS-Pandemie 2002/3 kam – und nicht dazu, das Virus gefährlicher zu machen. Solche Forschung fand – unter vielen Sicherheitsmaßnahmen – auch anderswo statt, beispielsweise in North Carolina (USA).
Youtube-Video als Quelle
Und auf die These, dass im virologischen Institut der Stadt Wuhan bereits vor Ausbruch der Coronavirus-Pandemie erhebliche Sicherheitsmängel existierten, welche dokumentiert seien, erklären die Fachleute: „Das Labor in Wuhan ist ein Biosafety-Level-4 Labor, die höchste Stufe – weltweit gibt es nur eine Handvoll solcher Laboratorien und in China nur zwei.“
Den Angaben zufolge haben solche Labore strenge Zugangskontrollen, man muss sie hermetisch abriegeln können und sie stehen unter Unterdruck, damit keine Erreger entweichen können; der Zugang erfolgt ausschließlich über eine Luftschleuse; alle Abwässer werden chemisch sowie thermisch behandelt; es ist ein Vollschutzanzug zu tragen und beim Verlassen muss der ganze Körper mit Seife gereinigt werden.
Es wird darauf hingewiesen, dass natürlich kein Labor perfekt ist, aber Sicherheit ist in solchen Laboratorien eine vorrangige Frage. Das international anerkannte Fachmagazin „Nature“ hat zu diesem Labor im Speziellen einen Bericht geschrieben, der dies illustriert.
Nicht unerwähnt soll bleiben, dass Herr Wiesendanger im Text nicht nur mit einem seriösen Artikel der Washington Post argumentiert, welcher auf Missstände im Labor in Wuhan hinweist, sondern auch auf andere Quellen wie ein Youtube-Video verweist.
Direkt widerlegte Behauptungen
Nicht zuletzt gebe es Prof. Wiesendanger zufolge zahlreiche direkte Hinweise auf einen Laborursprung des SARS-CoV-2 Erregers.
„So soll sich eine junge Wissenschaftlerin des virologischen Instituts in Wuhan als erste infiziert haben. Es gibt ferner zahlreiche Hinweise darauf, dass sich bereits im Oktober 2019 der SARS-CoV-2 Erreger ausgehend von dem virologischen Institut in der Stadt Wuhan und darüber hinaus verbreitet hat. Ferner gibt es Hinweise auf eine entsprechende Untersuchung des virologischen Instituts durch die chinesischen Behörden in der ersten Oktoberhälfte 2019“, heißt es in der Pressemitteilung.
Doch die „Hinweise auf eine behördliche Untersuchung in der ersten Oktoberhälfte“ stützen sich laut „insidecorona.net“ auf eine Analyse von Mobilfunk-Standortdaten, die eine Fremdfirma für das Pentagon angefertigt haben soll und die eine Unterbrechung des Laborbetriebs und Straßensperrungen belegen soll. Der Bericht liefert jedoch keine konkreten Beweise und wurde von den Nachrichtendiensten deshalb als ungenügend eingestuft. Zumal manche der Behauptungen direkt widerlegt werden konnten.
Zu der jungen Wissenschaftlerin, Yan Ling Huan, ist im Internet wenig zu finden und die Hypothese, dass sie sich als erste angesteckt hat, kann daher weder bewiesen noch widerlegt werden.
„Alles in Allem kann man das Labor als den Ursprungsort nicht ausschließen – es wird dort an Coronaviren geforscht – aber die in dieser „Studie“ genannten Quellen sind keine Beweise dafür. Auch eine Zirkulation des Virus vor Dezember ist nicht auszuschließen, aber die Publikation legt keine belastbaren Beweise vor“, schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Coronavirus Structural Task Force. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Universität Hamburg: Studie zum Ursprung der Coronavirus-Pandemie veröffentlicht, (Abruf: 20.02.2021), Universität Hamburg
- Roland Wiesendanger: Studie zum Ursprung der Coronavirus-Pandemie, (Abruf: 20.02.20221), researchgate.com
- MIN-Fakultät der Universität Hamburg: Stellungnahme des MIN-Dekanats, (Abruf: 20.02.2021), MIN-Fakultät der Universität Hamburg
- Coronavirus Structural Task Force: Labor in Wuhan - Stellungnahme zur Pressemitteilung der Uni Hamburg und Prof. Wiesendanger, (Abruf: 20.02.2021)
- David Cyranoski: Inside the Chinese lab poised to study world's most dangerous pathogens; in: Nature, (veröffentlicht: 22. 02.2017, updated: 23.02.2017), Nature
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