Unisex-Tarife: Männer und Frauen werden bei den Versicherungstarifen gleichgestellt
27.08.2012
Ab Dezember 2012 müssen die Privaten Krankenversicherer sogenannte Unisex-Tarife anbieten. Bisher zahlten Frauen aufgrund ihres Geschlechts etwa 30 Prozent mehr für ihre Private Krankenversicherung. Wir zeigen was sich mit der Neueinführung der PKV Tarife im gesamten Versicherungswesen ändert. Denn nur wenige Neuverträge werden günstiger, bei den meisten müssen sich Neukunden auf höhere Beiträge gefasst machen.
Geschlechtsspezifische Verträge werden abgeschafft
Ab dem 21. Dezember muss die PKV neue private Krankenversicherungen anbieten. Mit sogenannten Unisex-Tarifen werden die Beiträge von Frauen und Männer angeglichen. Denn bislang mussten Frauen in vergleichbaren Tarifen im Schnitt 30 Prozent mehr zahlen. Weil das aber eine Ungleichbehandlung ist, sind die Versicherer nunmehr dazu verpflichtet, gleichberechtigte Angebote zu unterbreiten.
Die Branche tat alles um die Unisex-Tarife zu verhindern. Sie verwahrten sich in diesem Zusammenhang davor, die Tarifgestaltung würde Frauen benachteiligen. Vielmehr hätte sie immer eine „differenzierte Risikoberechnung“ vorgenommen. Denn Frauen gehen laut Statistiken häufiger zum Arzt und gebären obendrein Kinder. Daher sei es legitim die Beitragskalkulation entsprechend anzupassen, so die bisherige Position der Anbieter. Das sahen die obersten Euro-Richter der Europäische Gerichtshof jedoch gänzlich anders. Sie bezeichneten die Preisunterschiede für Frauen als „unvereinbar mit der Grundrechtecharta der Europäischen Union“. Die Richter schlossen sich der Position der belgischen Verbraucherschutzorganisation „Association Belge des Consommateurs“ an, einer ähnlichen Organisation wie die Stiftung Warentest in Deutschland, wonach eine geschlechtsspezifische Diskriminierung bei der Tarifgestaltung stattfinde. (siehe: Geschlecht darf PKV Beiträge nicht bestimmen). Nach einer Übergangsphase müssen die Versicherungskonzerne nun ab dem 21. Dezember 2012 nur noch einheitliche geschlechtsneutrale Verträge an Neukunden verkaufen.
Beitragserhöhungen sind zu erwarten
Dieser längst überfällige Schritt wird nach Meinung von Finanzexperten zahlreiche Begleiterscheinungen mit sich bringen. So berichtete das Verbraucherschutzmagazin der Stiftung Warentest „Finantest“ in seiner aktuellen Ausgabe, dass die „Beiträge von durchschnittlich steigen werden“. Denn die Branche wird nunmehr die fehlenden Einnahmen mit Mehraufschlägen in den Tarifwerken bedenken. Mit anderen Worten: Die Privatversicherungen werden insgesamt teurer, für Frauen und Männer.
Finanztest beruft sich dabei auf eine Umfrage bei den 20 größten Versicherungsunternehmen in Deutschland. Weil Beitragserhöhungen unpopulär sind, antworteten neun Gesellschaften, sie würden noch kalkulieren, elf Versicherer gaben jedoch ihre Berechnungsbeispiele preis und ließen eindeutig erkennen, dass der Weg in Richtung Tarifanpassungen geht. So müssen sich männliche Versicherte schon jetzt darauf gefasst machen, dass nicht nur die Krankenversicherungen teurer werden, sondern auch die Privaten Rentenversicherungen, die Rürup- Rentenversicherungen, private Pflegeversicherungen sowie die Berufsunfähigkeitsversicherung. Währende die Rentenversicherungen „teilweise deutlich teurer werden“, so erwarten die Experten bei den Pflegeversicherungen Preissteigerung von bis zu 40 Prozent. Im Gegensatz dazu werden privatversicherte Frauen nur geringe Preisnachlässe erfahren. Die Stiftung spricht hierbei von „nur mäßigen Preissenkungen“.
Unisex-Tarife mit Auswirkungen auf alle Tarifabschlüsse
Professor Jürgen Strobel vom Institut für Versicherungswesen an der Fachhochschule Köln zeigte sich „wenig überrascht von den Prognosen“. Die Unisex-Tarife seien seinen Angaben zufolge nur für das Geschlecht interessant, dass in dem gewählten Tarif das „schlechte Risiko“ darstellt. Eben jene „schlechten Risiken“ seien jedoch für die Versicherungsgesellschaften kostenintensiver. „Sie müssen in ihren Kalkulationen berücksichtigen, dass jetzt eventuell mehr dieser schlechten Risiken ihre Produkte kaufen und gerade bei langlaufenden Verträgen Sicherheiten einbauen“, betonte der Versicherungsexperte. Das würde sich unweigerlich auf die Preisgestaltung auswirken.
Frauen müssen bei Versicherungen meist mehr zahlen
Während in einigen Tarifen Frauen ein paar Preisnachlässe erleben werden, werden sie bei den neugestalteten Unisex-Tarifen nicht immer profitieren. Das wird am Beispiel der Risikolebenspolice deutlich. Frauen die ihre nächsten Familienangehörigen absichern wollen, müssen mit bis 55 Prozent Mehraufschlägen rechnen, wie die Zeitschrift „Finanztest“ ermittelte. Die Finanztester nannten in ihrem Bericht zu erwartende Preiserhöhungen „bei der Allianz und Züricher von 30 bis 55 Prozent für Frauen.“
Neben der Risikolebensversicherung wird auch die Unfallpolice für Frauen sehr viel teurer. Bislang teilten die Unternehmen ihre Versicherten in zwei Risikogruppen auf: in Gruppe A und Gruppe B. Unabhängig vom Berufsleben wurden Frauen immer die Gefahrengruppe A eingestuft. In diese Gruppe kommen meist Angestellte aus den Verwaltungsberufen und kaufmännischen Abteilungen, bei denen statistisch weniger Unfallgefahren vorherrschen. Damit soll ab Dezember nun Schluss sein. Frauen, die in risikoreicheren Berufen arbeiten, sollen zum Jahreswechsel ebenso wie die Männer in die Gruppe B eingestuft werden. In diese Gruppe kamen bislang nur Männer, die zum Beispiel auf dem Bau oder anderen gefährlichen Berufen eingruppiert wurden. Das bedeutet wesentlich höhere Aufschläge für die Frauen.
Preissteigerungen bei der Autoversicherung für Fahranfängerinnen
Auch bei den Autohaftpflicht und Autovollversicherungen werden weibliche Fahranfänger künftig mehr zahlen müssen. Bislang galt, dass Frauen weniger zahlen müssen, weil sie auch weniger Unfälle verursachen als die männlichen Autofahrer. Verbraucherschützer raten Versicherungsnehmern, die sich demnächst eine Versicherung zulegen wollen, sich genau mit den Tarifentwicklungen und Bedingungen zu befassen. Das gelte „für Frauen und Männer gleichermaßen“. Das gilt für Verträge „die vor dem 21. Dezember oder danach abgeschlossen werden“. Ein wichtigen Tipp gibt zum Beispiel Finanztest bei den Risikolebensversicherungen: „Frauen, die eine Risikolebenspolice benötigen, sollten diese vor dem Stichtag abschließen. Männer sollten eher warten, weil die Risikolebensversicherung voraussichtlich günstiger wird“.
Bei den Berufsunfähigkeitsversicherungen ist es allerdings genau andersherum. Hier sollten Männer laut des Verbrauchermagazins möglichst jetzt eine Versicherung abschließen und Frauen eher noch warten. Die Berufsunfähigkeitsversicherung könnte nämlich laut der Verbraucherschützer für Frauen billiger werden. Interessierte sollten daher bei den jeweiligen Versicherungsanbietern nachfragen, ob diese Preissenkungen vorziehen. Dann sei es „nicht notwendig, weiterhin abzuwarten“.
Nicht voreilig Versicherung abschließen
Wie schon zu Zeiten vor dem gefällten Urteil zu den Unisex-Tarifen gilt auch heute, sich nicht zu schnellen Tarifabschlüssen seitens der Makler hinreißen zu lassen. Übereilt abgeschlossene Verträge können sich im Nachhinein als wesentlich teurer herausstellen. Verbraucherschützer warnen davor nicht alles abzuschließen, was einem angeboten oder angepriesen wird. Ist eine Berufsunfähigkeitsversicherung für jeden Arbeitnehmer quasi ein „Muss“, sei einer Risikolebensversicherung für einen Alleinstehenden „eher überflüssig“. Die Risikopolice ist nur dann sinnvoll, wenn der Lebenspartner oder die Kinder bei dem plötzlichen Tod des Alleinverdieners abgesichert werden sollen. Das gilt auch, wenn der Kredit für das Haus noch nicht abgezahlt ist und das Einkommen für den Lebensunterhalt nicht ausreicht.
Umstellungen gelten nur für Neuverträge: Vorsicht bei Vertragsänderungen
Bestandskunden können die Tarifreformen entspannt zur Kenntnis nehmen. Denn die Unisex-Tarife gelten bis auf weiteres nur für die Neukundenabschlüsse. Dennoch ist Obacht angesagt: Wollen Bestandskunden ihre Altverträge ändern, weil die beispielsweise die Versicherungssumme erhöht werden soll, könnten die Versicherer dies als „Neuabschluss“ ansehen. Deshalb raten Experten dazu den Vertrag vor Unterschrift genau durchzugehen: „Nur wenn im Vertrag ausdrücklich eine Option auf Veränderung mit eingebaut ist, gelten weiterhin die alten Regeln“, mahnt Versicherungsexperte Strobel. Versicherte sollten deshalb genau „auf das Kleingedruckte achten“. (sb)
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