BGH prüft Arzthaftung: Patientin hatte statt Vaginal-Pilzen Krebs
Karlsruhe (jur). Es gibt gute Gründe, warum Ärzte in einer schriftlichen Mitteilung nicht sofort Klartext reden, sondern Patienten lieber persönlich in die Praxis bitten. Patienten sollten eine solche Aufforderung daher nicht einfach ignorieren, sondern zumindest nach den Gründen fragen, wie aus einem kürzlich veröffentlichten Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe vom 11. April 2017 hervorgeht (Az.: VI ZR 576/15). Umgekehrt sollten bei dringenden Anliegen Ärzte aber auch überprüfen, ob der Patient der Aufforderung nachgekommen ist.
Zusätzlich für Juristen interessant: In einem weiteren Leitsatz bekräftigte der BGH, dass Gerichte einen Streit nur dann in mehrere Teilurteile aufspalten dürfen, wenn ausgeschlossen ist, dass die einzelnen Teile im Ergebnis rechtlich unterschiedlich bewertet werden.
Im Streitfall war eine damals 26-jährige Frau im April 2007 zur Krebsvorsorgeuntersuchung in einer frauenärztlichen Gemeinschaftspraxis gegangen. Ein Abstrich ergab einen unklaren Befund. Im Rahmen der Gebärmutterhals-Früherkennung war daher eine weitere Abklärung erforderlich. Als die entsprechenden Ergebnisse vorlagen, schickte die Ärztin der Patientin ein Rezept für bestimmte Vaginaltabletten. Diese werden vorrangig gegen Trichomoniasis eingesetzt, einem Befall mit bestimmten Einzellern. Hier sollten die Tabletten allerdings für eine Aufhellung des Zellbildes und so für bessere Untersuchungsergebnisse sorgen. Nach Verwendung der Tabletten sollte die Patientin erneut in die Praxis kommen.
Die Patientin erschien allerdings erst wieder im Januar 2008 – wegen eines Rezepts für ein Verhütungsmittel. Die Ärztin machte nochmals einen Abstrich – erneut mit unklarem Befund. Wiederum erhielt die Patientin einen Brief mit einem Rezept für die Vaginaltabletten sowie das zugehörige Standard-Anschreiben mit einer Aufforderung zum Praxisbesuch.
Als die Patientin im April 2008 in die Praxis kam, schickte die Ärztin sie sofort für eine Gewebeuntersuchung in eine entsprechende Fachpraxis. Dabei wurde Krebsgewebe am Gebärmutterhals festgestellt. In der Folge wurde die Frau deswegen viermal operiert.
Mit ihrer Klage rügt die Patientin eine unzureichende Aufklärung. Die Vaginaltabletten habe sie verwendet, sei dabei aber von einer Pilzerkrankung ausgegangen. Einen erneuten Praxisbesuch habe sie daher nicht für erforderlich gehalten. Von der Ärztin verlangte sie 30.000 Euro Schmerzensgeld sowie Schadenersatz für Verdienstausfall und Behandlungskosten in Höhe von 42.000 Euro.
Das Kammergericht Berlin ging von einem Befunderhebungsfehler aus und sprach mit einem Teilurteil der Patientin 15.000 Euro Schmerzensgeld zu. Die Schadenersatzforderung trennte es hiervon ab, weil noch weiterer Klärungsbedarf bestand.
Wie nun der BGH entschied, liegt ein Befunderhebungsfehler nicht vor. Nach unwidersprochenen eigenen Angaben habe sie mit ihrem Anschreiben die Patientin erneut einbestellt, um die notwendigen weiteren Befunde zu erheben. Daher komme „allein das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Pflicht zur therapeutischen Beratung, etwa wegen eines unterlassenen Hinweises auf die Dringlichkeit der gebotenen Maßnahme, in Betracht“.
Daher soll das Kammergericht Berlin nun nochmals definitiv klären, ob in dem Anschreiben eine Aufforderung zum erneuten Praxisbesuch enthalten war. Wenn ja, soll es bewerten, wie der unterbliebene Warnhinweis einzuordnen ist.
Ein Sachverständiger hatte dies „für sich genommen“ noch als fehlerfrei angesehen. Daraus könne sich dann aber eine Pflicht zur Kontrolle ergeben, ob die Patientin Rezept und Anschreiben „richtig verstanden und sich zur weiteren Untersuchung gemeldet hat“. Dabei komme der Schwere der möglichen Erkrankung ein besonderes Gewicht zu, betont der BGH.
Zudem rügten die Karlsruher Richter die Aufteilung des Streits durch das Kammergericht. Denn auch im Streit um Schadenersatz stelle sich zunächst die Frage, ob der Ärztin eine für Folgeschäden ursächliche Pflichtverletzung vorzuwerfen ist. Dies hätte das Kammergericht daher verbindlich für die Schmerzensgeld- und die Schadenersatzforderung gemeinsam prüfen müssen.
Bereits früher hatten die Karlsruher Richter entschieden, dass ein unterlassener Dringlichkeitshinweis nicht automatisch als grober Fehler gilt; danach kann es noch als einfacher Fehler gelten, wenn der Arzt eine Untersuchung zwar nicht als dringlich, immerhin aber als „notwendig“ vermittelt hat (Urteil vom 17. November 2015, Az.: VI ZR 476/14; JurAgentur-Meldung vom 15. Januar 2016). mwo/fle
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