Gezieltere Behandlung von Fettleibigkeit in Aussicht?
Ein neu identifiziertes Protein spielt eine wichtige Rolle dabei, wie das Gehirn Appetit und Stoffwechsel reguliert. Ist dieses Protein im Vorderhirn nicht vorhanden, scheint das mit einem erhöhten Appetit und übermäßigem Essen verbunden zu sein. Eine Erkenntnis, die in Zukunft auch eine verbesserte Behandlung von Übergewicht und Fettleibigkeit ermöglichen könnte.
In einer aktuellen Untersuchung unter Beteiligung von Forschenden des Okinawa Institute of Science and Technology Graduate University (OIST) wurde ein Protein identifiziert, welches eine Schlüsselrolle dabei spielt, wie das Gehirn Appetit und Stoffwechsel reguliert. Der Verlust des Proteins XRN1 im Vorderhirn führte bei Mäusen zu Hyperphagie (unstillbarem Appetit) und zur Entwicklung von Fettleibigkeit. Die entsprechenden Studienergebnisse können in dem englischsprachigen Fachblatt „iScience“ nachgelesen werden.
Wie entsteht Fettleibigkeit?
„Grundsätzlich wird Fettleibigkeit durch ein Ungleichgewicht zwischen Nahrungsaufnahme und Energieverbrauch verursacht. Aber wir verstehen immer noch sehr wenig darüber, wie der Appetit oder der Stoffwechsel durch die Kommunikation zwischen dem Gehirn und Teilen des Körpers, wie der Bauchspeicheldrüse, der Leber und dem Fettgewebe, reguliert wird“, erläutert Studienautorin Dr. Akiko Yanagiya von der Okinawa Institute of Science and Technology Graduate University in einer Pressemitteilung.
Fettleibigkeit durch fehlendes XRN1
Für die neue Studie wurden nun Mäuse gezüchtet, welche das Protein XRN1 in einer Untergruppe von Neuronen im Vorderhirn nicht produzieren konnten. Zu dieser Hirnregion gehört der Hypothalamus, welcher Hormone in den Körper abgibt, die bei der Regulierung von Körpertemperatur, Schlaf, Durst und Hunger helfen, so das Team.
Im Alter von sechs Wochen begannen die Mäuse ohne XRN1 im Gehirn schnell an Gewicht zuzunehmen und im Alter von zwölf Wochen waren sie fettleibig. Das Fett sammelte sich im Körper der Mäuse an, auch im Fettgewebe und in der Leber. Bei der Beobachtung des Fressverhaltens stellte das Team schließlich fest, dass die Mäuse ohne XRN1 fast doppelt so viel pro Tag aßen wie die Tiere aus der Kontrollgruppe, was auch für die Fachleute sehr unerwartet war.
Mäuse ohne XRN1 reagierten nicht auf Leptin
Die Forschenden maßen den Blutspiegel von Leptin (ein Hormon, das den Hunger unterdrückt), um herauszufinden, warum die Tiere einen solchen unstillbaren Appetit aufwiesen. Im Vergleich zu den Kontrollmäusen war der Leptinspiegel im Blut ungewöhnlich hoch, was normalerweise das Hungergefühl der Mäuse unterdrücken würde. Doch im Gegensatz zu den Kontrollmäusen reagierten die Mäuse ohne XRN1 nicht auf die Anwesenheit von Leptin – ein Zustand, der als Leptinresistenz bekannt ist.
Diabetes durch fehlendes XRN1?
Zusätzlich stellte das Team fest, dass fünf Wochen alte Mäuse ohne XRN1 resistent gegen Insulin waren, ein Hormon, das von den Betazellen in der Bauchspeicheldrüse als Reaktion auf den hohen Blutzuckerspiegel nach dem Essen ausgeschüttet wird. Diese Art von Störung in der Reaktion des Körpers auf Glukose und Insulin könne zu Diabetes führen und als die Mäuse älter wurden, stiegen die Glukose- und Insulinwerte im Blut parallel zu den erhöhten Leptinwerten deutlich an, so die Fachleute.
„Wir vermuten, dass die Glukose- und Insulinwerte aufgrund der fehlenden Reaktion auf Leptin anstiegen. Leptinresistenz bedeutete, dass die Mäuse weiter aßen, was den Glukosespiegel im Blut hoch hielt und somit den Insulinspiegel im Blut erhöhte“, erklärt Dr. Yanagiya.
Als nächstes überprüfte das Team, ob die Fettleibigkeit auch darauf zurückzuführen war, dass die Mäuse weniger Energie verbrauchten. Sie setzten jedes Tier in einen speziellen Käfig, in dem gemessen wurde, wie viel Sauerstoff die Mäuse verbrauchten, um indirekt ihre Stoffwechselrate zu ermitteln.
XRN1 beeinflusst Nutzung von Energiequellen
Bei den sechs Wochen alten Mäusen stellten die Forschenden keinen allgemeinen Unterschied im Energieverbrauch fest. Allerdings fanden die Fachleute etwas für sie sehr Überraschendes. Die Mäuse ohne XRN1 nutzten hauptsächlich Kohlenhydrate als Energiequelle, während die Kontrollmäuse in der Lage waren, zwischen der Verbrennung von Kohlenhydraten in der Nacht (aktivste Tagesphase) und der Verbrennung von Fett am Tag (weniger aktive Phase) zu wechseln.
„Aus irgendeinem Grund konnten die Mäuse ohne XRN1 Fett nicht effektiv als Brennstoff nutzen. Warum das so ist, wissen wir allerdings noch nicht“, berichtet Dr. Yanagiya.
Übermäßiges Essen dank Leptinresistenz
Sobald die Mäuse zwölf Wochen alt waren, sank ihr Energieverbrauch im Vergleich zu den Kontrolltieren. Die Forschenden sind jedoch der Meinung, dass dies eher eine Folge der Fettleibigkeit war und nicht deren Ursache. „Insgesamt denken wir, dass übermäßiges Essen aufgrund von Leptinresistenz die treibende Ursache dafür war, dass diese Mäuse fettleibig wurden”, so Dr. Yanagiya.
Um weiter zu untersuchen, wie der Verlust von XRN1 zu Leptinresistenz und gesteigertem Appetit führt, analysierte das Team, ob sich die Aktivität von appetitregulierenden Genen im Hypothalamus veränderte.
XRN1 spielt eine entscheidende Rolle bei der Genaktivität, da es am letzten Schritt des Abbaus von Boten-RNA (mRNA) beteiligt ist. Wenn ein Gen aktiv ist, wird aus der DNA ein Molekül mRNA hergestellt, welches dann zum Aufbau eines bestimmten Proteins verwendet werden kann. Zellen haben viele Möglichkeiten, die Aktivität von Genen zu regulieren, beispielsweise durch langsameren oder schnelleren Abbau von mRNA, was dazu führt, dass mehr bzw. weniger Protein gebildet wird, erklären die Fachleute.
Im Hypothalamus wurde schließlich festgestellt, dass die mRNA, die zur Herstellung des Proteins Agouti-related peptide (AgRP) – einem der stärksten Appetitstimulatoren – verwendet wird, bei den fettleibigen Mäusen erhöht war, was zu höheren Mengen des AgRP-Proteins führte.
„Noch ist es nur eine Spekulation, aber wir denken, dass ein Anstieg dieses Proteins und eine abnormale Aktivierung des Neurons, dass es produziert, die Ursache für die Leptinresistenz bei diesen Mäusen sein könnte. Leptin unterdrückt normalerweise die Aktivität des AgRP-Neurons, aber wenn der Verlust von XRN1 dazu führt, dass dieses Neuron hochaktiv bleibt, könnte es das Leptinsignal außer Kraft setzen“, so Dr. Yanagiya.
Der genaue Mechanismus, wie der Verlust von XRN1 zu einer erhöhten Aktivierung der AgRP-Neuronen führt, bleibt nach Aussage der Forschenden jedoch unklar. XRN1 wurde nur in einer bestimmten Untergruppe von Neuronen im Vorderhirn entfernt, und AgRP-Neuronen gehörten nicht dazu. Dies deutet darauf hin, dass ein anderes Neuron, welches XRN1 verloren hat, involviert sein könnte und den AgRP-Neuronen falsche Signale sendet und sie aktiv hält, erläutert das Team.
Zukünftig gezieltere Behandlung von Fettleibigkeit möglich?
Zukünftige Forschung soll nun klären, wie XRN1 die Aktivität der Neuronen im Hypothalamus zur Appetitregulierung beeinflusst. „Wenn wir herausfinden, welche Neuronen und Proteine im Gehirn an der Appetitregulierung beteiligt sind, und wenn wir genau wissen, wie die Resistenz gegen Leptin entsteht, könnte dies schließlich zu einer gezielten Behandlung von Fettleibigkeit führen”, fügt Dr. Yanagiya hinzu. (as)
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Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Okinawa Institute of Science and Technology Graduate University: Key protein linked to appetite and obesity in mice (veröffentlicht 15.10.2021), OIST
- Shohei Takaoka, Akiko Yanagiya, Haytham Mohamed Aly Mohamed, Rei Higa, TakayaAbe: Neuronal XRN1 is required for maintenance of whole-body metabolic homeostasis; in: iScience (veröffentlicht Volume 24, Issue 10, 22.10.2021), iScience
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.