Schätzungen falsch: Doppelt so viele Menschen sterben an Sepsis
Elf Millionen Todesfällen wurden im Jahr 2017 durch eine Blutvergiftung verursacht. Das bedeutet: Jeder fünfte Todesfall weltweit ist auf eine Sepsis zurückzuführen. Rund 40 Prozent der Opfer sind Kinder im Alter unter fünf Jahre. Weltweit sterben somit doppelt so viele Menschen an einer Blutvergiftung wie bislang angenommen. Dies geht aus einer umfassenden globalen Untersuchung zu dem Thema hervor.
Forschende der medizinischen Fakultäten der Universität Pittsburgh und der Universität Washington führten eine umfassende Analyse über die weltweite Verbreitung von Blutvergiftungen durch. Dabei zeigte sich, dass die Prävalenz der Sepsis weit unterschätzt wurde. Entgegen früherer Schätzungen treten rund doppelt so viele Sepsis-Fälle weltweit auf, wie bislang vermutet. Unter den Opfern befinden sich überproportional viele Kinder. Die Ergebnisse wurden kürzlich in dem renommierten Fachjournal „The Lancet“ publiziert.
Fast 50 Millionen Sepsis-Fälle pro Jahr
Im Jahr 2017 gab es 48,9 Millionen Sepsisfälle. 11 Millionen Fälle endeten tödlich. Laut der aktuellen Studie entspricht das jedem fünften Todesfall weltweit. Eine Sepsis tritt auf, wenn Organe infolge einer Infektion nicht mehr richtig funktionieren. Selbst wenn eine Blutvergiftung nicht tödlich endet, kann sie lebenslange Schädigungen hinterlassen.
Arme Kinder trifft es am härtesten
Dem Bericht zufolge tritt die große Mehrheit der Sepsis-Fälle (rund 85 Prozent) in Ländern mit niedrigem oder mittlerem soziodemographischen Status auf. Die höchste Belastung wurde in Afrika südlich der Sahara, auf den südpazifischen Inseln bei Australien sowie in Süd-, Ost- und Südostasien festgestellt. Die Sepsis-Inzidenz war bei Frauen höher als bei Männern. Besonders stark ist die Gruppe der unter Fünfjährigen betroffen – sie machen 40 Prozent aller Opfer aus.
Sepsis wurde weit unterschätzt
„Wir sind beunruhigt, dass die Sepsis-Todesfälle viel höher sind als bisher angenommen, zumal die Krankheit sowohl vermeidbar als auch behandelbar ist“, berichtet Dr. Mohsen Naghavi, einer der Studienautoren und Professor für Gesundheitsmetrik am Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) der University of Washington School of Medicine.
„Wir müssen uns erneut auf die Prävention von Sepsis bei Neugeborenen und auf die Bekämpfung der antimikrobiellen Resistenz, einer wichtigen Triebkraft der Krankheit, konzentrieren“, so der Professor.
Sepsis ist keine primäre Todesursache
Für seine Analyse nutzte das Team um Naghavi die Global Burden of Disease (GBD) Studie, eine umfassende epidemiologische Analyse, die von der IHME koordiniert wird. In der Studie sind derzeit über 282 primäre Todesursachen aufgeführt. Die Sepsis gehört nicht dazu, weil sie eine intermediäre Todesursache ist. Eine primäre Todesursache ist die zugrunde liegende Erkrankung, wie beispielsweise Krebs. Eine intermediäre Todesursache ist ein Zwischenfall, der durch die primäre Todesursache begünstigt wird, letztendlich aber zum Tod führt.
Warum lagen die Schätzungen so weit daneben?
Bisherige globale Schätzungen für Sepsis waren begrenzt, da sie sich auf Krankenhausdatenbanken aus einer ausgewählten Gruppe von Ländern mit mittlerem und hohem Einkommen stützten. Die bisherigen Schätzungen übersahen die erhebliche Belastung durch Sepsis, die außerhalb des Krankenhauses auftritt, insbesondere in Ländern mit niedrigem Einkommen. Die aktuelle Studie ist die erste Untersuchung, die die Sterblichkeit sowohl innerhalb als auch außerhalb des Krankenhauses darstellt.
Sepsis trotz hohem Vorkommen rückläufig
Die Forschenden analysierten die jährlichen Trends der Sepsis-Inzidenz und Mortalität von den Jahren 1990 bis 2017 und stellten fest, dass die Raten rückläufig sind. Im Jahr 1990 gab es schätzungsweise 60,2 Millionen Sepsisfälle und 15,7 Millionen Todesfälle. Bis zum Jahr 2017 sank die Inzidenz um 19 Prozent auf 48,9 Millionen Fälle und die Zahl der Todesopfer um 30 Prozent auf 11,0 Millionen.
Infektion der unteren Atemwege führt häufig zu Sepsis
Nach Angaben des Berichts ist die häufigste zugrunde liegende Ursache für sepsisbedingte Todesfälle eine Infektion der unteren Atemwege.
„Ich habe im ländlichen Uganda gearbeitet, und Sepsis ist das, was wir jeden einzelnen Tag sehen“, ergänzt die leitende Autorin Dr. Kristina E. Rudd von Pitts Department of Critical Care Medicine. „Ein Baby an einer Krankheit sterben zu sehen, die man mit grundlegenden Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens hätte verhindern können, bleibt einem wirklich im Gedächtnis“, so Rudd.
Sepsis ist nicht in der Top-10-Listen der Todesfälle aufgeführt
„Ich möchte zur Lösung dieser Tragödie beitragen, deshalb beteilige ich mich an der Forschung über Sepsis“, erläutert Rudd weiter. Doch die Fortschritte seien schwer nachvollziehbar, da die Sepsis nicht mal in der Top-Ten-Liste der weltweiten Todesfälle aufgeführt ist. Blutvergiftungen werden einfach nicht gezählt.
Wie kann man dem entgegenwirken?
„Man sollte mit der grundlegenden Infrastruktur des öffentlichen Gesundheitswesens beginnen“, schlägt Rudd vor. Hierzu gehören beispielsweise Impfstoffe, Zugang zu einer Toilette und sauberem Trinkwasser, eine angemessene Ernährung für Kinder sowie die Gesundheitsvorsorge für Mütter.
Erste Symptome einer Blutvergiftung
Die ersten Symptome bei einer Sepsis sind meist unspezifisch. Allerdings sollte bei den nachfolgenden Beschwerden sowieso der Notarzt gerufen werden. Nicht alle Beschwerden müssen gleichzeitig auftreten. Um so schneller eine Diagnose gestellt wird, um so höher auch die Heilungschancen.
- Herzrasen (Tachykardie)
- manchmal Hautausschlag
- “>zu niedriger Blutdruck (Hypotonie)
- Fieber oder eine Unterkühlung (oft mit Schüttelfrost)
- Schmerzen
- schnelles Atmen (Tachypnoe), erschwerte Atmung (Dyspnoe)
- Austrocknung des Körpers
- innere Unruhe, Verwirrtheitszustände
- leichtere Benommenheit – auch bis zum Koma.
Grippe kann auch eine Sepsis auslösen
„Aber Sepsis ist auch in den USA immer noch ein Problem“, betont Rudd. Blutvergiftungen seien auf dem ersten Platz unter den Ursachen für Todesfälle von Krankenhauspatienten. Typische Erkrankungen wie Influenza oder eine Lungenentzündung können eine Sepsis nach sich ziehen. Auch Personen mit Diabetes seien einer erhöhten Gefahr ausgesetzt, da sie anfälliger gegenüber Infektionskrankheiten sind.
Forschende wünschen sich mehr Unterstützung aus reichen Ländern
„Schließlich müssen wir für Menschen in Ländern mit hohem Einkommen, die helfen wollen, die Sepsis-Raten in Gebieten mit niedrigem Einkommen zu reduzieren, die Erforschung von Behandlungsmethoden unterstützen und unsere gewählten Vertreter für die Bedeutung der Unterstützung der Prävention und Kontrolle von Sepsis in Gemeinden mit niedrigem Einkommen einsetzen“, resümiert die Studienautorin. (vb)
Für weitere Informationen über Sepsis lesen Sie: Blutvergiftung (Sepsis; Septikämie) und Sepsis: 140 Todesfälle pro Tag durch Blutvergiftung.
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Kristina E Rudd, Sarah Charlotte Johnson, Kareha M Agesa, et al.: Global, regional, and national sepsis incidence and mortality, 1990–2017: analysis for the Global Burden of Disease Study, The Lancet, 2020, thelancet.com
- Institute for Health Metrics and Evaluation: Sepsis associated with 1 in 5 deaths globally, double previous estimate (Veröffentlicht: 16.01.2020), healthdata.org
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.