Vagusnerv-Stimulation verstärkt Kommunikation zischen Magen und Hirn
Es ist schon länger bekannt, dass der Vagusnerv einen Einfluss auf verschiedene Körperfunktionen hat. Forschende berichten nun, dass eine Stimulation des Vagusnervs die Kommunikation zwischen Magen und Gehirn verstärkt. Die neuen Erkenntnisse können zu neuen Therapieoptionen bei Depressionen, Adipositas und Essstörungen beitragen.
Ein Forschungsteam um Prof. Dr. Nils Kroemer der Universitätsklinika Tübingen und Bonn konnte erstmals zeigen, dass eine nicht-invasive Stimulation des Vagusnervs am Ohr die Kommunikation zwischen Magen und Gehirn innerhalb von Minuten verstärken kann. Die Studienergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitschrift „Brain Stimulation“ veröffentlicht.
Netzwerk im Gehirn identifiziert
Wie in einer gemeinsamen Pressemitteilung der Uniklinika Tübingen und Bonn erklärt wird, nimmt das Nervensystem Sinnesreize auf, verarbeitet sie und löst Reaktionen wie Muskelbewegungen oder Schmerzempfindungen aus.
Bereits vor einigen Jahren wurde ein Netzwerk im Gehirn identifiziert, das mit den Signalen des Magens gekoppelt ist und vermutlich das menschliche Hunger- und Sättigungsgefühl beeinflusst.
Jetzt konnte ein Forschungsteam um Prof. Dr. Nils Kroemer der Universitätsklinika Tübingen und Bonn erstmals zeigen, dass eine nicht-invasive Stimulation des Vagusnervs am Ohr die Kommunikation zwischen Magen und Gehirn innerhalb von Minuten verstärken kann.
Vagusnerv kann nicht-invasiv stimuliert werden
Der Vagusnerv ist verantwortlich für die Steuerung zahlreicher Aspekte des menschlichen Verhaltens. Dieser Hirnnerv verbindet verschiedene wichtige Organsysteme mit dem Gehirn und unterstützt somit die Weiterleitung von körpereigenen Signalen.
Diese helfen beispielsweise bei der gezielten Nahrungssuche, indem sie das Belohnungssystem für Essensreize schärfen, wenn der Magen leer ist. Bisherige Forschungen haben gezeigt, dass der Vagusnerv die Verdauung über das Gehirn regulieren kann.
Dieser Mechanismus ist für therapeutische Anwendungen relevant, weil der Vagusnerv nicht-invasiv stimuliert werden kann. Mit einer neuen Studie beantwortet das Team um Doktorandin Sophie Müller und Prof. Dr. Nils Kroemer die bisher ungeklärte Frage, wie genau die Steuerung über das Hirn funktioniert.
Auswirkungen innerhalb weniger Minuten
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Tübingen und Bonn sowie des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung untersuchten insgesamt 31 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Die Forschenden kombinierten die Stimulation des Vagusnervs am Ohr mit einer zeitgleichen Aufzeichnung der Aktivierung des Gehirns über funktionelle Magnetresonanztomographie (MRT) und einem sogenannten Elektrogastrogram, bei dem Elektroden – ähnlich wie bei einem EKG – über dem Magen platziert werden, um die Signale des Verdauungstraktes aufzuzeichnen.
„Wir konnten erstmals zeigen, dass wir die Kopplung zwischen Signalen des Magens und des Gehirns mit einer elektrischen Stimulation verstärken können – und das innerhalb von wenigen Minuten“, erläutert Prof. Kroemer.
Der Wissenschaftler leitet eine Arbeitsgruppe zu neurobiologischen Grundlagen von Motivation, Handlungen und Verlangen (neuroMADLAB) im Bereich Translationale Psychiatrie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Uniklinikums Tübingen und ist seit 2022 Professor für Medizinische Psychologie an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Bonn.
Erkenntnisse können neue Therapieoptionen ermöglichen
Die Forscherinnen und Forscher haben bei den Studienteilnehmenden sowohl den Vagusnerv am Ohr als auch in einer Kontrollsimulation andere Nerven am Ohr angeregt. „Wir konnten beobachten, dass die Vagusnerv-Stimulation die Kopplung mit Signalen des Magens im Hirnstamm und im Mittelhirn erhöht,“ so Prof. Kroemer.
„Diese Regionen sind wichtig, da sie die ersten Ziele des Vagusnervs im Gehirn sind und über das Mittelhirn bereits Effekte vermittelt sein könnten, die unsere Handlungen beeinflussen.“
Darüber hinaus entdeckten sie, dass die Kopplung mit dem Magen im gesamten Gehirn zunahm, insbesondere in Regionen, die schon vor der Stimulation stärker mit dem Magen kommunizieren. Veränderungen in der Kopplung zwischen Magen und Gehirn können nahezu unmittelbar erzeugt werden und sich schnell ausbreiten.
Die neuen Erkenntnisse können neue Therapieoptionen ermöglichen. So forscht die Gruppe um Prof. Kroemer derzeit weiter an einer möglichen Anwendung bei Depressionen, wo Veränderungen in der Kommunikation zwischen dem Körper und dem Gehirn schon als ein wesentlicher Faktor betrachtet werden.
Auch bei Adipositas (Fettleibigkeit) und Essstörungen könnte die Stimulation des Vagusnervs in Zukunft betroffenen Personen helfen, die Wahrnehmung der Körpersignale wiederherzustellen. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Universitätsklinikum Tübingen: Stimulation des Vagusnervs verstärkt die Kommunikation zwischen Magen und Gehirn, (Abruf: 06.09.2022), Universitätsklinikum Tübingen
- Müller, Sophie, et. al.: Vagus nerve stimulation increases stomach-brain coupling via a vagal afferent pathway; in: Brain Stimulation, (veröffentlicht: 03.09.2022), Brain Stimulation
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.