Vegan-Autorin: Warum wir Hunde lieben, aber Schweine essen
Vegetarische und vegane Ernährung ist seit längerem in aller Munde. Die US-Psychologin Melanie Joy widmet sich in ihrem neuen Buch „Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen“ den psychologischen und kulturellen Aspekten des Fleischessens. Gegenüber "BILD" erklärte sie ihre Thesen.
Schweine essen und Kühe anziehen
In Berlin, München, Köln, Bremen und Tübingen dürfen sich Studenten laut einer aktuellen Meldung ab sofort über vegane Gerichte in der Uni-Mensa freuen. Die Studentenwerke wollten damit einen Beitrag zur „gesunden Ernährung der Lernenden und für den Klimaschutz“ leisten. Melanie Joy, Professorin für Psychologie und Soziologie an der University of Massachusetts, ist seit vielen Jahren Veganerin und erklärt in ihrem neuen Buch „Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen“ die psychologischen und kulturellen Aspekte des Fleischessens.
Fleischessen ist kein Normalzustand
Joy zufolge ist der Verzehr von Fleisch ein kulturell gelerntes Phänomen und keinesfalls der Normalzustand. In manchen Kulturen sei es etwa verpönt, Kühe zu essen, und bei uns gilt das als normal. „Wir schicken eine Tierart zum Schlachter und schenken der anderen unsere Liebe und Aufmerksamkeit“, so die Autorin. Sie meinte weiter, dass Fleisch nicht zum Überleben notwendig ist. Allgemein ist Fleischkonsum als eine der Hauptursachen verbreiteter Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht, Diabetes, Allergien oder Herzkreislauf-Erkrankungen bekannt. Zahlreiche Studien haben nachgewiesen, dass die Ursachen vieler Krankheiten im tierischen Eiweiß zu finden sind. Joy meint: „Wir essen Tiere schlicht deshalb, weil wir das schon immer getan haben und weil sie uns schmecken.“
Ideologie teilt in essbar und nicht essbar
Durch die Veganerin wurde auch der Begriff „Karnismus“ geprägt. Damit beschreibt sie ein unsichtbares System von Überzeugungen, das Tiere in die Kategorien „essbar“ und „nicht essbar“ sortiert. Bei dieser Ideologie sei es notwendig, den eigenen Fleischkonsum als normal, natürlich und notwendig aufzufassen. Anhand solcher Überzeugungen könnten sich Fleisch essende Menschen von einem Mitgefühl für die betroffenen Tiere distanzieren. Joy antwortete BILD.de auf die Frage, warum wir denn Kühe, aber keine Hunde essen: „Karnismus ist ein Glaubenssystem, das uns darauf konditioniert, Tiere zu essen. Wir grenzen uns psychologisch und emotional von den Tieren ab, wenn wir diese ausgewählten Arten als essbar betrachten.“
Problem sozialer Gerechtigkeit
Die meisten Menschen würden zwar nach Aussage der Psychologin gar nicht wollen, dass Tiere leiden, aber die Realität sieht dann doch anders aus. Um die grausamen Methoden der Tierhaltung nicht zu erkennen, gebe es „jede Menge soziale und psychologische Verteidigungsmechanismen, mit denen die Menschen ihr Mitgefühl für die Tiere ausschalten, ohne wirklich zu realisieren, was mit ihnen passiert. Zum Beispiel sieht kaum ein Fleischesser in seinem Beefsteak die Kuh, die dafür gestorben ist.“ Frau Joy hatte aufgehört, Fleisch zu essen, als sie von einem Hamburger krank wurde, der mit Bakterien verseucht war. Dieses Ereignis hatte dazu geführt, dass sie sich intensiv mit dem Fleischessen auseinandersetzte und schließlich ihre Doktorarbeit zu „Karnismus“ schrieb. Ihr Fazit: „Tiere zu essen ist ein Problem sozialer Gerechtigkeit.“
95 Prozent aus Mastanlagen
Die Autorin sieht einen großen Irrtum darin, wenn Menschen glauben, sie bräuchten Fleisch für eine gesunde Ernährung. Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass vegane Ernährung nicht nur ausreichen, sondern sogar viel gesünder ist als eine Ernährung, die auf tierischem Eiweiß beruht. Sie verweist außerdem darauf, dass in Deutschland 95 Prozent des Bedarfs an Fleisch, Eiern und Milch von Nutztieren aus Mastanlagen kommen und dass es den Tieren auch bei den sogenannten Bio-Produkten nicht besser gehe.
Vegan statt Vegetarisch
Melanie Joy antwortet "BILD" darauf, warum es nicht reicht, vegetarisch zu leben: „Weil die Produktion von Eiern und Milch für die Tiere ebenso tödlich ist wie die Fleischverarbeitung. Die Zahl der Tiere, die für diese Industrie getötet werden, ist noch viel höher. Da sind zum Beispiel unzählige männliche Küken, die als unerwünschte Nebenprodukte in den Legebatterien getötet werden. Oder die Kühe, die jedes Jahr geschwängert werden, um so viele Kälber wie möglich zu gebären, und die dann von ihren Jungen getrennt werden. Das sind schwere Traumata für die Tiere. Vegetarismus ist deswegen ein brauchbarer Übergang zum Veganismus, aber er ist immer noch eine Form von Karnismus.“
Vegetarier leben länger
Aber nicht nur ethische Gründe, wie von Melanie Joy aufgezeigt, sprechen für einen Fleischverzicht. Ernährungsexperte Dr. Christian Keßler von der Charité Hochschulambulanz für Naturheilkunde am Immanuel-Krankenhaus Berlin betrachtet aus medizinischer Sicht: „Ausgewogene vegetarische Ernährungsweisen haben zahlreiche gesundheitliche Vorteile, die mittlerweile auch ziemlich klar wissenschaftlich nachgewiesen sind.“ Neueste wissenschaftliche Studien würden zeigen, dass Vegetarier nicht nur weniger schwerwiegende gesundheitliche Probleme, wie vor allem Herzkreislauf-Erkrankungen haben, sondern auch dass sie länger leben. Erst kürzlich wurde eine Studie der Loma Linda University in Kalifornien unter rund 70.000 Teilnehmern im Medizin-Journal JAMA publiziert, in der es hieß: „Vegetarische Diäten stehen mit einer geringeren Todesrate […] in Verbindung.“
Keine Mangelerscheinungen
Der Ernährungsexperte gab auch Entwarnung bei dem Vorurteil von Mangelerscheinungen bei Vegetariern: „Interessanterweise haben Vegetarier im Vergleich zu Fleischessern häufig sogar eine erhebliche bessere Versorgungssituation mit Vitaminen, Mineralstoffen und sekundären Pflanzenstoffen.“ Lediglich bei der Versorgung mit Vitamin B12 und Eisen sei Vegetariern und Veganern angeraten, aufzupassen. Vegetarische Ernährung bei Kindern könne mit einem Arzt abgesprochen und gegebenenfalls überwacht werden.
Abwechslungsreiche vegetarische Ernährung
Keßler rät zu Saisonalem und Regionalem auf dem Essenstisch: „Futtern Sie sich durch den Garten, probieren Sie neue Gemüse- und Obstsorten, Gewürze und Kräuter aus.“ Und weiter: „Die Vielfalt ist wichtig, um das „Pudding-Vegetarier-Syndrom“ zu vermeiden.“ Damit sei gemeint, nicht einfach nur Fleisch wegzulassen und sich von Fertigprodukten und anderen ungesunden Lebensmitteln zu ernähren. „Das wäre nicht ausgewogen und auch keine gesunde vegetarische Ernährungsweise.“ Auch der Vegetarierbund Deutschland (VEBU) verweist auf die Abwechslung: „Neben der Fülle an verschiedenen Gemüse-, Obst- und Getreidesorten wächst das vegan-vegetarische Angebot in Supermärkten, Mensen und Kantinen, Restaurants und Hotels. Wer ab und an etwas Deftiges braucht, kann guten Gewissens auf die wachsende Auswahl an Fleisch-, Wurst- und sogar Fischalternativen (aus Seitan, Tofu, Lupine oder Tempeh) ausweichen. Mittlerweile gibt es beinahe kein Gericht, das man nicht auch auf pflanzlicher Basis nachzaubern könnte.“ Welche Rezepte sich auch ohne Fleisch zubereiten lassen, verraten Seiten wie "vegetarische-rezepte.com". Ernährungsexperte Keßler zieht ein Fazit, indem er meint, dass es prinzipiell so scheint, „dass der komplette Verzicht auf Fleisch insgesamt lebensverlängernde und lebensqualitätsverbessernde Effekte hat.“ (ad)
Bild: Rolf Handke / pixelio.de
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