Internetnutzung bei Jugendlichen: Viel online und allein
21.03.2015
Verbringen Jugendliche viel Zeit mit der Internetnutzung, droht eine soziale Vereinsamung, so das zentrale Ergebnis einer aktuellen Studie der Klinik für Psychosomatische Medizin an der Universitätsmedizin Mainz. Vorgestellt wird die Studie des Forscherteams um Professor Dr. med. Manfred Beutel, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin, auf der Pressekonferenz zum Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am 26. März 2015 in Berlin.
In ihrer aktuellen Studie gingen die Mainzer Forscher der Frage nach, inwiefern echte Beziehungen unter der Nutzung von sozialen Netzwerken wie Facebook und Onlinespielen wie World of Warcraft leiden. Denn der Computer und das Handy scheinen für viele Kinder ein Ersatz realer Freundschaft und nicht ohne Grund befürchten Eltern, dass ihr Kind in einem Teufelskreis aus Internetsucht und Einsamkeit landet. Das Forscherteam um Professor Beutel hat das Ausmaß und die Folgen der Internetnutzung bei Jugendlichen nun anhand der Befragung von rund 2.400 Heranwachsenden im Alter zwischen 12 und 18 Jahren genauer untersucht.
Soziale Bindungen leiden unter der Internetnutzung
Die Ergebnisse der aktuellen Studie sind laut Aussage der Forscher durchaus bedenklich. So mache exzessive Internetnutzung die Jugendlichen unkommunikativ, gereizt und führe zur sozialen Isolation. Sind die Heranwachsenden über sechs Stunden täglich online, egal ob am Handy oder Computer, fällt es ihnen schwerer, Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen, so die Pressemitteilung im Vorfeld des Deutschen Kongresses für Psychosomatische Medizin. „Jugendliche, die häufig Angebote von Onlinespielen und Online-Sexportalen nutzen, haben eine schlechtere Bindung zu ihren Freunden“, berichtet Professor Beutel. Die Betroffenen würden weniger kommunizieren, ihren Freunden nicht so sehr vertrauen und sich von anderen stärker entfremdet fühlen. „All diese Faktoren begünstigen letztlich die soziale Ausgrenzung“, so der Studienleiter weiter.
Gefahr der Internetsucht
Bei den sozialen Netzwerken wie Facebook und Co ist laut Aussage der Wissenschaftler zunächst keine vergleichbar negative Wirkung auf die realen Freundschaften und Beziehungen festzustellen. Sie können sogar förderlich für den Aufbau von Bindungen zu Gleichaltrigen sein. Allerdings bestehe hier ebenfalls das Risiko eines suchtartigen Gebrauchs, der wiederum die Bindung zu Gleichaltrigen negativ beeinflusst kann. Den Angaben der Forscher zufolge zeigten 3,4 Prozent der befragten Jugendlichen eine suchtartige Internetnutzung. Dies bedeute, dass sie mehr als sechs Stunden täglich online sind, keine Kontrolle mehr über ihre Onlinezeiten haben, andere Interessen aufgeben und schädliche persönliche, familiäre oder schulische Konsequenzen aufgrund der vielen Zeit vor dem Computer oder am Handy erleiden.
Mädchen chatten und shoppen, Jungen spielen
Bei 13,8 Prozent der befragten Jugendlichen erkannten die Forscher zwar keinen suchtartigen, aber dennoch einen exzessiven und „ausufernden“ Gebrauch des Internets. Hierbei seien Mädchen und Jungen gleichermaßen betroffen. Allerdings würden sich Mädchen online eher mit dem sozialen Austausch, Recherche und Online-Shopping befassen, während Jungen mehr Zeit mit Onlinespielen verbringen. Des Weiteren sei festzustellen, dass sich „sozial unsichere oder gehemmte Jugendliche eher Online-Aktivitäten zuwenden, die weniger Kontakt und Austausch erfordern“, berichtet Professor Beutel, der in seiner Klinik in der Ambulanz für Spielsucht auch betroffene Jugendliche und Eltern behandelt. Der Fachmann rät „Eltern und Lehrern, Jugendliche sowohl in der Entwicklung ihrer Mediennutzung zu begleiten als auch ihren sozialen Umgang zu beachten.“ Weitere Ergebnisse der Studie und Konsequenzen für die Praxis werden auf der Pressekonferenz anlässlich des Deutschen Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie vorgestellt.
Anonymität macht das Internet attraktiv
Auf die Frage, ob die Internetnutzung Jugendliche einsam mache oder ob vor allem Einsame verstärkt das Internet nutzen, antwortete Veit Rößner, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie in Dresden gegenüber der „dpa“, dass beides zu sehen sei. Die Gründe für die hohe Attraktivität des Internets für Jugendliche seien zudem durchaus unterschiedlich. Nicht zuletzt spiele hier die Anonymität eine wesentliche Rolle. „Man muss nicht die Angst haben, als Person verletzt zu werden. Eine Online-Abfuhr ist etwas anderes als wenn man wirklich zu einem Mädchen hingeht und einen Korb kriegt“, zitiert die „dpa“ den Experten
Computerspiele können auch Vorteile mit sich bringen
Der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) hebt indes das Gemeinschaftserlebnis hervor. „Das gemeinsame Spielen ist seit jeher eine zentrale Komponente vieler Spiele und ist in den vergangenen Jahren durch die zunehmende Internet-Nutzung noch deutlich wichtiger geworden“, wird der BIU-Geschäftsführer Maximilian Schenk von der „dpa“ zitiert. Bei Computer- und Videospielen würden die Beziehungen und Freundschaften – im Gegensatz zu anderen Medien wie dem Fernsehen – sogar gestärkt. Der Dresdener Mediziner Rößner sieht die Vorteile der Computerspiele jedoch eher auf anderer Ebene. So seien Computerspieler oftmals in der Feinmotorik der Hand, Aufmerksamkeitsleistung oder räumliche Wahrnehmung besonders gut trainiert, was sich in der modernen Arbeitswelt mit dem schnellem Multitasking und verstärkter Computernutzung auszahle. „Auf der anderen Seite kann man das Soziale nur näherungsweise erlernen“, so Rößner weiter. Beispielsweise könnten die Jugendlichen „nicht online küssen.“
Kritische Einstellung der Deutschen gegenüber neuen Medien
Die kritische Einstellung gegenüber neuen Medien wird in der Diskussion mitunter auch mit früheren Entwicklungen wie beispielsweise dem Buchdruck verglichen, als Kritiker vor einer zunehmenden Lesesucht gewarnt haben. Dieser Vergleich ist nach Ansicht von Rößner jedoch fehl am Platz, da bei dem Buchdruck Jahrzehnte beziehungsweise Jahrhunderte vergingen, bis sich Bücher gesamtgesellschaftlich etabliert hatten. Bei der aktuellen „wahnsinnig schnellen Entwicklung“ habe die Gesellschaft indes kaum Werkzeuge, um den Kindern einen guten Umgang mit der Internetnutzung zu vermitteln. „Das war bei der Erfindung des Buchdrucks anders“, zitiert die „dpa“ den Dresdener Mediziner. (fp)
>Bild: Alexandra H. / pixelio.de
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