COVID-19: Kognitiver Abbau nach schwerem Verlauf entspricht 20 Jahren Alterung
Eine schwere Erkrankung an COVID-19 kann die Kognition so stark beeinträchtigen wie die Alterung von 50 auf 70 Jahre. Dies entspricht einem Verlust von durchschnittlich zehn Punkten des Intelligenzquotienten (IQ).
In einer Studie unter Beteiligung von Fachleuten der University of Cambridge wurde festgestellt, dass auftretende kognitive Defizite nach Erkrankungen an COVID-19 am stärksten vom Schweregrad der Erkrankung abhängen und lange nach der aktuen Phase bestehen bleiben. Falls sich diese Defizite überhaupt wieder verbessern, geschieht dies nur langsam.
Die Studienergebnisse wurden in der englischsprachigen Fachzeitschrift „eClinicalMedicine“ veröffentlicht.
46 schwer an COVID-19 erkrankte Menschen untersucht
In der Studie wurden die Daten von 46 Personen ausgewertet, welche stationär oder gar auf einer Intensivstation wegen COVID-19 behandelt wurden. 16 der Teilnehmenden mussten während ihres Krankenhausaufenthalts mechanisch beatmet werden.
Durchschnittlich sechs Monate nach ihrer Erkrankung wurden an den Teilnehmenden ausführliche computergestützte kognitive Tests durchgeführt. Diese betrafen verschiedene Aspekte der geistigen Fähigkeiten wie beispielsweise das Gedächtnis, die Aufmerksamkeit und das logische Denken.
Zusätzlich wurden auch noch Skalen zur Messung von Angst, Depression und posttraumatischer Belastungsstörung von den Fachleuten ausgewertet. Danach wurden alle Daten mit denen einer Kontrollgruppe verglichen.
Anhaltende kognitive und psychische Probleme
Es gibt immer mehr Hinweise dafür, dass COVID-19 anhaltende kognitive und psychische Probleme verursachen kann. Personen, welche die Erkrankung überstanden haben, berichten teilweise noch Monate nach der Infektion über Symptome wie Müdigkeit, Probleme, sich an Wörter zu erinnern, Schlafstörungen, Angstzustände und sogar posttraumatische Belastungsstörungen.
Kognitive Problemen selbst bei leichter Erkrankung
Laut den Forschenden ergab eine andere Studie im Vereinigten Königreich, dass etwa eine von sieben befragten Personen auch noch zwölf Wochen nach einem positiven COVID-19-Test über Symptome wie kognitive Schwierigkeiten berichtete. Anhaltende kognitive Symptomen seien selbst nach leichten COVID-19-Verläufen aufgetreten.
Besonders häufig betroffen sind aber Menschen, welche aufgrund von COVID-19 in ein Krankenhaus eingeliefert wurden. Zwischen einem Drittel und drei Viertel dieser Menschen geben an, dass sie drei bis sechs Monate später immer noch unter kognitiven Symptomen leiden, berichtet das Team.
Kognitive Defizite sechs Monate später
Menschen, welche unter COVID-19 litten, waren bei den Tests in der aktuellen Studie weniger präzise und reagierten langsamer als Personen aus der Kontrollgruppe, so die Forschenden
Diese Defizite seien auch noch bei der Nachuntersuchung sechs Monate später nachweisbar gewesen und Erkrankte, die mechanisch beatmet werden mussten, waren laut den Fachleuten besonders stark betroffen.
Die Forschungsgruppe verglich die Teilnehmenden mit 66.008 Personen der Allgemeinbevölkerung, um einzuschätzen, welcher kognitive Verlauf durchschnittlich auftrat. Dabei zeitge sich, dass das Ausmaß der kognitiven Einbußen im Durchschnitt dem entsprach, das bei einer 20-jährigen Alterung zwischen 50 und 70 Jahren auftritt.
Die sei gleichzusetzen mit einem Verlust von zehn IQ-Punkten, berichtet das Forschungsteam.
Wortfindungsschwierigkeiten besonders häufig
Besonders schlechte Ergebnisse erzielten die an COVID-19 erkrankten Teilnehmenden bei Aufgaben wie dem sogenannten verbalen Analogieschluss. Dieses Ergebnis bestätigt das häufig beschriebene Problem der Wortfindungsschwierigkeiten, so die Forschenden.
Langsamere Verarbeitungsgeschwindigkeit dank COVID-19
Zudem zeigten diese Menschen auch eine langsamere Verarbeitungsgeschwindigkeit. Dies scheint daran zu liegen, dass bei COVID-19 der Glukoseverbrauch im frontoparietalen Netzwerk des Gehirns abnimmt, das unter anderem für Aufmerksamkeit, komplexes Problemlösen und das Arbeitsgedächtnis zuständig ist.
„Kognitive Beeinträchtigungen sind bei einer Vielzahl von neurologischen Erkrankungen, einschließlich Demenz, und sogar bei der normalen Alterung zu beobachten, aber die Muster, die wir gesehen haben – der kognitive ‘Fingerabdruck’ von COVID-19 – unterscheiden sich von all diesen“, so Studienautor Professor David Menon in einer Pressemitteilung.
Wie lange dauert die Erholung der kognitiven Fähigkeiten?
In der aktuellen Studie begannen die Ergebnisse und Reaktionszeiten der Teilnehmenden sich zwar im Laufe der Zeit zu verbessern, die Fachleute betonen jedoch, dass die Erholung der kognitiven Fähigkeiten bestenfalls allmählich eintrat.
Laut dem Team wird diese Erholung wahrscheinlich durch eine ganze Reihe von Faktoren beeinflusst, wie beispielsweise den Schweregrad der Erkrankung und ihre neurologischen oder psychologischen Auswirkungen.
Möglicherweise bleiben kognitive Defizite bestehen
„Wir verfolgten einige Patienten bis zu zehn Monate nach ihrer akuten Infektion, so dass wir eine sehr langsame Verbesserung feststellen konnten. Diese war zwar statistisch nicht signifikant, aber es geht zumindest in die richtige Richtung. Jedoch ist es sehr gut möglich, dass sich einige der Patienten nie wieder vollständig erholen werden“, so Professor Menon.
Wodurch entstehen die kognitiven Defizite?
Verschiedene Faktoren könnten laut den Forschenden die kognitiven Defizite verursachen, wobei eine direkte Virusinfektion im Gehirn zwar durchaus möglich, aber wahrscheinlich nicht die Hauptursache sei.
Es sei wesentlich wahrscheinlicher, dass eine Kombination von Faktoren zu den kognitiven Defiziten beiträgt. Als Beispiele nennen die Fachleute eine unzureichende Sauerstoff- oder Blutversorgung des Gehirns oder die Verstopfung großer oder kleiner Blutgefäße durch Gerinnung und mikroskopische Blutungen.
Neue Erkenntnisse deuten zudem darauf hin, dass der wichtigste Mechanismus, die durch die körpereigene Entzündungsreaktion und das Immunsystem verursachte Schädigung sein könnte, fügt das Team hinzu.
Leichte kognitive Beeinträchtigung durch leichte Erkrankung
Auch wenn in der aktuellen Studie nur Menschen untersucht wurden, welche aufgrund von COVID-19 in ein Krankenhaus eingeliefert werden mussten, sind die Fachleute überzeugt, dass auch nicht so schwer erkrankte Menschen, welche keinen Krankenhausaufenthalt benötigen, Anzeichen für eine leichte Beeinträchtigung aufweisen können. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Adam Hampshire, Doris A. Chatfield, Anne Manktelow MPhil, Amy Jolly, William Trender, et al.: Multivariate profile and acute-phase correlates of cognitive deficits in a COVID-19 hospitalised cohort; in: eClinicalMedicine (veröffentlicht Volume 47, May 2022, 101417), eClinicalMedicine
- University of Cambridge: Cognitive impairment from severe COVID-19 equivalent to 20 years of ageing, study finds (veröffentlicht 03.05.2022), University of Cambridge
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.