Verschwörungstheorien zu Krankheiten in der Vergangenheit?
In Zeiten von COVID-19 gibt es viele Verschwörungstheorien im Bezug auf die Krankheit. Hier zeigen sich verblüffende Parallelen zu früheren Epidemien wie beispielsweise dem Pestausbruch im Jahr 1720 in Marseille.
In Forschungsarbeiten des Teams um Dr. André Krischer vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster wurde deutlich, dass Verschwörungstheorien im Bezug auf Seuchen und Krankheiten bereits in der Vergangenheit weit verbreitet waren.
Führen Maßnahmen der Quarantäne zu Verschwörungstheorien
Bereits vor 300 Jahren gab es Menschen, welche an Verschwörungstheorien glaubten. Als im Jahr 1720 in Marseille die Pest ausbrach, führte England verschiedene Maßnahmen der Quarantäne ein, was zu heftigen Debatten führte, welche durchaus verschwörungstheoretische Ansätze hatten, berichtet Dr. André Krischer. Dieser bisher noch wenig bekannte Fall aus der Geschichte habe durchaus einige Parallelen zur Lage im heutigen Deutschland.
Gerüchte über dunkle Machenschaften von Regierungen
Auch heute gibt es Menschen, die COVID-19 beispielsweise als ein Mittel ansehen, um uns allen unsere Rechte zu nehmen und eine neue neue Weltordnung einzuleiten. In der damaligen Zeit kursierten ebenfalls Gerüchte über dunkle Machenschaften der Regierung. So befürchteten Menschen schon damals, dass beispielsweise ihre Freiheiten beschnitten und Militär im Land eingesetzt werden könnte.
Seuchenprävention ruft Verschwörungstheorien hervor
Kritiker hielten bei dem Pestausbruch jede Prävention in England für unnötig. Manche Menschen waren sogar der Meinung, die Seuche könne den Briten überhaupt nichts anhaben. Hier wird deutlich, dass Seuchenprävention schon immer Verschwörungstheorien förderte, was in der Corona-Pandemie erneut bestätigt wird.
„Paranoide Angst vor dem Errichten einer Diktatur, Sorge vor wirtschaftlichem Einbruch und ein Naturwissenschaftler im Zentrum der Kritik – die englische Debatte aus dem 18. Jahrhundert ähnelt auch in dieser Hinsicht unserer Gegenwart“, berichtet der Historiker Dr. André Krischer in einer Pressemitteilung der Westfälische Wilhelms-Universität Münster.
Bereits in der Vergangenheit gab es Verschwörungstheorien
Dr. Krischer arbeitete den historischen Fall und strukturelle Ähnlichkeiten zur Gegenwart auf. Anhand von vielfältigen Quellen und Begebenheiten, wie beispielsweise eines Flugblatts des Bischofs von London, wird deutlich, dass bereits in der Vergangenheit verschiedene Verschwörungstheorien durchaus verbreitet waren.
Verschwörungstheorien als Kritik der Eliten
Es gibt eine lange Tradition von Verschwörungstheorien als Kritik der Eliten. Es ist keineswegs ein Zufall, dass sich gerade in England im 18. Jahrhundert die Gemüter der dort lebenden Menschen so erhitzten. „London hatte schon 1720 eine sehr selbstbewusste Öffentlichkeit mit Kaffeehäusern und einer einzigartig vielfältigen Presse- und Medienlandschaft, die von keiner Zensur mehr reglementiert wurde“, berichtet Dr. Krischer.
Mögliche Ursprünge für Verschwörungstheorien
Zudem hatten Verschwörungstheorien in England eine lange Tradition. Menschen dachten damals ständig in verschwörungstheoretischen Kategorien. Es gab beispielsweise Angst vor der Unterwanderung durch die katholische Kirche, oder den herrschenden Menschen wurde unterstellt, dass sie eine Willkürherrschaft errichten wollen. Auch aus religiöser Sicht wurden Maßnahmen der Regierung angezweifelt. So wurde beispielsweise behauptet, dass die Pest eine Strafe Gottes sei. Gegen die Pest helfe nur Fasten, Beten, Buße und die gefasste Vorbereitung auf den Tod, hieß es damals.
Warum einzelne Personen häufig eine wichtige Rolle spielen
Zu der damaligen Zeit wurde besonders der Arzt Richard Mead zu einem Ziel für Verschwörungstheorien, ähnlich wie der Virologe Christian Drosten heute. Viele Menschen misstrauten Richard Mead aufgrund seiner strikten Empfehlungen zur Eindämmung der Pest, aber auch wegen dessen Nähe zur Politik. Zusätzlich spielte noch seine Religion eine wichtige Rolle, der Arzt war Quäker.
1720 hielten viele Mediziner die Pest für nicht ansteckend
„1720 wurde über den Sinn von Quarantäne gestritten, weil es noch viele Mediziner gab, die die Pest nicht für ansteckend hielten. 2020 schloss man Schulen und Kitas, während noch darüber gestritten wurde, ob Kinder überhaupt relevante Überträger des Corona-Virus seien“, erläutert Dr. Krischer.
Epidemien als Stresstest für die Gesellschaft
Es scheint sich leichter ein Skandal aus etwas machen zu lassen, wenn wissenschaftlich unsichere Aussagen plötzlich politische Relevanz erlangen und zugleich noch Personen mit ihnen identifiziert werden können, fügt Dr. Krischer hinzu. Die Resonanz für Lügen, Falschnachrichten und Verschwörungstheorien in der Bevölkerung habe in den beschriebenen Fällen aber schnell wieder abgenommen. „Epidemien sind Stresstests für Gesellschaften und können bestimmte diskursive Muster verstärken“, resümiert Dr. Krischer. (as)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Vor 300 Jahren schon einmal: Seuchen und Verschwörungstheorien, in Westfälische Wilhelms-Universität Münster (veröffentlicht 17.07.2020), WWU Münster
Wichtiger Hinweis:
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