Kampf gegen Infektionskrankheiten: Impfstoffe ohne Ei
Impfungen sind ein äußerst effektives Mittel gegen verschiedene Infektionskrankheiten. Für die Produktion von Impfstoffen werden derzeit jährlich etwa eine halbe Milliarde an Hühnereiern benötigt. Doch dies könnte sich in Zukunft ändern. Forscher haben nun eine neue Methode entwickelt, mit der sich einige Flaviviren künftig hoch konzentriert in Bioreaktoren vermehren lassen.
Forscher produzieren Krankheitserreger in Bioreaktoren
Für die Herstellung von Impfstoffen werden derzeit pro Jahr noch etwa eine halbe Milliarde Hühnereier benötigt. Allein für die Produktion von Grippe-Impfstoffen werden jährlich bis zu 500 Millionen Eier gebraucht. Bestimmte Impfstoffe könnten in Zukunft jedoch ohne Eier produziert werden. Denn Forscher des Max-Planck-Instituts (MPI) für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg entwickeln Methoden, mit denen sich Viren für Impfstoffe in deutlich höherer Konzentration vermehren lassen als bislang. Die Wissenschaftler produzieren die Krankheitserreger dabei in Zellkulturen in kleinen Bioreaktoren.
Komplikationen und Engpässe bei der Produktion von Impfstoffen
Wie es in einer Mitteilung des Instituts heißt, kommt es bei der Produktion von Impfstoffen häufig zu Komplikationen und Engpässen.
Weil die Herstellung Jahre im Voraus geplant werden muss, haben geänderte Impfempfehlungen, Qualitätsmängel oder auch ökonomisches Kalkül der wenigen Unternehmen im Impfstoffmarkt weitreichende Folgen für die Versorgung mit den schützenden Substanzen.
So verkündete beispielsweise das US-amerikanische Center for Disease Control im April 2017, dass der einzige lizenzierte Impfstoff gegen Gelbfieber in den Vereinigten Staaten bis Ende 2018 nicht mehr verfügbar sein würde.
Als Alternative wurde zwar ein Mittel angeboten, das in den USA nicht lizenziert ist, bei einer Epidemie kann die eingeschränkte Verfügbarkeit eines wirkungsvollen Impfstoffes allerdings gefährlich werden.
Während einer Gelbfieber-Epidemie in Angola und im Kongo etwa infizierten sich im Jahr 2016 tausende Menschen mit der Krankheit.
Der Impfstoff-Vorrat der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurde damals so knapp, dass die Helfer Gefährdete mit nur einem Fünftel der üblichen Dosis impfen mussten.
Deutlich höhere Zellkonzentrationen
Doch die Versorgung mit einigen lebenswichtigen Impfstoffen könnte in Zukunft sicherer werden.
Denn ein Team um Yvonne Genzel und Alexander Nikolay vom Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme arbeitet daran, dass oben genannte Probleme künftig nicht mehr auftreten.
Die Forscher kombinieren gleich mehrere Ansätze, um Flaviviren, zu denen unter anderem auch der Erreger von Gelbfieber und das Zika-Virus zählen, unter optimalen Bedingungen zu produzieren.
Zunächst vermehren die Wissenschaftler in einem mit Nährlösung gefüllten Bioreaktor tierische Zellen, die den Viren als Wirte dienen.
Die Zellen vermehren sich dabei in Suspension, also in der Nährlösung schwimmend. An den Bioreaktor angeschlossen ist ein Gerät, das einen Teil der Lösung regelmäßig ansaugt und zurückpumpt.
Ein Modul, in dem sich Dutzende für das Nährmedium durchlässige Membranschläuche befinden, hält die Zellen zurück, filtert jedoch verbrauchte Nährlösung und Abfallstoffe aus dem Reaktor heraus.
Während dieses Perfusionsprozesses ermittelt eine Sonde ständig die Konzentration der Zellen, woran die Versorgung mit frischem Nährmedium angepasst wird.
So erreichen die Experten im Bioreaktor Zellkonzentrationen, die bis zu 75 Mal höher sind als der sonst übliche Standard.
Anschließend infizieren die Wissenschaftler die Zellen mit Gelbfieber-Viren. Dabei nutzen sie einen weiteren Kunstgriff, um eine möglichst hohe Viruskonzentration zu erreichen.
Die Forscher verwenden nämlich einen Erreger, den sie vorher daran angepasst haben, sich besonders gut in den tierischen Zellen zu vermehren.
Die Ergebnisse der Wissenschaftler wurden im Fachmagazin „Applied Microbiology and Biotechnology“ veröffentlicht.
Produktion flexibler an den Bedarf anpassen
„Unsere Fortschritte sind sehr vielversprechend“, sagt Yvonne Genzel, die am Magdeburger Max-Planck-Institut ein Team in der Arbeitsgruppe Bioprozesstechnik leitet.
„Die neue Perfusionsmethode ermöglicht es, Viren auf kleinem Raum in extrem großer Menge zu erzeugen. Wir haben damit für Zika und Gelbfieber höhere Viruskonzentrationen erreicht, als sie jedes bisherige Verfahren liefern konnte.“
Perfusionsmethoden könnten vor allem dann gut geeignet sein, große Mengen von Viren zu produzieren, wenn die Virenausbeute pro Zelle sehr gering ist.
„Es wäre gut, wenn diese Technik bald auch von Impfstoffherstellern in großem Maßstab eingesetzt würde“, erklärt Udo Reichl, der Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme ist und die Arbeitsgruppe Bioprozesstechnik leitet.
„Die Methode sollte es ermöglichen, die Produktion flexibler an den Bedarf anzupassen und für schwierig zu vermehrende Viren endlich einen effizienten und ökonomischen Herstellungsprozess zu finden.“
Schutz vor tödlich verlaufenden Infektionskrankheiten
Flaviviren werden meist über Stechmücken auf den Menschen übertragen und lösen Infektionskrankheiten aus, die, wie das Gelbfieber, tödlich verlaufen können.
Eine Infektion mit Flaviviren lässt sich derzeit nicht heilen, Medikamente lindern nur die Symptome. Impfungen können jedoch vor einigen der Erreger schützen.
Bereits seit 1937 gibt es einen Lebendimpfstoff gegen Gelbfieber, doch seit die ersten Produktionsprozesse etabliert wurden, hat sich die Herstellungsmethode nicht grundlegend verändert.
Noch immer vermehren Pharmaunternehmen die Viren in Hühnerembryos. Aus Viren ohne krankmachende Eigenschaften stellen sie dann Lebendimpfstoffe her.
Zum einen benötigen sie dafür von Fremdstoffen und anderen Erregern unbelastete Eier, zum anderen dauert die Produktion eines Impfstoffs auf diesem Weg etwa zwölf Monate.
Viren für zehn Millionen Impfdosen innerhalb von zwei Wochen
Mit der neuen Herstellungsmethode vermehren sich in einem Bioreaktor mit einem Liter Fassungsvermögen dagegen schon in zwei Wochen so viele Gelbfieber-Viren wie für zehn Millionen Impfdosen benötigt werden.
„Leider können die Viren nicht direkt durch die Hohlfasermembran geerntet werden, da die Membran mit der Zeit verstopft“, so Yvonne Genzel. „Deshalb sind wir dabei, auch andere Perfusionssysteme ohne Membran zu testen.“
Ihr Team untersucht zudem, wie die Perfusionsmethoden mit anderen Erregern wie etwa dem Grippevirus, dem japanischen Enzephalitis-Virus und dem Modified-Vaccinia-Ankara-Virus funktionieren.
Letzteres ist ein vielversprechender Kandidat, um in der Gentherapie genetisches Material in die Zellen von Lebewesen einzuschleusen.
In der Krebsbehandlung werden extrem hohe Viruskonzentrationen benötigt, damit Ärzte mithilfe dieser Methode bisher unheilbare Tumore therapieren können.
Wenn sich die Perfusionsmethode in den geplanten Untersuchungen bewähren sollte, könnten Viren also für viele Anwendungen leichter verfügbar werden. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.