Wie hoch sollte der systolische Blutdruck maximal sein?
Die Fachwelt streitet sich: Wo ist die absolute Grenze beim Blutdruck? Und wann sollten Medikamente zum Senken von Bluthochdruck eingesetzt werden? Neue Studie weisen daraufhin, dass eine sehr frühzeitige Senkung von Hypertonie das Leben der Patienten verlängern kann.
Während bis vor kurzem noch weitgehende Einigkeit unter Medizinern bestand, dass erst bei einem systolischen Blutdruck von mehr als 140 mmHg eine Blutdrucksenkung erforderlich ist, kommen zwei aktuelle Studien zu dem Schluss, dass eine Blutdrucksenkung auf maximal 130 mmHg oder gar 120 mmHg gesundheitliche Vorteile hat. Dies gelte allerdings nicht für alle Patienten, berichtet die Deutsche Hochdruckliga e. V. (DHL).
Die neuen Erkenntnisse aus den beiden großen Studien zu Bluthochdruck führen laut Mitteilung der DHL bei Patienten und auch bei Ärzten zu Verunsicherung. So lege beispielsweise die SPRINT-Studie den Schluss nahe, dass eine Absenkung auf einen oberen Zielwert von 120 mmHg sinnvoll ist. Dies gelte allerdings nur für bestimmte Patienten und die Studienergebnissen dürfen nicht einfach verallgemeinert werden, warnt die DHL. Die Fachgesellschaft rät Bluthochdruck-Patienten, auf die neuen Erkenntnisse besonnen zu reagieren, anstatt die Behandlung kurzfristig zu ändern. „Ärzte sollten ihre Patienten individuell betrachten, um sich gemeinsam mit jedem einzelnen für die geeignete Therapie zu entscheiden“, so die Mitteilung der DHL.
Stärkere Blutdrucksenkung empfohlen
Zu den aktuellen Studien berichtet die Hochdruckliga, dass die Metaanalyse des George Insitute for Global Health und der University of Oxford die Daten von mehr als 600.000 Patienten aus über 120 Studien zu Bluthochdruck einbezogen habe. Veröffentlicht wurde diese in dem Fachmagazin „The Lancet“. Die Wissenschaftler wollten herausfinden, inwieweit ein niedrigerer Blutdruck Herz-Kreislauf-Krankheiten vorbeugen kann. Ihren Ergebnissen zufolge könnte eine Senkung des oberen, des systolischen Wertes auf unter 130 mmHg ratsam sein, so die Mitteilung der DHL. Unabhängig vom Ausgangswert habe es 27 Prozent weniger Schlaganfälle und 13 Prozent weniger Sterbefälle gegeben, wenn Patienten ihren Blutdruck dauerhaft um 10 mmHg senkten. Die Autoren sprachen sich daher für eine blutdrucksenkende Therapie bei allen Patienten mit kardiovaskulärem Risiko (erhöhtem Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall), Diabetes und chronischen Nierenerkrankungen aus, auch weit unter die bislang gültige Grenze von 140 mmHg.
120 mmHg als Zielwert für den oberen Blutdruck?
Die Ergebnisse der SPRINT-Studie (Systolic Blood Pressure Intervention Trial) zeigen, dass bei dem systolischen Blutdruck sogar ein Wert von maximal 120 mmHg erstrebenswert sein könnte. Die Forscher suchten nach dem geeigneten Zielblutdruck für Bluthochdruckpatienten mit einem hohen kardiovaskulären Gesamtrisiko, erklärt die DHL. Diabetiker seien von der Studie ausgeschlossen gewesen. Bei dem Vergleich zweier Patientengruppen – mit Blutdrucksenkung auf unter 120 mmHg beziehungsweise 134,6 mmHg – habe sich gezeigt, dass in der Gruppe mit dem medikamentös intensiv abgesenkten Blutdruck 25 Prozent weniger Patienten an Schlaganfall oder Herzinfarkt starben.
Nur bestimmte Patienten betroffen
Die neue Erkenntnisse haben unter den Experten eine intensive Diskussion darüber ausgelöst, ob andere Zielwerte für Bluthochdruckpatienten gelten müssen. Doch Professor Dr. med. Martin Hausberg, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Hochdruckliga, weist dies in der aktuellen Pressemitteilung zurück. „Die Studienergebnisse dürfen nicht einfach auf alle Hochdruckpatienten übertragen werden“, mahnt der Experte. Die Blutdrucksenkung unter 120 mmHg gelte nur für bestimmte Patienten, nämlich Menschen mit hohem kardiovaskulären Risiko, aber ohne Diabetes mellitus. Auch seien Patienten nach einem Schlaganfall oder bei orthostatischer Hypotonie (plötzliches Absacken des Blutdrucks im Stehen) explizit ausgenommen.
Risiko von Nebenwirkungen beachten
Des Weiteren ist laut Professor Hausberg zu beachten, dass in der SPRINT-Studie stärkere Nebenwirkungen bei der Gruppe mit abgesenktem Blutdruck auf 120 mmHg auftraten. Zu diesen zählen beispielsweise akutes Nierenversagen und Herzinsuffizienz, so die Mitteilung der DHL. „Senkt man den Bluthochdruck intensiv, müssen die Patienten hinsichtlich der Nebenwirkungen engmaschig kontrolliert werden“; warnt Prof. Hausberg. Die bislang geltenden Behandlungsleitlinien der European Society of Hypertension (ESH) sehen einen Zielwert für den oberen Blutdruckwert von maximal 140 mmHg vor. Bei dem unteren, diastolischen Wert sollten 90 mmHg nicht überschritten werden. „Eine weitere Senkung galt bislang nicht als ratsam, da bei einer zu starken Senkung das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen wieder leicht ansteigt“, berichtet die DHL. Die neuen Studienergebnisse sprechen hingegen für eine deutlicher Absenkung des Blutdrucks. „Wir müssen abwarten, ob sich die Ergebnisse beider Studien weiter bestätigen“, erläutert Professor Hausberg. Auch sei die Rolle, die die eingesetzten Medikamente für den Behandlungserfolg spielen, noch unklar. Wahrscheinlich werde es jedoch nötig, die Behandlungsleitlinien anzupassen.
Trotz der neuen Erkenntnisse rät die DHL vorerst weiter dazu, wie bisher alle Patienten „individuell und mit dem Blick auf den ganzen Menschen zu behandeln und den Blutdruck nicht vorschnell stärker zu senken.“ Eine stärkere Blutdrucksenkung durch Intensivierung der medikamentösen Behandlung erfordere zudem „neben der engmaschigen ärztlichen Kontrolle ein verbessertes sektorenübergreifendes Zusammenwirken“, so das Fazit der Hochdruckliga. (fp)
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