Bundeslandwirtschaftsministerium vermutet höheren Antibiotika-Einsatz in Tiermastanlagen als bislang angenommen
16.07.2012
In der Massentierhaltung wird mehr Antibiotika eingesetzt, als bislang vermutet. Davon geht nunmehr auch das Bundeslandwirtschaftsministerium aus. Genaue Studien sollen nächste Woche seitens des Ministeriums veröffentlicht werden. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass Antibiotika in der Tiermast inflationär verwendet wird.
„Ohne Antibiotika wäre die Haltung von Tieren in Tiermastanlagen nicht möglich“, sagt Engelbert Friedrich, Tierschützer aus Hannover. Weil die Tiere dicht gedrängt aufwachsen und Infektionskrankheiten sich rasant ausbreiten können, verabreichen die Mastbetriebe immer höhere Dosen an antibiotischen Arzneimitteln. „Die meisten Tiere würden den Tag der Schlachtung sonst nicht erleben“, mahnt der Tierschützer. Nun räumt auch das Bundesministerium für Landwirtschaft ein, dass Antibiotika massenhaft und vor allem in immer höheren Dosen den Masttieren verabreicht werden, als bislang angenommen.
Das Ausmaß der Antibiotika-Gabe scheint weitaus größer zu sein, mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen für die Konsumenten. „Bisher ging man in Schätzungen von bundesweit etwa 780 Tonnen Antibiotika aus, die jedes Jahr in der Tierhaltung verabreicht werden“, erläuterte ein Sprecher des Ministeriums in Berlin. Doch nun gehen wir davon aus, „dass die tatsächlich eingesetzte Menge noch höher ist.“
Erstmals wird der Arzneimittelverkehr überprüft
Der Ministeriumssprecher bezieht sich in seinen Aussagen auf eine Auswertung von bundesweit in Umlauf gebrachten Tierarzneimitteln. Erstmals untersucht das Ministerium den Arzneimittelverkehr, um genauere Erkenntnisse über den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung zu erlangen. Die Untersuchung soll auch zeigen, in welchen Bundesländern antibiotische Medikamente besonders häufig zum Einsatz kommen. „Momentan sind wir noch dabei beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz die Daten auszuwerten“, so der Sprecher. In der kommenden Woche sollen dann erste Studienergebnisse vorliegen und der Öffentlichkeit bekannt gegeben werden.
Eigentlich sollen die Arzneien nur dann eingesetzt werden, wenn die Tiere erkrankt sind. Seit längerem ist es verboten, die Medikamente zur schnellen Aufzucht einzusetzen. Doch einige Studien hatten bereits gezeigt, dass Antibiotika massenhaft bei Masttieren verwendet werden. Ganz besonders hoch scheint die Gabe von Antibiotika in Geflügelmastbetrieben zu sein, wie eine NDR-Recherche erheben hatte. Schwerpunkte bilden dabei Bundesländer, in denen viele landwirtschaftliche Betriebe angesiedelt sind.
Antibiotika-Resistenzen befürchtet
Eine Gefahr für den Menschen besteht, weil Spuren von Antibiotika durch den Verzehr von Mastfleisch in den menschlichen Körper aufgenommen wird. Zudem können Verbraucher Bakterien mit verzehren, die bereits Resistenzen gebildet haben. Das führt wiederum dazu, dass bei ernsthaften bakteriellen Erkrankungen Antibiotika nicht mehr anschlägt.
Nach Ansicht der schwarz-gelben Bundesregierung können auch schadhafte Folgen für die Landwirtschaft entstehen. Antibiotika-Rückstände werden von den Tieren ausgeschieden. Der kontaminierte Kot könnte in den Boden, in Gewässer und damit auch in das Grundwasser gelangen. Daher werde das Ministerium eine „verstärkte Aufmerksamkeit hinsichtlich der möglichen Resistenzen-Bildung durch das Ausbringen von Gülle“ vornehmen. Es sei möglich, dass Fragmente von Antibiotika auch von Nutzpflanzen aufgenommen werden.
Gesetzeslage soll verschärft werden
Die Politik will nun auf die Gefahren reagieren. Die Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) hat angekündigt, die Gesetzeslage hinsichtlich des Arzneimittelgesetzes in der Tiermast deutlich zu verschärfen, damit der Einsatz von Antibiotika „auf ein Minimum beschränkt wird.“ Inhalt des Gesetzesvorhabens ist beispielsweise eine Beschränkung der Befugnisse von Veterinären. Tierärzte sollen künftig die Arzneien nur noch in sehr engen Grenzen verordnen dürfen. Zudem sollen die verabreichten Dosen und die Anwendungszeit „strenger gefasst“ werden. Werden Antibiotika verabreicht, die auch für Menschen gedacht sind, sollen diese nur noch unter speziellen Voraussetzungen, wie etwa bei anderen Tierarten, über die Zulassung hinaus verordnet werden dürfen.
Bundesweite Datenbank zum Tierarzneimitteleinsatz
Darüber hinaus plant das Landeswirtschaftsministerium die Einrichtung einer bundesweiten Datenbank, damit sich die Landesbehörden einen Überblick zum Tierarzneimitteleinsatz in den einzelnen Regionen verschaffen können. Das diene „einer besseren Kontrolle“ so die Hoffnung der Ministerin. „Der Bund setzt hierfür den Rechtsrahmen, die Länder sind vor Ort für die Überwachung der Betriebe zuständig“, sagte der Ministeriumssprecher. Setzen Landwirtschaftsbetriebe in übermäßiger Form Antibiotika ein, soll diesen per Verordnung ein geringerer Dosis-Einsatz künftig vorgeschrieben werden.
Die Grünen verlangen eine schnelle Änderung des Arzneimittelgesetz. Der agrarpolitische Sprecher der Grünen, Friedrich Ostendorff forderte, dass die Tiere nur im Krankheitsfall mit Antibiotika behandelt werden dürfen. Zudem sollte nur das einzelne Tier und nicht die gesamte Mast Arzneimittel erhalten. Nach Meinung des Vorsitzenden des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Hubert Weiger, gefährde die Tierindustrie die Gesundheit der gesamten Bevölkerung. Sie haben den Antibiotika-Einsatz überhaupt nicht im Griff, so der Umweltschützer. (sb)
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Bild: Nico Lubaczowski / pixelio.de
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