Milliardenkosten durch falsche psychotherapeutische Behandlungen
07.11.2011
Jährlich entstehen dem Gesundheitssystem Milliardenkosten durch die falsche therapeutische Behandlung seelischer Erkrankungen. Experten fordern verbesserte Erfolgskontrollen und eine erhöhte Transparenz bei der Qualität der Therapeuten.
Die im Rahmen der Recherchen zu einem Beitrag zum Thema Psychotherapie der „Welt am Sonntag“ befragten Wissenschaftler kamen übereinstimmend zu der Einschätzung, dass im Gesundheitssystem aufgrund der falschen Behandlung psychischer Leiden mindestens fünf Milliarden Euro pro Jahr verschwendet werden, berichtet „Welt Online“. Die Berechnungen der renommierten Experten weisen dem Nachrichtenportal zufolge auf erhebliche Missstände im Bereich der psychotherapeutischen Behandlung hin.
Ein Viertel der Psychotherapien erfolglos
Die Anzahl der Patienten mit psychischen Erkrankungen ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, wobei der zunehmende gesellschaftliche Leistungsdruck und Stress nach Einschätzung der Experten einen wesentlichen Anteil an dem Anstieg psychischer Beschwerden haben. Allerdings ist auch die Bereitschaft, bei psychischen Problemen professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gestiegen. Wie die anschließende psychotherapeutische Behandlung ausfällt, wird dem aktuellen Bericht von „Welt Online“ zufolge jedoch nicht nur durch die Probleme der Patienten bestimmt, sondern hänge oftmals von Zufällen wie dem Wohnort, den Vorlieben des Arztes oder Psychotherapeuten für bestimmte Therapieverfahren „und mitunter auch von den Profitinteressen einer Praxis oder Klinik“ ab. Unter Berufung auf zahlreiche wissenschaftliche Studien berichtet das Nachrichtenportal, dass etwa bei jedem vierten Patienten, der wegen psychischer Probleme in Behandlung ist, die Therapie keine Verbesserung bewirke. Bei jedem zehnten verschlechtere sich der seelische Zustand sogar im Zuge der Therapie. Daraus folgen Milliardenverschwendungen im Gesundheitssystem. Mindestens fünf Milliarden Euro sollen laut „Welt“-Bericht die falschen Behandlungen kosten, wobei der Bochumer Psychologie-Professor Jürgen Margraf gegenüber dem Blatt betonte, dass er „den Betrag eher noch höher ansetzen“ würde, „zumindest, wenn man die Folgen auf die Arbeitsfähigkeit der Menschen mitrechnet.“
Controlling der Seelenheilung erforderlich?
Den im Rahmen des Beitrages befragten Experten zufolge ist das wesentliche Manko bei den psychotherapeutischen Behandlungen, dass keine effizienten Erfolgskontrollen bestehen und die Qualität der Therapeuten für die Patienten nicht transparent ist. Ähnlich den jüngst bei einigen gesetzlichen Krankenkasse eingerichteten Arztnavigatoren – Online-Portalen zur Ärztebewertung – sollte schon vor Jahren ein vergleichbares Projekt für mehr Transparenz im Bereich der Seelenheilkunde sorgen. Doch die vom Bundesgesundheitsministerium geplante zentrale Erfassung der Patienten-Erfahrungen in einer Datenbank scheiterte und so ist die Qualität der Behandlung für die Patienten im Vorfeld der Therapie bis heute kaum ersichtlich. Zumal auch auch keine institutionalisierte Kontrollinstanzen auf Ebene der Ärztekammern bestehen. Auch im Verlauf der psychotherapeutischen Behandlung ist für Patienten normalerweise „nicht zu erkennen, wie gut ein Therapeut ist“, erläuterte der Berner Psychotherapieforscher Franz Caspar gegenüber der „Welt am Sonntag“.
Psychische Leiden ein Hauptkostenfaktor im Gesundheitssystem
Wie viele Patienten mit psychischen Problemen tatsächlich Zweifel an der Behandlungsqualität ihres Therapeuten haben, hat ein letztes Jahr durchgeführtes Pilotprojekt der Unabhängigen Patientenberatung (UPD) belegt, bei dem fünf Monate eine Telefonhotline für Beschwerden zur psychotherapeutischen Behandlung eingerichtet wurde. Der Ansturm war unerwartet hoch und die UPD sei durch die hohe Anzahl der Anfragen „regelrecht überrannt“ worden, erläuterte die Expertin der Unabhängigen Patientenberatung, Anne Dietel, gegenüber der „Welt am Sonntag“. Die meisten Betroffenen beschwerten sich dabei nicht über „die Wirksamkeit der Behandlung“, sondern waren unzufrieden „mit dem Therapeuten oder der Art, in der die Behandlung durchgeführt wurde“, betonte die UPD-Expertin. Wie die oben genannten Zahlen zu den erfolglos beziehungsweise kontraproduktiv verlaufenden psychotherapeutischen Behandlungen verdeutlichen, ist die Unzufriedenheit vieler Patienten an dieser Stelle jedoch durchaus berechtigt. Ein verbessertes Controlling im Bereich der Behandlung psychischer Probleme scheint dringend erforderlich. Nicht zuletzt auch weil die Therapie seelischer Leiden heute einer der kostenintensivsten Posten im deutschen Gesundheitswesen ist. Bei den rund 30 Milliarden Euro, die im öffentlich finanzierten Gesundheitssystem in Deutschland letztes Jahr für Therapien, Praxen, Kliniken und Personal ausgegeben wurden, stehen die Seelenleiden als Kostenfaktor direkt hinter den Herzerkrankungen an zweiter Stelle, berichtet „Welt Online“. Mit welchem Erfolg die Mittel eingesetzt werden, sollte daher dringend besser kontrolliert und auch für Patienten nachvollziehbar dargelegt werden. (fp)
Bild: Gerd Altmann/ pixelio.de
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