Geburtsstunde der Virus-Immuntherapie
Viren sind überwiegend als Krankheitserreger bekannt. Doch laut einer aktuellen Forschungsarbeit könnten Herpesviren auch zur Behandlung von Krebs eingesetzt werden. Demnach bringt ein bestimmter Herpes-simplex-Virus Tumorzellen zum Platzen.
Einer Arbeitsgruppe der Fraunhofer-Gesellschaft ist es gelungen, Herpesviren gegen Krebszellen einzusetzen. Als Basis für die experimentelle Therapie diente das Herpes-simplex-Virus Typ 1, dass allgemein als Auslöser für Lippenbläschen bekannt ist.
Heilende Viren?
Dass Viren Menschen und Tiere krank machen können, ist den meisten wohl bekannt. Doch Viren könnten auch zur Heilung genutzt werden, wie das aktuelle Forschungsprojekt der Fraunhofer-Gesellschaft zeigt.
Viren sind einfach aufgebaut
Nach Angaben der Forschenden sind Viren relativ einfach aufgebaut. Ihr überschaubares Erbgut ist von einer Hülle aus Proteinen und Lipiden umgeben. Die Größe eines Virus variiert zwischen 20 und 200 Nanometern.
Viren haben eine einzigartige Fähigkeit zur Vermehrung
Zur Vermehrung nutzen Viren lebende Zelle, die häufig während des Prozesses zerstört werden. Dies ist einer der grundlegenden Mechanismen, warum Viren Krankheiten hervorrufen. Doch genau diese Fähigkeit nutzte das Fraunhofer-Team nun als Waffe gegen Tumorzellen aus.
Forschungsleiterin Professorin Susanne Bailer untersucht Herpesviren bereits seit über 20 Jahren. Nun ist ihrem Team ein Durchbruch gelungen. Sie konnten die krankmachenden Gene des Herpes-simplex-Virus Typ 1 ausschalten. Dadurch konnten die Erreger gezielt genutzt werden, um Tumorzellen zu zerstören.
Mehr Stauraum in Herpesviren
Im Gegensatz zum Coronavirus SARS-CoV-2, das für die COVID-19-Pandemie verantwortlich ist, besteht das Erbmaterial von Herpesviren nicht aus RNA, sondern aus DNA.
„Das DNA-Genom ist wesentlich größer als das RNA-Genom, das heißt, es lassen sich zahlreiche zusätzliche Gene dort unterbringen“, erläutert Professorin Bailer.
„Wenn wir das Virus umprogrammieren wollen, haben wir also einen großen Speicher zur Verfügung“, so die Herpesviren-Expertin.
Medizinisches Potenzial von Viren
Ein ähnliches Prinzip wurde bereits bei dem COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca angewendet, bei dem für den Menschen harmlose Adenoviren die nötigen Informationen für den Aufbau von Antikörpern gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 liefern.
Die Arbeitsgruppe um Bailer programmierte nun Herpesviren so um, dass sie Krebszellen befallen und diese zerstören. Die veränderten Viren lassen gesunde Zellen unbeschadet und befallen gezielt nur Krebszellen.
Herpesviren vermehrten sich nur in Tumorzellen
„Dort vermehren sie sich und bringen die Zellen zum Platzen“, berichtet die Professorin. Die geplatzten Tumorzellen hinterlassen zudem Marker, die dem Immunsystem dabei helfen, Immunzellen zur Bekämpfung des Tumors in Stellung zu bringen.
Auf diese Weise könnten auch unentdeckte Metastasen bekämpft werden. „Das Immunsystem ist unsere stärkste Waffe gegen den Krebs“, unterstreicht die Wissenschaftlerin. Mithilfe der modifizierten Herpesviren könnte sich der Körper praktisch selbst von Krebs heilen – so die Hoffnung des Teams.
Kommt bald die erste Virus-Immuntherapie?
In präklinischen Tests an Lungenkrebszellen zeigten die Viren vielversprechende Ergebnisse. Die Tumorzellen wurden nach Angaben der Arbeitsgruppe zuverlässig zerstört. Für eine klinische Erprobung sei es allerdings noch zu früh.
„Wir müssen die Wirkmechanismen besser verstehen, um das volle Potenzial der Virus-Immuntherapie zu heben“, betont Bailer abschließend. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Fraunhofer-Gesellschaft: Herpesviren als Waffe gegen Krebs (veröffentlicht: 01.Juni 2022), fraunhofer.de
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.