Permanenter Stress kann ernste Folgen haben
Steigende Belastung im Job, private Pflichten und der eigene Wunsch, alles „perfekt“ machen zu wollen: Mehr als die Hälfte der Erwachsenen fühlt sich laut einer Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) gestresst. Wer ständig unter Strom steht, hat ein erhöhtes Risiko für psychische und körperliche Erkrankungen wie Depressionen oder Bluthochdruck. Daher warnen führende Experten auf dem diesjährigen DGPPN Kongress in Berlin vor den möglichen Folgen des modernen Lebens und fordern stärkere Forschungsarbeit.
Termindruck und Verpflichtungen bestimmen den Alltag
Das Projekt für den Kunden muss heute abgeschlossen werden, der nächste Termin wartet schon, der Chef will unbedingt etwas besprechen und dann ruft die Kita an, weil das Kind plötzlich Fieber bekommen hat: So oder so ähnlich sieht bei vielen Berufstätigen der „ganz normale Wahnsinn“ des Alltags aus. Dem steigenden Leistungsdruck bei der Arbeit und familiären Verpflichtungen gleichermaßen nachkommen zu wollen, führt bei immer mehr Menschen zu immer mehr Stress.
Und das ist noch nicht alles: Denn oft kommt noch der hohe Anspruch an sich selbst dazu: Man quält sich durch Diäten, fährt nach der Arbeit völlig ausgelaugt noch ins Fitnessstudio und kocht am Wochenende ein Vier-Gänge-Menü für die Freunde. „Nichts tun“ ist hingegen häufig verpönt und Pausen gelten nicht selten als vertane Zeit.
Depressionen und Tinnitus durch ständige Belastung
Rastlosigkeit und ein „Leben auf der Überholspur“ können jedoch sehr gefährlich für die Gesundheit werden. Stress ist zwar nicht generell negativ, denn er hilft uns – im gewissen Rahmen – sogar, neue Herausforderungen zu meistern und mit schwierigen Situationen umzugehen. Besteht die Belastung jedoch dauerhaft, erhöht sich das Risiko für psychische und körperliche Erkrankungen. Hierzu zählen unter anderem Depressionen, Angststörungen, Tinnitus, Bluthochdruck oder Infektionskrankheiten, informiert die DGPPN.
„Alle sind leistungsfähig, schön und jung und möchten das möglichst lange bleiben. Das hat Folgen im Verhalten der Menschen”, erklärte die Präsidentin der DGPPN, Iris Hauth, gegenüber der Nachrichtenagentur „dpa“. „Ich würde nicht sagen, Lifestyle macht Erkrankungen. Aber Lifestyle bewirkt Verhaltensveränderungen und emotionale Veränderungen, die gegebenenfalls Risikofaktoren für eine Erkrankung werden können“, so die Expertin weiter.
Jeder Vierte hat ständig zu viel Stress
Besorgniserregend ist vor allem die hohe Zahl der Betroffenen: Mehr als die Hälfte der Erwachsenen fühlt sich der DGPPN zufolge gestresst, jeder Vierte ist demnach sogar einer ständigen Stress-Belastung ausgesetzt. Oft steht der Stress im Zusammenhang mit den modernen Lebensumständen: Das Leben in der Großstadt, die immer höheren Anforderungen im Job sowie ständig neue technologische Möglichkeiten „überfluten“ uns oft regelrecht.
„All das beeinflusst unser Denken, unsere Emotionen und unser Verhalten. Überforderung und Stressanfälligkeit können die Folge sein und unsere psychische Gesundheit negativ beeinflussen“, sagte Dr. Iris Hauth laut der Pressemitteilung auf dem Jahreskongress der Fachgesellschaft.
Großstadtleben erhöht das Erkrankungsrisiko
Dementsprechend richten führende Psychiater auf dem diesjährigen DGPPN-Kongress in Berlin (23. bis 26.11.) den Fokus auf die Risikofaktoren, die mit der modernen Lebensweise einhergehen und fordern eine bessere Erforschung dieser Aspekte. Bekannt sei beispielsweise, dass Depressionen oder Angststörungen in Städten deutlich häufiger vorkommen als in ländlichen Gebieten.
Digitalisierung führt schnell zu Überforderung
Den Fachleuten zufolge gibt es noch eine Reihe weiterer Risikofaktoren für psychische Erkrankungen, die sich aus dem „neuen“, modernen Leben von heute ergeben. Vielen Menschen falle es demnach schwer, den Reizen der digitalen Welt zu widerstehen. Doch das ständige “Always on”-Sein bringt nicht nur Vorteile. Vielmehr könne die exzessive Nutzung von Computer und Internet schwerwiegende Folgen für das Leben der Betroffenen haben, warnen die Experten. Hierzu zählen unter anderem sozialer Rückzug, Schwierigkeiten im Job und psychische Erkrankungen wie z.B. Depressionen.
Druck durch hohe Anforderungen an sich selbst
Hinzu käme, dass sich gerade junge Menschen oft durch einen hohen Anspruch an sich selbst stark unter Druck setzen. Ein Beispiel sind unrealistische Schönheitsideale, die durch Medien vermittelt werden und zu Körperbildstörungen bzw. Essstörungen wie Anorexie (Magersucht) oder Bulimie führen können.
„Wir wissen heute, dass für die Entstehung psychischer Erkrankungen sowohl biologische Faktoren – etwa genetische Belastungen oder Stoffwechselveränderungen im Gehirn – als auch familiäre Bedingungen, belastende Lebenserfahrungen und weitere Umweltfaktoren eine Rolle spielen. Hier besteht ein großes Potenzial, um neue präventive und therapeutische Ansätze zu entwickeln“ so Dr. Iris Hauth.
Auf Ausgleich achten und Stresslevel senken
Damit der Stress des Alltags nicht Überhand nimmt, kann man schon durch kleine Aktionen etwas für sich tun und für Ausgleich sorgen. „Auch einmal nichts zu tun, ist für die Gesundheit des Gehirns unglaublich hilfreich“, empfiehlt Hauth im Gespräch mit der Nachrichtenagentur. Hilfreich sei es zum Beispiel, sich am Abend die gelungenen Dinge des Tages bewusst in Erinnerung zu rufen, statt sich über Defizite zu ärgern. Wichtig sei es auch, den Kontakt zu Freunden, Familie und Bekannten zu pflegen. Denn wer sich sozial isoliert fühlt, habe ein besonders hohes Risiko für psychische Erkrankungen.
Wertvolle Unterstützung beim „Loslassen“ bieten Verfahren zum Stressabbau wie Yoga, autogenes Training oder Meditation. Durch die Übungen können Betroffene lernen, Stressfaktoren zu erkennen und Belastungen besser bewältigen zu können.
Öfter mal anhalten und Gemütlichkeit genießen
Nicht zuletzt sollte man sich vielleicht die Dänen zum Vorbild nehmen. Denn wie der “Guardian” vor wenigen Wochen berichtete, sind die Menschen in Dänemark laut einer Studie weltweit am zufriedensten. Viele Dänen glauben demnach, dies gehe vor allem auf die gelebte Art der Gemütlichkeit zurück, die im Dänischen mit dem Begriff
“Hygge” beschrieben wird. Ob warmes Licht, ein kuscheliges Sofa, leckeres Essen oder entspanntes Zusammensein mit Feunden – Hygge bezeichnet ein bestimmtes Lebensgefühl, welches durch Innehalten und kleine Freuden im Alltag entsteht. (nr)
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