Ursache für schädliche Auswirkungen von Luftschadstoffen
Es wurde bereits vielfach beobachtet, dass das Auftreten von bestimmten Krankheiten mit Schadstoffbelastungen in der Luft verbunden ist. Weniger ist dagegen über die zugrundeliegenden Prozesse des Zusammenhangs bekannt. Ein internationales Forschungsteam konnte nun erstmals zeigen, wie das Einatmen von Feinstaub schädliche Prozesse im Körper auslöst.
Forschende des Max-Planck-Instituts für Chemie (MPIC) und der amerikanischen University of California in Irvine fanden heraus, dass Luftschadstoffe in der Lunge den Abbau von Wasserstoffperoxid behindern, wodurch hochreaktive Radikale entstehen, die den oxidativen Stress erhöhen. Die Ergebnisse wurden kürzlich in dem Fachjournal „Environmental Science & Technology“ vorgestellt.
Luftverschmutzung zählt zu den größten Gesundheitsgefahren
Die Weltgesundheitsorganisation WHO stufte erst kürzlich die Luftverschmutzung auf Basis von epidemiologischen Studien zu einem der größten Gesundheitsrisiken weltweit ein. Ein Bericht der Europäischen Umweltagentur (EEA) aus dem Jahr 2020 kommt beispielsweise zu dem Ergebnis, dass pro Jahr über 400.000 Menschen allein in Europa aufgrund von verschmutzter Luft verfrüht sterben.
Ursachen für die schädlichen Auswirkungen teils unbekannt
Trotz der viel beobachteten Auswirkungen gelten die chemischen Prozesse, die den gesundheitsschädlichen Auswirkungen zugrunde liegen, als nicht ausreichend verstanden. Ein umfassendes Verständnis dieser Prozesse ist jedoch die Grundlage für effektive Maßnahmen zur Eindämmung der Luftverschmutzung beziehungsweise deren Auswirkungen, um die damit verbundenen Krankheiten sowie die verfrühte Sterblichkeit zu reduzieren.
Durchbruch in der Grundlagenforschung
Der internationalen Arbeitsgruppe gelang nun ein Durchbruch bei der Entschlüsselung der zugrundeliegenden Mechanismen. Die Forschenden konnten die chemischen Reaktionen simulieren, die beim Einatmen von häufig vorkommenden Luftschadstoffen ablaufen. Sie konnten so zeigen, welche chemischen Prozesse in der Epithelflüssigkeit der Lunge stattfinden, wenn wir Feinstaub einatmen.
Feinstaub hemmt die körpereigene Abwehr
„Bei Schadstoffbelastungen können die Abwehrmechanismen in unserem Körper überfordert sein, sodass Hydroxyl-Radikale entstehen, die zu oxidativem Stress führen“, fasst Gruppenleiter Thomas Berkemeier vom MPIC zusammen. Diese Prozesse konnten in der Studie erstmals nachgestellt werden. Dabei fand das Team heraus, dass selbst geringe Feinstaubkonzentrationen dazu führen können, dass die körpereigene Abwehr umgangen wird.
Der Effekt wurde bereits bei vergleichsweise geringen Schadstoffbelastungen deutlich. Solche Luftverschmutzung mit Feinstaubpartikeln, die kleiner als 2,5 Mikrometer sind (PM2,5), sei sogar außerhalb von Innenstädten messbar, berichtet das Team.
Schädlicher Prozess basiert auf Abbau von Wasserstoffperoxid
Das Molekül Wasserstoffperoxid (H2O2), auch als Bleichmittel bekannt, nimmt eine entscheidende Rolle in dem entdeckten Prozess ein. Laut der Forschungsgruppe entsteht Wasserstoffperoxid unter anderem in der Lunge und reichert sich dort auch in kleinen Mengen an. Beim Einatmen von sauberer Luft verwandeln dann Enzyme den Großteil des Wasserstoffperoxids in harmlose Moleküle wie Wasser (H2O).
Wie die Arbeitsgruppe berichtet, werden diese Enzyme jedoch unterdrückt, wenn bestimmte Schadstoffe in der Luft sind. Die Schadstoffe treten mit den Enzymen in Konkurrenz, wodurch das Wasserstoffperoxid teilweise in hoch reaktive Hydroxyl-Radikale (HO·) umgewandelt wird. Dieses Radikal besitzt nur ein Wasserstoffatom und ein Sauerstoffatom sowie ein einzelnes, ungepaartes Elektron, wodurch das Molekül hochreaktiv ist.
Inhaltsstoffe im Feinstaub begünstigen Radikal-Bildung
Die Radikale schädigen dann durch ihren Bindungsdrang wichtige Proteine und Lipide in der Lunge, wodurch sich der oxidative Stress erhöht. Nach Angaben der Forschenden werden die chemischen Prozesse durch den Feinstaub verstärkt, da dieser oft Kupfer- und Eisenionen enthält, die die Umwandlung von Wasserstoffperoxid in Hydroxyl-Radikale begünstigen. In der Chemie wird dieser Vorgang als „Fenton-Reaktion“ bezeichnet.
Auch Antioxidantien können den Prozess nicht aufhalten
„Da sie so reaktiv sind, können Hydroxyl-Radikale nicht wirksam durch Antioxidantien abgefangen werden“, betont Studienerstautor Steven Lelieveld. Der einzige effektive Schutz gegen diese Radikale bestehe darin, ihre Bildung in unserem Körper zu verhindern. Das gelinge nur, indem saubere Atemluft eingeatmet wird.
Vor diesem Hintergrund halten die Forschenden die neuen Empfehlungen der WHO für folgerichtig. Erst Ende September 2021 hatte die Organisation den Leitwert für Feinstaub der Größe PM2,5 von zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft auf fünf gesenkt.
Luftverschmutzung verstehen
„Die Studie ist ein bedeutender Schritt für unser Verständnis der gesundheitlichen Auswirkungen von Luftverschmutzung“, resümiert Ulrich Pöschl vom MPIC. Luftverschmutzung sei immer noch eine der häufigsten Todesursachen weltweit. Mithilfe des neu entwickelten Models und Daten aus epidemiologischen Studien könnten nun bessere Empfehlungen gegeben und effizientere Strategien zur Luftreinhaltung entwickelt werden. (vb)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Max-Planck-Institut für Chemie: Konkurrenz in der Lunge (veröffentlicht: 22.11.2021), mpic.de
- Steven Lelieveld, Jake Wilson, Eleni Dovrou, et al.: Hydroxyl Radical Production by Air Pollutants in Epithelial Lining Fluid Governed by Interconversion and Scavenging of Reactive Oxygen Species; in: Environmental Science & Technology, 2021, pubs.acs.org
- WHO: Neue globale Luftgüteleitlinien der WHO sollen Millionen von Menschenleben vor Luftverschmutzung retten (veröffentlicht: 22.09.2021), euro.who.int
- EEA Report: Healthy environment, healthy lives: how the environment influences health and well-being in Europe (veröffentlicht: 08.09.2020),, eea.europa.eu
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.