Forscher entdecken Anhaltspunkte, warum Synästhetiker Sinneseindrücke verknüpfen
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Schätzungsweise bei einem von 25 Menschen tritt Synästhesie auf, eine ungewöhnliche Form der Wahrnehmung: Bei den Betroffenen verbindet sich eine Sinneswahrnehmung automatisch mit einer anderen, beispielsweise Musikhören mit dem Sehen von Farben.
Jetzt berichten Forscher des Max-Planck-Instituts für Psycholinguistik und der University of Cambridge von Hinweisen auf die biologischen Ursachen von Synästhesie. Dazu haben sie Familien untersucht, in denen das Phänomen auftritt, und beschreiben genetische Veränderungen, die möglicherweise zu den Unterschieden in der Wahrnehmung beitragen.
Synästhetiker können Klänge sehen, schmecken oder als geometrische Figuren wahrnehmen. Solche sensorischen „Übersprungeffekte“ treten in den unterschiedlichsten Formen auf und können sich bereits in der frühen Kindheit entwickeln. Seit mehr als einem Jahrhundert weiß man, dass die Synästhesie als Familienphänomen auftritt – ein Hinweis auf die wichtige Rolle, die erbliche Faktoren spielen dürften.
„Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren deuten darauf hin, dass die Schaltkreise im Gehirn erwachsener Menschen mit Synästhesie etwas anders verschaltet sind als bei Menschen, die solche besonderen Sinnesverknüpfungen nicht erleben. Wir wissen aber nicht, wie diese Unterschiede zustande kommen”, sagt Amanda Tilot, Genetikerin am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik. „Wir vermuten, dass ein Teil der Antwort in der genetischen Veranlagung der Menschen liegt.”
Genetischer Einblick in sensorische Erfahrungen
In der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences berichten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psycholinguistik und der University of Cambridge nun über neue genetische Anhaltspunkte für die biologischen Grundlagen der Synästhesie. Für ihre Studie haben die Forscher die DNA von drei Familien untersucht, in denen generationenübergreifend mehrere Familienmitglieder beim Hören von Klängen Farben sehen.
Mithilfe neuster Methoden der Genomsequenzierung konnte das Team in den Familien mit Synästhesie genetische Varianten identifizieren und nachvollziehen, wie diese von einer Generation auf die nächste weitergegeben werden. Dabei richteten die Forscher ihre Aufmerksamkeit besonders auf seltene DNA-Veränderungen, die die Art der Proteinkodierung durch die Gene beeinflussen und perfekt mit der Synästhesievererbung in den einzelnen Familien übereinstimmten.
Zwar unterscheiden sich die markierten DNA-Varianten zwischen den drei Familien, aber eine Gemeinsamkeit fanden die Forscher: eine Anreicherung von Genen, die an der Axonogenese und der Zellmigration beteiligt sind. Die Axonogenese ist ein Schlüsselprozess, der den Gehirnzellen ermöglicht, sich mit den richtigen Partnern zu verschalten.
Familien kombinieren, um biologische Vorgänge aufzudecken
Simon Fisher, Direktor am Max-Planck-Institut und Leiter des Forschungsprojekts, sagt: „Aus früheren Untersuchungen der Kollegen in Cambridge wussten wir, dass für diese verblüffende Eigenschaft nicht nur ein einzelnes Gen verantwortlich sein kann. Selbst wenn in mehreren Familien dieselbe Form von Synästhesie auftritt, gibt es dafür wahrscheinlich unterschiedliche genetische Erklärungen.” Weiter erläutert Fisher: „Unsere Hoffnung war deshalb, dass uns die DNA-Daten Hinweise auf gemeinsame biologische Prozesse geben, also auf Faktoren, die an der Synästhesie beteiligt sind.”
Simon Baron-Cohen, Direktor am Autism Research Centre der Universität von Cambridge, erklärt: „Diese Studie enthüllt, wie genetische Unterschiede – möglicherweise über eine veränderte Vernetzung im Gehirn – unsere Sinneserfahrungen beeinflussen können. Die Synästhesie ist damit ein eindeutiges Beispiel für Neurodiversität, die wir respektieren und schätzen sollten.”
Autoren- und Quelleninformationen
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.