Online-Plattform: Studenten übersetzen unverständliche Arzt-Befunde
Rund jeder vierte Deutsche versteht seinen Arzt nicht. Das ergab eine Studie aus dem vorletzten Jahr. Das Problem besteht seit langem, wird Experten zufolge aber nicht konsequent genug angegangen. Eine Dresdner Initiative unternimmt seit nunmehr fünf Jahren etwas dagegen. Auf einer Online-Plattform können sich Patienten kostenlos unverständliche Arzt-Befunde „übersetzen“ lassen.
Viele Patienten verstehen ihren Arzt nicht
Bereits vor Jahren forderte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, dass Ärzte im Umgang mit Patienten besser ausgebildet werden müssten. Er meinte damals, es sei auch eine Frage des Respekts, dass Patienten „ihre Krankheit und die Therapiemöglichkeiten verständlich erklärt werden“. Doch das Problem besteht weiter: Viel zu oft drücken sich Ärzte ihren Patienten gegenüber nicht verständlich genug aus. So wird etwa der ein oder andere Betroffene in Panik geraten, wenn er vom Mediziner hört, dass bei ihm arterielle Hypertonie diagnostiziert wurde. Für Ärzte ist der Ausdruck selbstverständlich, Patienten wissen jedoch oft nicht, dass es sich dabei nicht um eine seltene Krankheit, sondern um erhöhten Blutdruck handelt. In einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa wird über eine Dresdner Initiative berichtet, die Patienten hilft, zu verstehen, was ihnen der Arzt eigentlich mitteilen wollte.
Ehrenamtliche übersetzen unverständliche Diagnosen
„Bei medizinischen Befunden passiert es schnell mal, dass Patienten vom ganzen Text nur die Füllwörter verstehen“, sagte die Dresdner Medizinstudentin Elisabeth Vinis gegenüber der Nachrichtenagentur. Die junge Frau ist eine von bundesweit 167 ehrenamtlichen Übersetzern der Dresdner Online-Plattform „Was hab’ ich?“. Patienten, die ihre Befunde dort anonymisiert einsenden, erfahren meist innerhalb einer Woche, worum es sich bei medizinischen Wortungetümen tatsächlich handelt. Die Dienst von „Was hab’ ich?“ sind kostenlos. Das über Spenden und Kooperationen finanzierte Portal ist eigenen Angaben zufolge einzigartig in Deutschland. Bezahlt werden drei feste Mitarbeiter und die drei Gründer. Gegründet wurde es vor fünf Jahren von den Dresdner Medizinstudenten Anja und Johannes Bittner sowie dem Informatiker Ansgar Jonietz. Mittlerweile sind aus den Studenten Ärzte und aus der Idee ein Sozialunternehmen mit über 40.000 monatlichen Online-Besuchern geworden. Anlässlich des im Januar anstehenden fünften Geburtstags haben die Gründer viele Visionen für die Plattform. „Doch am besten wäre es natürlich, wenn es uns gar nicht mehr geben müsste“, so Jonietz laut dpa. Die Dolmetscher haben alle Hände voll zu tun. Seit 2011 wurde die Plattform 860.000 Mal von Patienten aufgerufen.
Auch Studenten profitieren von ihrer Hilfe
Die meisten der ehrenamtlichen Übersetzer sind angehende Ärzte. Die Tätigkeit ist auch für sie von großem Nutzen. Mit jedem übersetzten Befund lernen die Medizinstudenten von bundesweit 41 Fakultäten dazu. „Das ist die nachhaltige Komponente“, meinte Jonietz. Von der Sächsischen Landesärztekammer wird „Was hab’ ich?“ gelobt. „Das Projekt bietet positive Effekte für beide Seiten“, sagte ein Sprecher. Es sei eine gute Ergänzung zur ärztlichen Aufklärung und schule Medizinstudenten in der Kommunikation mit Patienten. Die Studenten, die mindestens im achten Fachsemester sein müssen, werden von zahlreichen Fachärzten unterstützt. Allein übersetzen dürfen sie den Angaben zufolge erst mit dem Segen ihres Betreuers und frühestens ab dem fünften übersetzten Befund. Elisabeth Vinis hat diesen Status erreicht und ist seit rund sechs Monaten dabei. Über einen Kurs der Technischen Universität Dresden sei sie zu dem Portal gekommen. Seit 2014 wird dort Medizinisch-Deutsch für Studenten angeboten. „Der Wunsch, Menschen zu helfen, ist bei uns Medizinstudenten tatsächlich noch vorhanden“, so Vinis.
Befunde werden nicht interpretiert
Die Dresdner Studentin findet es besonders praktisch, dass das Ehrenamt so flexibel ist. Aus einem auch mal nachts übersetzten dreiseitigen Befund könnten auch schnell mal zehn Seiten werden. „Das kann dann schon vier bis sechs Stunden dauern“, erläuterte Vinis. Sie nimmt sich ihren Angaben zufolge manchmal aber auch extra viel Zeit. „Mein letzter Befund war von einer jungen Frau mit Brustkrebsdiagnose. Da achte ich natürlich besonders darauf, wie ich etwas ausdrücke.“ Patienten haben über die Plattform auch die Möglichkeit, ihren Übersetzern ein Feedback zu geben. „Im Fall der jungen Frau habe ich das gar nicht erwartet“, erklärte Vinis. Daher sei sie von dem zurückgekommenen Dank – samt Kampfansage gegen den Krebs – umso gerührter gewesen. Wie es heißt, bringt die Feedback-Funktion jedoch auch Probleme mit sich. „Die Patienten fassen Vertrauen und wollen dann, dass man ihnen Entscheidungen abnimmt“, so Jonietz. Das Portal könne und wolle jedoch keine Interpretationen der Befunde leisten.
Perfektionierte Kommunikation zwischen Arzt und Patient
Rund 150 anonymisierte Befunde übersetzen die Ehrenamtlichen wöchentlich. Bislang sind es insgesamt mehr als 25.500. Zwar sei dies ein großer Erfolg, doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein, meinte Jonietz. Das Team arbeitet daher derzeit zusätzlich an einem neuen Modell. Im Rahmen des Pilotprojekts „Patientenbrief“ will „Was hab’ ich?“ alle Entlassungsbriefe von Kliniken über individualisierte Textbausteine schnell und teilweise automatisiert in einfache Sprache übersetzen. Dafür werden nach der Geburtstagsfeier im Januar zwei weitere Ärzte fest angestellt. Möglicherweise könnte dann irgendwann Jonietz’ Vision von einer perfektionierten Kommunikation Arzt und Patient eintreten. Seinen eigenen Angaben zufolge würde er sich freuen, wenn die Plattform irgendwann einmal überflüssig wird – für einen guten Zweck. (ad)
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