Nach Bekanntwerden mehrerer Organspendeskandale hat eine Kommission eine großangelegte Kontrolle aller 46 Transplantationszentren in Deutschland durchgeführt. Dabei stießen die Experten erneut auf eine Vielzahl an Auffälligkeiten, Richtlinienverstöße und Manipulationen, unter anderem im Universitätsklinikum Jena und an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Göttinger Organspendeskandal wird 2012 aufgedeckt
Es war der größte Organspende-Skandal in der Geschichte der Bundesrepublik: 2012 wurde bekannt, dass ein Mediziner am Göttinger Universitätsklinik Krankenakten gefälscht hatte, um ausgewählten Patienten eine schnellere Versorgung mit Spenderorganen zu ermöglichen. Nach und nach wurden weitere Skandale aufgedeckt, unter anderem in München, Regensburg und Leipzig.
Es folgten eine Reihe von Maßnahmen seitens der Politik und Selbstverwaltung, um mehr Kontrolle und Transparenz in der Transplantationsmedizin gewährleisten zu können. Hierzu zählen z.B. verschärfte Vor-Ort-Prüfungen aller Herz-, Lungen-, Leber-, Nieren- und Pankreastransplantationsprogramme, ein Mehraugenprinzip bei der Anmeldung von Wartelistenpatienten und die Einrichtung von Transplantationskonferenzen. Darüber hinaus können sich Bürger und Mitarbeiter aus dem Gesundheitswesen seit Ende 2012 an eine unabhängige Vertrauensstelle wenden und Hinweise auf Auffälligkeiten mitteilen.
Kommission überprüft alle 46 Transplantationszentren
Nun hat die bei der Bundesärztekammer angesiedelte Überwachungs- und Prüfungskommission im Zuge der Aufklärung der Skandale alle 46 Transplantationszentren bzw. 126 Transplantationsprogramme einer großangelegten Untersuchung unterzogen. Die Kommission, die in gemeinsamer Trägerschaft von Bundesärztekammer (BÄK), Deutscher Krankenhausgesellschaft und GKV-Spitzenverband arbeitet, habe nach der Überprüfung der Jahre 2010 bis 2012 insgesamt „eine positive Bilanz ihrer Arbeit gezogen“, so eine aktuelle Pressemitteilung der BÄK.
Doch die Experten entdeckten auch weiterhin an diversen Kliniken Unregelmäßigkeiten. Demnach seien in Kliniken in Berlin, München, Heidelberg, Jena und Köln im Bereich der Herztransplantationen „systematische Manipulationen und Auffälligkeiten“ festgestellt worden. In allen Fällen seien die Patienten dabei „kränker“ dargestellt worden als sie es in Wirklichkeit waren, um die Chance auf ein Spenderorgan zu erhöhen.
Keine Richtlinienverstöße bei Nierentransplantationen
Auch bei den Lungentransplantationen mussten die Prüfer „eine Vielzahl an Auffälligkeiten“ feststellen, die jedoch dem Bericht zufolge „in den meisten Fällen auf Versehen, Unkenntnis oder mangelnde Sorgfalt zurückgeführt werden konnten“. Im Bereich der Nierentransplantationen habe es hingegen keine Anhaltspunkte für systematische Richtlinienverstöße oder Manipulationen gegeben. Ebenso seien bei den Pankreas– und kombinierten Nieren-Pankreastransplantationen keine Auffälligkeiten erkannt worden, so die Mitteilung weiter.
Politiker fordern stärkere Kontrolle
Trotz der Auffälligkeiten in einigen Bereichen habe sei demnach in den meisten Zentren „ordnungsgemäß und korrekt“ gearbeitet worden. „In vielen Transplantationszentren ist ein Struktur- und Kulturwandel erkennbar. Heute können wir sagen, dass diese Maßnahmen greifen“, sagte die Vorsitzende der Prüfungskommission, Anne-Gret Rinder, bei der Vorstellung des Jahresberichts in Berlin.
„Die Prüfungen tragen dazu bei, verloren gegangenes Vertrauen der Menschen in die Transplantationsmedizin zurück zu erlangen. Dies bestärkt uns darin, unsere Arbeit in der nächsten Prüfperiode ebenso akribisch und effizient fortzuführen, wie bisher“, betonte auch der Vorsitzende der Überwachungskommission, Prof. Dr. Hans Lippert.
Aufgabe sollte auf das Robert-Koch-Institut übertragen werden
Doch Kritiker fordern angesichts der derzeitigen Situation eine noch stärkere Kontrolle der Transplantationsmedizin: „Die Bundesregierung hat bislang nur wenig unternommen, um eine rechtsstaatliche Kontrolle der Transplantationszentren zu etablieren“, so die Grünen-Gesundheitspolitiker Harald Terpe und Elisabeth Scharfenberg gegenüber der „dpa“.
Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz setzt sich weiterhin für eine stärkere Kontrolle der Transplantationsmedizin hierzulande ein. „Die Prüfung des Transplantationssystems ist eine hoheitliche Aufgabe und muss kontinuierlich erfolgen“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch weiter. Demnach sei eine Übertragung dieser Aufgabe von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) auf das staatliche Robert-Koch-Institut (RKI) notwendig, zudem müsse der derzeitige Prüfturnus von drei Jahren verkürzt werden.
Es reiche nicht, die vergangenen zwei bis fünf Jahre zu überprüfen, so Brysch weiter, „vielmehr müssen die vergangenen 15 Jahre auf den Tisch.“ Dabei dürfe die Prüfung jedoch nicht privaten Organisationen wie der Bundesärztekammer, der Krankenhausgesellschaft oder dem GKV-Spitzenverband überlassen werden, sagte Brysch im Gespräch mit der „dpa“. (nr)
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