Multiple Sklerose dank neuer Medikamente besser beherrschbar
Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems in Mitteleuropa, wobei Frauen ungefähr doppelt so häufig betroffen sind wie Männer. Trotz intensiver Forschung gilt die Erkrankung als unheilbar. Forscher schauen dennoch vorsichtig optimistisch in die Zukunft. Dank neuer Medikamente ist MS immer besser beherrschbar. Im Vorfeld des Welt-MS-Tages, der am 27. Mai stattfindet, sprach die Nachrichtenagentur „dpa“ mit Betroffenen und Ärzten über die Krankheit.
Multiple Sklerose verläuft meist in Krankheitsschüben
Bei MS führen Entzündungen von Teilen des Nervensystems im Rückenmark oder im Gehirn dazu, dass die Betroffenen an neurologische Einschränkungen leiden. Das kann sich beispielsweise in Muskelzuckungen und -spastiken, Taubheitsgefühlen und anderen Missempfindungen vor allem in den Gliedmaßen sowie Sehstörungen äußern. MS wird auch als „Krankheit der 1.000 Gesichter“ bezeichnet, da die Krankheitsverläufe sehr unterschiedlich sind. Auch die Symptome variieren stark. In Deutschland leiden Schätzungen zufolge rund 200.000 Menschen an MS. Meist treten die ersten Symptome zwischen dem 15. und dem 40. Lebensjahr im Rahmen eines Schubs auf.
Die heute 59-jährige Maria Eifrig bekam die Diagnose im Alter von 43 Jahren. Die Programmiererin sitzt im Rollstuhl, sie leidet an Spastiken. Bis ins Jahr 2007 ging es ihr stetig schlechter, denn die Krankheit griff ihr Nerven- und Immunsystem an. Mittlerweile hat sie sich mit MS arrangiert. Durch den elektrische Rollstuhl sei sie viel beweglicher geworden, berichtet sie. „Ich kann mich mit ihm aufrichten, ja sogar stehen. Ich mache sogar Sport damit.” Mit Hilfe ihres schwenkbaren Rollstuhls richtet sie sich auf und ab und bewegt möglichst viele Muskeln. Selbst das Tippen auf der Computertastatur ist für sie Training. Die 59-Jährige gehört zur MS-Selbsthilfegruppe in Münster.
Nicht jeder Multiple Sklerose-Patient benötigt einen Rollstuhl
„Die meisten Menschen denken, dass MS automatisch in den Rollstuhl führt, das ist natürlich Quatsch”, berichtet eine Besucherin des MS-Sonntags-Cafés. Ein anderer Besucher der Veranstaltung, Christoph Carstensen, erzählt, dass er die Diagnose im Alter von 27 Jahren erhalten habe. Nur ganz selten sei er auf den Rollstuhl angewiesen. Ein Stock und ein Rollator erleichterten ihm das Gegen an schlechten Tagen. Er komme aber auch ganz ohne Gehhilfe aus. Auch der der 54-jährige Thomas Nienhaus, der seit 21 Jahren von seiner Erkrankung weiß, kommt ohne Rollstuhl aus. Pro Jahr hat er zwei Schübe, wobei seine Therapie mit Interferon gut anschlägt. Nienhaus hat Glück, denn nicht immer funktioniert ein Medikament so gut wie bei ihm. Viele Mittel haben starke Nebenwirkungen oder schlagen nicht bei jedem Patienten gleichermaßen an. „Wir wollen diese Erkrankung bestmöglich kontrollieren. Aber die Patienten müssen für sich entscheiden, ob sie bereit sind, zum Beispiel eine tödliche Virus-Infektion im Gehirn zu riskieren. Das Risiko dafür ist sehr unterschiedlich und liegt zwischen 1:100 und 1:10 000″, erläutert Prof. Heinz Wiendl von der Uniklinik Münster. Da das Medikament das Immunsystem schwächt, könnte die sehr wirksame Therapie dann tödlich enden. Die Forschung macht aber Wiendl zufolge in diesem Bereich große Fortschritte. „Mit Hilfe von bestimmten Biomarkern im Blut können wir das Risiko für einen Patienten besser einschätzen”, berichtet der Neurologe. Auf diese Weise wird die Suche nach dem passenden Medikament wesentlich leichter. „Ich habe mich vor über 20 Jahren entschieden, an einer Studie teilzunehmen. Damals konnte mir niemand sagen, ob das Mittel hilft”, berichtet Nienhaus. Es war die richtige Entscheidung, wie sich bis heute zeigt. Noch ist MS nicht vollständig kontrollierbar. „In 10, vielleicht 20 Jahren sind wir soweit”, glaubt Wiendl.
Kein Impfstoff gegen Multiple Sklerose in Sicht
„Die MS-Diagnose ist längst kein Todesurteil mehr. Neuen Patienten kann sehr effizient geholfen werden und sie können mit MS sehr lange leben”, erklärt Prof. Burkhard Becher von der Universität Zürich, der am Institut für Experimentelle Immunologie forscht. Wie er betont, sei die Forschung jedoch noch weit entfernt von einer endgültigen Heilung der Erkrankung. Auch die Entwicklung eines Impfstoffes gegen MS sei noch in weiter Ferne. Man habe aber über 100 MS-Risikogene ermittelt, die das Immunsystem steuern. Deshalb handele es sich bei MS in erster Linie um eine Immunerkrankung, die erst in der Folge Schädigungen des Gehirns verursacht. Die Behandlung von MS veranschaulicht Becher am Beispiel der Karies: „Beim Gang zum Zahnarzt haben Sie anschließend auch nicht den Karies besiegt. Aber der Arzt konnte Ihnen mit einer Behandlung den Schmerz nehmen, in dem er zum Beispiel ein Loch mit einem Ersatzstoff gefüllt hat.” Es sei ein großer Fortschritt, dass die Betroffenen heute nicht mehr täglich Injektionen bekommen müssen. Die Medikamente seien inzwischen in Tablettenform oder als monatliche Injektionen verfügbar. „Die Zukunft gehört den Forschern, denen die sogenannte Neuroprotektion gelingt, wenn also zerstörtes Gewebe wieder hergestellt werden kann”, sagt Becher. Davon sei die Forschung aber noch weit entfernt. (ag)
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