Video mit Ministerin: Verbraucherschützer können Nestlé-Aussagen nicht bestätigen
Vor wenigen Wochen hat sich die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner, mit dem Deutschland-Chef des Nahrungsmittelkonzerns Nestlé vor die Kamera gestellt und das Unternehmen für die Reduktion von Zucker, Fett und Salz gelobt. Doch laut Verbraucherschützern hat das Unternehmen wohl zu viel versprochen.
Reduktion von Zucker, Fett und Salz in Fertigprodukten
Anfang Juni veröffentlichte die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Julia Klöckner, beim Kurznachrichtendienst Twitter ein Video, in dem sie mit Marc-Aurel Boersch, dem Deutschland-Chef des Lebensmittelkonzern Nestlé zu sehen ist und in dem sie das Unternehmen für die Reduktion von Zucker, Fett und Salz in Fertigprodukten lobt. „Sie haben 10% der Inhalte reduziert; weitere 5% sollen folgen“, heißt es in einem schriftlichen Begleittetxt. Doch Verbraucherschützer weisen nun darauf hin, dass das Unternehmen wohl zu viel versprochen hat.
Vorwurf: Ministerin habe ein „Werbevideo“ für den Konzern gemacht
Das Video der Ministerin löste im Netz eine massive Welle der Kritik aus. Viele warfen Klöckner vor, sie habe sich von dem umstrittenen Konzern für PR-Zwecke ausnutzen lassen.
Unter den Kritikern waren auch prominente PolitikerInnen wie die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, die der Agrarministerin vorwarf, sie habe ein „Werbevideo für Nestlé“ gedreht.
Klöckner selbst sah ihr Vorgehen offenbar unproblematisch. In einem weiteren Tweet schrieb sie:
„An die Hatespeaker, weil ich mit Nestlé gesprochen habe: Mal eigene Forderungen #Zuckerreduktion nachlesen! Dass Unternehmen unsere Zielen für bessere Nahrungsmittel umsetzen, ist ein Erfolg. Erst unterstellen, dass nichts geschieht. Dann durchdrehen, wenn man was erreicht“.
Doch so falsch waren die Vorwürfe wohl nicht. Schließlich hat Nestlé laut Verbraucherschützern offenbar zu viel versprochen.
Alt-Neu-Vergleich bei verschiedenen Nestlé-Produkten
Die Verbraucherzentrale Hamburg hat einen Alt-Neu-Vergleich bei verschiedenen Nestlé-Produkten durchgeführt, nachdem Mark-Aurel Boersch, CEO von Nestlé Deutschland, in dem oben genannten Video gesagt hat, dass die Produkte von Nestlé heute zehn Prozent weniger Zucker, Fett und Salz enthielten als in der Vergangenheit.
Die Hamburger Verbraucherschützer haben stichprobenartig die Nährwerte von insgesamt 24 Nestlé-Produkten aus den Jahren 2008 bis 2016 recherchiert und mit dem aktuellen Sortiment verglichen.
Die Bilanz der Experten ist enttäuschend.
„Mit den Vergleichswerten unserer Stichprobe können wir die Aussagen des Nestlé-Chefs nicht bestätigen“, erklärt Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg in einer Mitteilung.
Den Angaben zufolge beträgt die Reduktion beim Zucker durchschnittlich nur 5,7 Prozent, beim Fett 0 Prozent. Das Unternehmen hätte die selbst gesteckten Ziele damit deutlich verfehlt.
Dagegen weist über die Hälfte der untersuchten Produkte (13 von 24) den gleichen oder sogar einen höheren Zuckergehalt auf. 60 Prozent (15 von 24) enthalten gleich viel oder gar mehr Fett.
Der Kaloriengehalt der untersuchten Lebensmittel ist deshalb aktuell noch genauso hoch wie vor Jahren.
Manche Produkte sind jetzt sogar süßer als früher
Lediglich bei 17 Prozent (4 von 24) der überprüften Produkte hat Nestlé den Zuckergehalt um die versprochenen zehn Prozent reduziert.
Laut der Verbraucherzentrale fallen in diesem Zusammenhang die Cerealien „Nesquik Duo“ und „Fitness Knusperflakes“ positiv auf. Die neue Rezeptur des „Nesquik Kakaopulver 30% weniger Zucker“ enthält nun ebenfalls noch weniger Zucker.
Das klassische Kakaopulver der Marke „Nesquik“ wird allerdings noch immer mit einem Zuckeranteil von über 75 Prozent verkauft. Und die „Smarties Schokolinsen“ und der Riegel „KitKat Chunky“ sind jetzt sogar süßer als ihre Vorgängermodelle.
Keine Fettreduktion festgestellt
Nur bei 13 Prozent (drei von 24) der geprüften Lebensmittel, den Cerealien „Nesquik Duo“ und „Clusters Mandel“ sowie der „Maggi Tierfigurensuppe“, sank der Fettgehalt um über zehn Prozent in den letzten neun Jahren.
Viele andere Produkte wie beispielsweise die „Maggi Spargelcremesuppe Guten Appetit“, die aktuell mit fast doppelt so viel Fett ausgestattet ist wie im Jahr 2015, machen keine gute Figur.
Solche Fertiglebensmittel in der Stichprobe sorgen dafür, dass die Verbraucherzentrale insgesamt keine Fettreduktion feststellen konnten.
Doch beim Salz hat Nestlé anscheinend Fortschritte gemacht. Laut den Verbraucherschützern finden sich auf den überprüften Etiketten durchschnittlich rund 11,3 Prozent niedrigere Salzwerte.
Allerdings wird darauf hingewiesen, dass bei vielen Produkten, wie zum Beispiel Süßwaren, der Salzgehalt keine wichtige Rolle spielt.
„Recht auf mehr Transparenz“
„Wir fragen uns, wie und wo Nestlé in den letzten Jahren jeweils 10 Prozent Zucker, Fett und Salz eingespart hat und auf welche Datengrundlage der Konzern seine Aussagen stützt“, so Valet.
Die Stichprobe des Verbraucherschützers zeichnet ein anderes Bild.
„Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Recht auf mehr Transparenz und weniger Schönfärberei! Wer völlig überzuckerte Kinderprodukte im Zuckergehalt auf ein weiterhin sehr hohes Niveau reduziert, sollte sich nicht auf die Schulter klopfen,“ sagt Valet.
Wie es in der Mitteilung heißt, könnte ein unabhängiges Informationsportal, das die Entwicklung der Nährwerte von Produkten abbildet und begleitet, helfen, die Anbieter stärker in die Pflicht zu nehmen.
Alle 24 Produkte der Stichprobe, die recherchierten Nährwerte sowie die errechneten Reduktionen für Zucker, Fett, Salz und den Kaloriengehalt hat die Verbraucherzentrale Hamburg auf ihrer Internetseite veröffentlicht. (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern und Medizinerinnen geprüft.
- Verbraucherzentrale Hamburg: Hat Nestlé bei der Reduktion von Zucker, Fett und Salz zu viel versprochen?, (Abruf: 23.06.2019), Verbraucherzentrale Hamburg
- 2 Tweets bei Twitter des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sowie der Bundesministerin Julia Klöckner, (Abrufe: 23.06.2019)
Wichtiger Hinweis:
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