Auch in Partnerschaften können Abhängigkeiten auftreten
06.09.2012
Menschen in Partnerschaften können voneinander abhängig werden. Die meisten assoziieren Abhängigkeit allerdings nur mit einer Alkohol- oder Drogensucht. Doch auch in Ehen oder Lebenspartnerschaften können Abhängigkeitsgefüge entstehen, die zu schwerwiegenden Folgen führen können. Experten des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen in Berlin raten schon bei frühzeitigen Anzeichen einer ungesunden Bindung zum Partner professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen oder im schon im Vorfeld aktiv zu werden.
Finanzielle Abhängigkeit noch immer weit verbreitet
Nicht nur von Drogen, Medikamente, Zigaretten oder Alkohol können Menschen abhängig werden. In Liebesbeziehungen passiert es nicht selten, dass ein Partner ohne den anderen den Lebensalltag nicht mehr bewerkstelligen kann. Die erste und noch niederschwellige Abhängigkeit ist die finanzielle. „Bis in die 80er Jahre waren Frauen bedingt durch schlechtere Bildungsabschlüsse und eine geringere Erwerbstätigkeit in der Mehrzahl von ihren Partnern wirtschaftlich abhängig“, erklärte Andreas Klocke, Professor für Soziologie an der Fachhochschule Frankfurt am Main gegenüber der Nachrichtenagentur „dpa“. Bei Frauen älteren Jahrgangs oder Migrantinnen sei dies noch häufig der Fall. Heutzutage sind jedoch schon viele Frauen kaum oder überhaupt nicht mehr auf den männlichen Partner angewiesen. Viele gehen eigene berufliche Wege und wollen sich selbst verwirklichen.
Beidseitige Abhängigkeiten
Ein Abhängigkeit muss nicht eindimensional sein. „Es gibt viele Beziehungen, in denen beide wechselseitig voneinander abhängig sind“, berichtet Walter Roscher vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen in Berlin. Beispielsweise kaufen Eheleute ein Haus. Um die Schulden abzutragen, müssen beide finanzielle Mittel aufbringen. Keiner allein kann aber das Haus allein finanzieren. Das führt zu einer gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit.
Eine gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit ist relativ leicht zu erkennen, oft vorhanden und an vielen Stellen kaum zu vermeiden. Vielen Paaren ist das aber nicht bewusst. Der Leiter der psychologischen Beratungsstelle der Diakonie in Esslingen, Roland Kachler, rät Paaren zum Gespräch. „Es muss darüber gesprochen werden“. Am besten schon, bevor eine Wohnung oder Haus per Kredit gekauft wird.
Die zweite Form von Abhängigkeit ist die Lebenspraktische. In Beziehungen existieren oft geschlechtsspezifische Aufgabenverteilungen. „Der Mann ist für Reparaturen, Auto und Versicherungen zuständig, die Frau für Haushalt und Kinder“, so Soziologe Klocke. Jeder würde eben das machen, wo er seine Stärken sieht und entlastet damit auch den anderen. Aber um so autonomer Partner diese Alltagsaufgaben erledigen, um so schwieriger wird es für den anderen diese Aufgaben auch einmal selbst zu übernehmen, falls der andere verstirbt oder es zu einer Trennung kommt. Auf einmal werden sie mit Aufgabenstellungen konfrontiert, die sie bislang an den anderen Partner abgetreten hatten. Vielen fällt es schwer, sich dann auf Bereiche einzulassen, mit denen sie manchmal sogar Jahrzehnte nichts zu tun hatten.
Einschleifen von Gewohnheiten vermeiden
Absprachen sind das „A und O“, am besten schon im Verlauf der ersten Beziehungszeit. „Im Verlauf der Beziehung gilt es, das Einschleifen von Gewohnheiten zu meiden“, so Gritli Bertram, Diplom Sozialpädagogin und Partnerberaterin aus Hannover. Innerhalb der Beziehung sollten sich beide immer wieder fragen lassen, ob die Verteilung der Aufgaben noch stimmig ist oder ob etwas geändert werden müsse. Eine Alternative wäre zum Beispiel die eigenen Aufgaben dem anderen beizubringen. „Gemeinsames Kochen, Bauen, Putzen oder das Abklärungen von Versicherungsangelegenheiten kann auch mehr zu zweit Spaß bereiten“, so Bertram.
Emotionale Abhängigkeiten in Partnerschaften
Die dritte Form von Abhängigkeiten in Partnerschaften ist die emotionale. „Es ist ganz normal und gehört zum Wesen einer Beziehung, dass die Partner wechselseitig aufeinander angewiesen sind“, sagt Psychologe Kachler. Solange beide Partner auch das Gefühl haben, auch alleine leben zu können und auch nicht auf die praktische Anerkennung des anderen angewiesen sind, kann eine emotionale Bindung die von beiden Seiten gleichermaßen passiert, durchaus für eine Beziehung stabilisierend wirken. Allerdings sollte nicht das Gefühl aufkommen, dass einer den anderen Partner benachteiligt oder über ihn herrscht.
Warnhinweise ernst nehmen und begegnen
Erste Warnhinweise für eine psychisch ungesunde emotionale Abhängigkeit sind beispielsweise, wenn ein Partner sich übermäßig anpasst, eigene Bedürfnisse zurückstellt, Konflikte trotz gegenteiliger Meinung meidet und sich zum Unwohlsein des anderen stark klammert. Die Beziehung fühlt sich in solchen Situation nicht gut an, Betroffene leiden unter Liebeskummer trotz Partnerschaft und Sexualität gerät immer mehr Hintergrund. „Die meisten bemerken die ungleiche Beziehung erst spät“, sagt Bertram. Die Signale schleichen sich im Alltag langsam ein.
Die Gefühlsebene ist für die meisten nur sehr schwer greifbar, auch für den Betroffenen selbst. Wie in einem Unternehmen hilft es aber, eine regelmäßige Bilanz zu ziehen. Einmal im Jahr könnten sich die Partner zusammensetzen und die vergangene Zeit reflektieren. Beide könnten in dem Gespräch jeweils den anderen fragen, ob sie sich wohlfühlen. Ein unbehagliches Gefühl sollte offen ausgesprochen werden, ebenso sollten auch „Erwartungen thematisiert werden“, so Roscher.
Autonomie in der Partnerschaft bewahren
Bevor übermäßige Abhängigkeiten entstehen, kann das Bewahren der eigenen Unabhängigkeit davor schützen. „Freundschaften können auch unabhängig vom Partner und auch allein gepflegt werden.“ Das verhindert, sich nicht alleinig auf den Partner emotional zu fixieren. Auch das Gespräch mit Menschen außerhalb der Partnerschaft helfe, Erlebtes zu reflektieren. Dadurch ist es möglich, eine andere von außen auf Dinge gerichtete Perspektive auf die eigene Beziehung zu richten. (sb)
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Autoren- und Quelleninformationen
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