Untersuchungen von Wirkstoffen: Zu viele Männer bei Medikamententests?
Obwohl Frauen in vielen Lebensphasen wesentlich mehr Tabletten einnehmen als Männer, werden Wirkstoffe vor ihrer Zulassung überwiegend an männlichen Probanden getestet. An dieser Situation müsse sich etwas ändern, fordern Experten.
Frauen nehmen mehr Medikamente als Männer
Frauen müssen meist mehr Medikamente einnehmen als Männer. Sei es die tägliche Anti-Baby-Pille, Schilddrüsenhormone oder in späteren Jahren Mittel gegen Osteoporose. Sie schlucken aber nicht nur typische Mittel für Frauen. Auch unabhängig von solchen Tabletten werden Frauen im Schnitt deutlich mehr Medikamente verordnet als Männern. In Studien zur Zulassung von Arzneiwirkstoffen ist das Verhältnis aber normalerweise andersherum. In einer Mitteilung der Nachrichtenagentur dpa kritisierte die Pharmakologin Karin Nieber von der Universität Leipzig: „Frauen sind nicht in dem Maß in Studien vertreten, wie Krankheiten in der Bevölkerung auftreten.“
Langsamerer Wirkstoff-Abbau
Männer und Frauen unterscheiden sich aber – von der Fettverteilung am Körper bis hin zum Hormonsystem. Anlässlich zweier Kongresses zu Geschlechterforschung in der Medizin in Berlin erklärte Nieber, dass auch manche Enzyme auf unterschiedliche Weise arbeiteten und sich das auf den Abbau von Wirkstoffen im Körper auswirke. Wie auch andere Kollegen vermisst sie daher Auswertungen von Studien mit Blick auf sichere Dosen für Frauen. Die Pharmakologin verwies auf den Fall des Schlafmittels Zolpidem. Wie es heißt, bauen insbesondere Frauen den Wirkstoff langsamer ab, was am Morgen nach der Einnahme noch zu eingeschränktem Reaktionsvermögen führen könnte. „Frauen wurde nachträglich geraten, die Dosis um 50 Prozent zu reduzieren“, so Nieber. Allerdings seien solche Anpassungen absolute Einzelfälle. Nachträgliche Warnungen werden jedoch sehr wohl ausgesprochen. So raten manche Gesundheitsexperten grundsätzlich von Mitteln wie Zolpidem ab. Solch Schlafmittel erhöhen das Sterbe- und Krebsrisiko, wie Wissenschaftler um Dr. Daniel F. Kripke vom Scripps Clinic Viterbi Family Sleep Center in Kalifornien (USA ) in einer Studie feststellten.
Frauen aus Tests ausgeschlossen
Frauen spielten auch in klinischen Studien lange Zeit keine Rolle. So hatte die amerikanische Zulassungsbehörde FDA noch 1977 unter dem Einfluss des Contergan-Skandals Unternehmen angewiesen, gebärfähige Frauen aus Tests auszuschließen – als Schutz vor Folgen für die Fruchtbarkeit, vor allem im Fall einer unerwarteten Schwangerschaft. Zahlreiche Untersuchungen zeigten, dass solche Medikamente das Fehlgeburten-Risiko erhöhen beziehungsweise zu Missbildungen bereits im Mutterleib führen können. Ein Umdenken setzte erst 1993 ein.
Bei Patientinnen wird mit kleineren Dosen begonnen
Umstritten ist, ob die Dosen immer passen. Anhand ihrer Erfahrung erläuterte die Medizinerin Verena Stangl, (Kardiologie, Charité Berlin) dass man bei weiblichen Patientinnen teils wegen Nebenwirkungen wie Bluthochdruck mit niedrigeren Dosen beginne, die dann gesteigert werden. „Es bräuchte mehr Studien, die explizit Frauen untersuchen“, meinte die Ärztin. Doch die Hersteller beurteilen die „statistischen Unterschiede“ etwa bei der Konzentration der Wirkstoffe und ihrer Verweildauer im Blut als klein. Medikamente seien zudem so konzipiert, dass sie innerhalb eines gewissen Fensters wirken, und nicht nur bei einer exakten Zieldosis. Die bekannten Unterschiede haben daher für die Vorschriften meist keine Folgen, heißt es in einem Positionspapier des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (Vfa).
Tests an Frauen machen Zulassung teurer
Vfa-Fachmann Rolf Hömke hob hervor, dass Medikamente, die für Männer und Frauen zugelassen werden sollen, auch an beiden Geschlechtern erprobt werden müssen. In den meist dreistufigen Studien sind demnach durchaus Frauen beteiligt, wenn auch erst in relativ späten Stadien. Allerdings werde in der ersten Stufe, der sogenannten Phase I, zum überwiegenden Großteil an gesunden Männern getestet – „unter Bedingungen so einfach wie möglich“, so Hömke. Karin Nieber sieht das als reine Kostenfrage: Da bei Frauen während des Zyklus der Hormonspiegel schwankt, dauere es bei ihnen länger, bis sich statistisch deutliche Effekte eines Wirkstoffs nachweisen ließen. Das mache die Zulassung insgesamt teurer.
Frauen wollen gar nicht Probandin sein
Pharmaproduzenten verweisen immer noch auf das Risiko Schwangerschaft, wenn es um frühe Studien-Phasen geht: Studienteilnehmerinnen müssten zusätzlich zum Test-Medikament hormonell verhüten – ein unliebsamer Einfluss. In Phase I will man nämlich grundsätzlich etwa prüfen, wie sich Wirkstoffe verteilen und wieder abgebaut werden. Von der Vfa wird der Frauenanteil in der späteren Phase – je nach Krankheitsbild – grob auf 30 bis 80 Prozent beziffert. Es ist nicht vorgeschrieben, dass gleich viele Männer und Frauen teilnehmen müssen. Wichtig sei laut Vfa, „dass von jedem Geschlecht eine genügend große Zahl von Behandlungen ausgewertet werden kann; und das ist der Fall“. Ein weiterer Grund für das Dilemma sei, dass Frauen gar nicht Probandin sein wollen. „Es ist nicht so, dass es viele Frauen gäbe, denen man absagen müsste, weil alle Plätze vergeben sind“, sagte Hömke. Das gelte insbesondere für Frauen in fruchtbarem Alter. Die Pharmakologin Nieber fragt sich, warum nicht schon bei den ersten Tierversuchen weibliche Ratten oder Mäuse einbezogen werden. Ihrer Meinung nach sollten Frauen gerade bei Krankheiten, die vor allem Frauen plagen, schon in Phase I einbezogen werden. (ad)
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