Geheime westliche Medikamententest an DDR-Bürgern: Universitätsklinik Jena legt Bericht zu Medikamenten-Studien vor
22.10.2013
Wurden an ehemaligen DDR-Bürgern geheime Tests mit Medikamenten durchgeführt? Diese Frage stellten sich Forscher der Universitätsklinik Jena (UKJ) im Rahmen eines Pilotprojekts und kamen zu dem Ergebnis, dass am Klinikstandort Jena durchaus „Patientinnen und Patienten an Studien westlicher Pharmafirmen beteiligt waren“, so die Mitteilung des UKJ.
DDR-Bürger als „Versuchskaninchen“?
Waren ehemalige DDR-Bürger Versuchsobjekte westlicher Pharmaunternehmen? Eine Arbeitsgruppe am Universitätsklinikum Jena (UKJ) hat sich mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung von Arzneimittelstudien westlicher Pharmafirmen in der damaligen DDR beschäftigt und nun ihren Abschlussbericht vorgelegt. Die Forscher hatten sich dabei in erster Linie mit drei Arzneimittelstudien, die während der 1980er Jahre in Jena durchgeführt wurden, beschäftigt: Eine Studie mit dem Wirkstoff „Mifepriston“ zum Schwangerschaftsabbruch, eine Studie mit dem Antidepressivum „Levoprotilin“ und eine Studie mit dem Wachstumshormon „Somatotropin“ zum Einsatz bei Kindern und Jugendlichen mit Wachstumsstörungen, so die Mitteilung des Universitätsklinikums Jena.
Mit der Untersuchung ein „wichtiges Ziel erreicht“
Dabei war die Arbeitsgruppe des UKJ bei der Aufklärung der Fälle einen großen Schritt weiter gekommen, denn „diese Analyse ist ein erster Schritt für eine nötige gesamtdeutsche und standortübergreifende Bewertung der damaligen Studien westlicher Unternehmen in Kliniken der DDR. Für den Klinikstandort Jena konnten wir bestätigen, dass Patientinnen und Patienten an Studien westlicher Pharmafirmen beteiligt waren. Zudem haben wir eine wissenschaftliche Arbeitsweise entwickelt, die nun auch standortübergreifend Vergleiche ermöglicht. Damit haben wir ein wichtiges Ziel erreicht“, so der Medizinische Vorstand des UKJ, Prof. Dr. Klaus Höffken – dennoch müsse auch berücksichtigt werden, dass noch nicht gesagt werden könne, ob die damaligen Studien „sachgerecht und rechtskonform“ abgelaufen seien.
Fehlende Patientenakten zu Test mit Wirkstoff zur Abtreibung
Der Test mit dem Wirkstoff der so genannten „Abtreibungspille“ Mifepriston hatte die Forscher beispielsweise mit einer Reihe offener Fragen konfrontiert: So hatten Recherchen des Medizinhistorikers Dr. Rainer Erices im Bundesarchiv in Berlin ergeben, dass es im Jahr 1988 in Jena eine „Medikamentenprüfung“ mit insgesamt 50 Frauen gegeben hatte – Patientenakten konnten dazu allerdings nicht gefunden werden. Diese waren stattdessen offenbar vernichtet worden, denn wie sich herausstellte, war den Frauen das Mittel damals ambulant verabreicht worden, ambulante Patientenakten werden jedoch bereits nach zehn Jahren vernichtet.
Tests mit Antidepressivum lässt viele Fragen offen
In einem zweiten Schritt wurde eine Studie mit der angst-hemmenden Substanz „Levoprotilin“ überprüft. An dieser hatten nach Angaben des Klinikums zwar 20 Patienten teilgenommen – doch nur sieben Patientenakten enthielten einen Nachweis zur Studienteilnahme. Für Dr. Erices von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg ein klares Ergebnis: „Diese Akten legen den Schluss nahe: Die Studie war Bestandteil des klinischen Alltags. So enthalten die Akten Informationen zum Start der Studie, zum Ende, zu Laboruntersuchungen im Kontext der Studie, Überweisungsberichte zu anderen Ärzten, in denen teilweise explizit auf die Studienteilnahme hingewiesen wird.“ Laut Dr. Erices würde sich demnach kein Hinweis dafür finden, dass die Betroffenen ohne ihr Wissen als „Versuchskaninchen“ benutzt worden waren – allerdings hatten die gefundenen Akten auch keine Patientenaufklärungsbögen enthalten.
Schätzungsweise mindestens 34 entsprechende Studien nur in Jena
Die untersuchten Fälle seien dabei laut Erices kein Einzelfall. Stattdessen könne davon ausgegangen werden, dass am Jenaer Klinikum in den 1980er Jahren mindestens 34 entsprechender Studien durchgeführt wurden, womit sich Jena „im Mittelfeld “der universitären Kliniken damaligen Medizinischen Akademien der DDR befinde, so Erices weiter. Das Jenaer Uniklinikum möchte daher nun weiter für Transparenz sorgen und das Thema gemeinsam mit den Unikliniken in Halle und Leipzig umfassend aufklären. (nr)
Bild: Andreas Hermsdorf / pixelio.de
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