Vollständige Veröffentliche der Forschungsergebnisse zum H5N1-Supervirus gefordert
21.02.2012
Der Streit um die Veröffentlichung von Studien zu einem im Labor gezüchteten Vogelgrippe-Virus weitet sich aus. Nun hat sich auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eingeschaltet und eine baldige Veröffentlichung sämtlicher Forschungsergebnisse gefordert.
Nachdem die US-Regierung die Veröffentlichung der Studienergebnisse zu dem gefürchteten Supervirus mit dem Hinweis auf die Gefahr des Bioterrorismus unterbunden hatte, entbrannte in der Fachwelt und der Öffentlichkeit ein umfassender Disput über den Umgang mit derart sensiblen Forschungsdaten. Nun hat die WHO als erste offizielle Stelle die vollständige Publikation sämtlicher Studiendetails aus den Untersuchungen von Yoshihiro Kawaoka und Ron Fouchier zum neu gezüchteten Vogelgrippe-Virus H5N1 gefordert. Die Daten sollen jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht werden. Der zeitlichen Aufschub müsse genutzt werden, um die Öffentlichkeit besser über den Sinn und Zweck derartiger Forschungen zu informieren. In der Tat stellt sich hier durchaus die Frage, warum ein derart gefährliches Supervirus überhaupt entwickelt wurde und ob die Bauanleitung für das äußerst tödliche und hoch ansteckende Virus veröffentlicht werden sollte.
Supervirus lagert in Hochsicherheitslabors der Erasmus Universität in Rotterdam
Der Disput über den Umgang mit den brisanten Ergebnissen aus den Studien von Ron Fouchier, Professor an der Erasmus Universität in Rotterdam und Yoshihiro Kawaoka, Professor an der US-Universität von Wisconsin, zieht sich seit Monaten. Anlass war die Entwicklung eines hochgefährlichen Vogelgrippe-Virus, dass wie gewöhnliche Influenza-Erreger von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Die Forscher hatten in zwei unabhängigen Studien das humanpathogene Virus aus der Gattung H5N1 entwickelt und untersucht. Ihre Ergebnisse zu den derzeit in Hochsicherheitslabors der Erasmus Universität in Rotterdam aufbewahrten Erregern wollten die Forschern unter anderem in den Fachzeitschriften „Science“ und „Nature“ veröffentlichen. Doch hier schaltete sich erstmals in der Geschichte der Biowissenschaft das US-Gremium für Biosicherheit (NSABB) ein und forderte die Geheimhaltung der Forschungsdaten. Um einen möglichen Missbrauch der Erreger als Biowaffe zu unterbinden, sollten die Ergebnisse nicht beziehungsweise nur in einer zensierten Version veröffentlicht werden, so die US-Behörde. Die Chefredakteure der beiden Wissenschaftsmagazine willigten ein und wollten eigentlich Mitte März eine entsprechend gekürzte Darstellung der Studien abdruckten.
Studien zum gezüchteten Vogelgrippe-Virus in vollem Umfang veröffentlichen
Angesicht einer neuerlichen Beratung im Expertengremium der WHO wird auf die geplante Veröffentlichung jedoch vorerst verzichtet. „Das wird nun nicht geschehen“, erklärte Bruce Alberts, Chefredakteur der „Science“ am Freitag beim jährlichen Treffen der American Association for the Advancement of Science im kanadischen Vancouver. Denn das Expertengremium der WHO, in dem auch die beiden Studienautoren und die Chefredakteure der Wissenschaftsmagazine („Science“; „Nature“) saßen, kommt zu dem Fazit, dass der Abdruckt einer zensierten Version nicht angebracht wäre. Die Studien zu dem Supervirus sollten demnach in vollem Umfang veröffentlicht werden, denn der Nutzen überwiege eindeutig die Risiken. Der ranghöchste Berater der WHO für Fragen der Gesundheitssicherheit, Keiji Fukuda, betonte: „Die Ergebnisse dieser Forschung haben deutlich gezeigt, dass der H5N1-Virus das Potenzial hat, einfacher zwischen Menschen übertragen zu werden.“ Diese Tatsache „unterstreicht, wie wichtig es ist, die Forschung mit diesem Virus weiterzuführen“, so die Aussage von Fukuda. Bevor die Studiendetails jedoch veröffentlicht werden, müsse eine umfassendere Information der Bevölkerung erfolgen. Die Öffentlichkeit solle über Relevanz und Nutzen von Forschungen an dem neu entwickelten Vogelgrippe-Virus aufgeklärt werden, auch um die Ängste zu reduzieren. Yoshihiro Kawaoka schaltete sich erstmals persönlich in die Diskussion um seine Forschungsergebnisse ein und bemängelte, dass die Wissenschaftler „derzeit die Unterstützung der Öffentlichkeit“ verlieren, obwohl diese „eigentlich von unserer Forschung profitiert“.
Bessere Information der Öffentlichkeit zu dem neuartigen H5N1-Virus gefordert
Gemäß den Empfehlungen des WHO-Expertengremiums wollen die Fachzeitschriften noch einige Zeit warten, bevor die vollständigen Studiendetails zu dem neu entwickelten Vogelgrippe-Virus veröffentlicht werden. Eine Zensur der Ergebnisse kommt nach Ansicht des Expertengremiums jedoch nicht in Betracht, womit sich die WHO eindeutig gegen die Auffassung der NSABB positioniert. Die versuchte Unterbindung einer Veröffentlichung durch die US-Behörde scheint jedoch ohnehin recht fragwürdig. Denn einerseits sind Forschungsergebnisse dazu da, um in der Fachwelt diskutiert beziehungsweise kommuniziert zu werden, und anderseits hat die US-Regierung die Entwicklung des neuen hochansteckenden Virus selber mitfinanziert. So erscheint auch die Warnung vor möglichem Bioterrorismus in einem anderen Licht. Unter diesem Gesichtspunkt hätte ein derartiges Virus eigentlich gar nicht gezüchtet geschweige denn mit öffentlichen Geldern finanziert werden dürfen. Ist die Entwicklung des Supervirus hingegen für die Aufklärung über mögliche Risiken mutierter Vogelgrippe-Erreger (H5N1) und die Entwicklung neuer Behandlungsmöglichkeiten gedacht, scheint eine ausführliche Bekanntmachung der aktuellen Studienergebnisse unumgänglich. Ob sich die Forscher an die WHO-Forderung nach einer umfassenden Veröffentlichung halten, ist bislang jedoch unklar. So hatten sich die Wissenschaftler um die Virologen Ron Fouchier und Yoshihiro Kawaoka zuletzt selbst ein 60-tägiges Moratorium auferlegt, um eine Veröffentlichung ihrer Ergebnisse auch vor dem Hintergrund des Bioterrorismus zu überdenken. Allerdings zeigte sich Kawaoka zuversichtlich, „eine Lösung zu finden, wenn die Menschen bereit sind einander zuzuhören und ihre Entscheidung basierend auf Fakten, und nicht auf Angst zu treffen.“
Supervirus – Biowaffe oder Hilfe bei der Suche nach Heilmitteln?
Das Problem, vor dem die Wissenschaftler stehen, erinnert ein wenig an die berühmte Tragikomödie „Die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt, bei der ein Physiker die sogenannte „Weltformel“ entdeckt hat, diese aus Sorge vor Missbrauch jedoch versucht geheim zu halten, indem er als vermeintlich geisteskrank in einer Klinik untertaucht. Hier versuchen im verschiedene Gegenspieler (Geheimdienstagenten, die ebenfalls eine Geisteskrankheit vortäuschen und die Chefärztin) sein Wissen zu entreißen. Das Stück nimmt ein tragisches Ende und die Formel gerät in die falschen Hände, während „die Physiker“ wegen ihrer vermeintlichen psychischen Störungen in der Klinik eingesperrt bleiben. Das Werk zeigt, dass keine Möglichkeit besteht „Denkbares geheim zu behalten“, denn jeder „Denkprozess ist wiederholbar“, so Dürrenmatts eigene Ausführungen. Übertragen auf die aktuelle Diskussion zu den Ergebnissen der Studien von Ron Fouchier und Yoshihiro Kawaoka würde dies bedeuten, dass ihre Ergebnisse ohnehin früher oder später an anderer Stelle reproduziert werden könnten. Da der Supervirus nun bereits im Labor liegt und die Daten aus den entsprechenden Forschungsarbeiten theoretisch öffentlich gemacht werden könnten, stellt sich lediglich die Frage, was die Menschheit mit diesen Forschungsergebnisse anfangen wird. Ob der Erreger eher als Biowaffe oder zur Entwicklung von Heilmitteln eingesetzt wird, liegt dabei außerhalb der Reichweite einzelner Forscher. Allerdings ließen sich bei Bekanntgabe der Ergebnisse entsprechende Vorbereitungen treffen, die im Falle eines Missbrauchs des Virus zu Zwecken des Bioterrorismus greifen könnten.
Risiko einer Pandemie
Welches Risiko die neu entwickelten Vogelgrippe-Viren bilden können, lässt sich anhand der bisherigen Zahlen zu den Vogelgrippe-Erkrankungen nur erahnen. So gehen die Daten der WHO zwar lediglich von 584 Vogelgrippe-Erkrankungen bei Menschen weltweit aus (seit dem Jahr 2003). Doch 345 Patienten starben in Folge der Infektion, was einer Todesrate von rund 60 Prozent entspricht. Der im Labor entwickelte Vogelgrippe-Erreger ist vergleichbar lebensgefährlich wie die herkömmlichen H5N1-Viren, jedoch zugleich hoch anstecken, so dass bei einer Ausbreitung unter Umständen Millionen Tote weltweit zu verzeichnen wären. Der Erreger hat das Potenzial für eine Pandemie mit bisher ungeahntem Ausmaß, so die übereinstimmende Einschätzung der Experten. Ein Missbrauch als Biowaffe hätte demnach vermutlich katastrophale Folgen. So ist der Disput über den Umgang mit den aktuellen Forschungsergebnissen durchaus nachvollziehbar, nur eine simple Lösung scheint nicht in Sicht.
Expertengremium zur Biosicherheit gefordert
Die Aspekte der Biosicherheit müssen neu überdacht und von einem unabhängigen Expertenstab überprüft werden, so auch der Vorschlag von deutschen Virus-Forschern gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ). Demnach müsste ein entsprechendes Gremium aus internationalen, interdisziplinären und intellektuellen Experten die Gesichtspunkte der Biosicherheit jeweils gesondert erörtern. Die von der NSABB vorgeschlagene Zensur bewerten die deutschen Virus-Forscher indes als kurzsichtig und zu sehr von Sicherheitsdenken geprägt. Das künftig einzurichtende Gremium des „Global Health Security Policy Board“ dürfe „nicht von den Interessen geprägt sein, nationale sicherheitspolitische Agenden durchzusetzen“, sondern müsse „vielmehr den Blick öffnen, um neue Antworten auf globale Fragen zu finden“, so die Biosicherheits-Expertin Petra Dieckmann und die Virologen Christian Drosten und Stephan Becker gegenüber der „FAZ“. (fp)
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Bild: Rolf van Melis / pixelio.de
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