Millionen HIV-Infizierte können kostenlose Medikamente bekommen
30.06.2013
Künftig können über neun Millionen mehr HIV-Infizierte kostenlosen Zugang zu Medikamenten bekommen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat ihre Richtlinien erneuert, so dass eine Behandlung der HIV-Infektion bereits viel früher beginnen kann.
Über neun Millionen Patienten mehr
Zum Auftakt des Kongresses der Internationalen Aids-Gesellschaft (IAS) in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur verkündete die Weltgesundheitsorganisation neue Richtlinien. Gesundheitsdienste in aller Welt richten sich nach deren Empfehlungen. Durch die Änderungen werden über neun Millionen mehr HIV-Infizierte kostenlosen Zugang zu Medikamenten erhalten. Die WHO erneuert ihre Vorgaben, wodurch eine Behandlung der Patienten bereits viel früher beginnen kann. In einer Erklärung hieß es, die Organisation sei nach Abwägung der Effizienz der Medikamente, der Vorteile für das Immunsystem und möglicher Nebeneffekte zu dem Schluss gekommen, den empfohlenen Behandlungstermin vorzuziehen.
Aids-freie Generation als Ziel
Dank der neuen Richtlinien sollen in Zukunft Patienten bereits dann HIV-Medikamente erhalten, wenn die Zahl der T-Helferzellen unter 500 pro Mikroliter Blut sinkt. Bislang lag der Richtwert bei 350. Durch diesen Wert wird angezeigt, wie stark oder geschwächt das Immunsystem ist. Künftig sollen auch alle mit HIV infizierten Kinder unter fünf, Schwangere, stillende Mütter und Personen, deren Partner nicht infiziert sind, unabhängig von ihrem Blutbild, Medikamente erhalten. Eine einzige Pille mit einer Kombination von Wirkstoffen sei derzeit das beste Mittel. Der Direktor des Kinderhilfswerks Unicef, Anthony Lake, sagte: „Damit können wir das Ziel einer Aids-freien Generation schneller erreichen.“
Weltweit rund 34 Millionen mit dem HI-Virus
Nach WHO-Angaben lebten im Jahr 2011 rund 34 Millionen Menschen mit dem HI-Virus, davon fast 70 Prozent in Afrika südlich der Sahara. Bislang wurde weltweit für 16,7 Millionen Patienten die kostenlose Behandlung mit dem Medikamentencocktail empfohlen, der zwar die Krankheit nicht heilen, die Folgen jedoch verringern kann. Schätzungen zufolge würden jedoch etwa sieben Millionen der Betroffenen nicht erreicht werden. Durch die neuen Regeln kämen allein in Ländern mit niedrigen bis mittleren Einkommen 9,2 Millionen HIV-Infizierte hinzu, die mit Medikamenten versorgt werden sollen, so WHO-Sprecher Glenn Thomas. Somit sind es nun insgesamt 26 Millionen Menschen, die eine Therapie erhalten müssten.
Bisher keine Heilung von HIV und Aids möglich
Vor 30 Jahren beschrieben die französischen Forscher Luc Montagnier und Françoise Barré-Sinouss erstmals das HI-Virus, das unbehandelt die Immunschwäche Aids (Acquired Immune Deficiency Syndrome) verursacht. HIV wird durch Kontakt mit den Körperflüssigkeiten Blut, Sperma, Vaginalsekret, Muttermilch und Liquor cerebrospinalis übertragen. Eine Ansteckung mit HIV ist deshalb wesentlich schwerer als beispielsweise mit Grippe-Viren, bei denen eine Übertragung über Tröpfcheninfektion möglich ist. Dennoch hat sich die Verbreitung der Immunschwäche seit den 1980er Jahren zur Pandemie entwickelt, an der bis zum heutigen Tage etwa 37 Millionen verstorben sind.
Drei Millionen Todesopfer verhindern
Die WHO-Generaldirektorin Margaret Chan äußerte die Hoffnung, dass mit den neuen Maßnahmen die Immunschwächekrankheit zurückgedrängt werden könne: „Diese Richtlinien bedeuten einen weiteren Sprung nach vorn im Trend zu immer höheren Zielen und immer größeren Erfolgen." Die WHO erklärte: „Menschen mit HIV früher zu behandeln, kann sie gesünder erhalten und reduziert die Menge des Virus im Blut, wodurch das Risiko der Übertragung an jemand anderes gesenkt wird." Bis 2025 könnten drei Millionen Todesopfer sowie 3,5 Millionen Neuinfektionen verhindert werden, teilte die WHO am Sonntag mit.
Deutsche zweifeln am Nutzen
Den Nutzen der Neuerungen zweifeln deutsche Experten an. Sie würden der Mehrheit der Infizierten nichts nützen. Laut deutscher Aids-Experten gebe es keinen Nachweis, dass Infizierte von einem früheren Therapiebeginn profitieren würden. „Es ist unklar, welche Folgen ein früherer Behandlungsbeginn hat“, so Aids-Experte Ulrich Marcus vom Robert Koch-Institut in Berlin. „Man muss eventuell länger mit Nebenwirkungen leben.“ So etwa möglicherweise mit Störungen der Nieren-Funktion, des Knochenstoffwechsels und des Fettstoffwechsels. „Wir würden es nicht jedem empfehlen, ohne darauf hinzuweisen, dass der individuelle Nutzen nicht nachgewiesen ist.“ Armin Schafberger, Sprecher der Deutschen Aids-Hilfe, verwies auf den Umstand, dass die Mehrheit der Infizierten erst diagnostiziert wird, wenn die Zahl der Helferzellen bereits unter 350 liegt. „Mit so einer Richtlinie geht die Schere zwischen Anspruch und Realität weiter auseinander.“
Reiche Länder in der Pflicht
Für die Ausweitung des Medikamentenprogramms werde allerdings wesentlich mehr Geld benötigt. „Es kommt nicht umsonst", meinte der Direktor der HIV-Abteilung der WHO, Gottfried Hirnschall. Schafberger meinte, es gebe für zusätzliches Geld gar keine Zusage. Und die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ sieht reiche Geberländer in der Pflicht: „Auch Deutschland muss seine Zusagen deutlich erhöhen und mindestens 400 Millionen Euro pro Jahr zum Kampf gegen HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria zur Verfügung stellen.“ (ad)
Autoren- und Quelleninformationen
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